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Vortrag im Bürgerhaus Vegesack Aus Worten Werte schöpfen

Andreas Seebeck erforscht die Kraft der Worte in der Wirtschafts- und Finanzwelt. In einem Vortrag gab der Professort für Weltwirtschaft und Management einen Einblick in seiner Arbeit.
31.10.2022, 18:00 Uhr
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Von Jörn Hildebrandt/jöh

„Schließen Sie die Augen und lauschen Sie meinen Worten“, fordert Andreas Seebeck das Publikum im Bürgerhaus Vegesack zu einem Experiment auf. Dann spricht er einen simplen Satz: „Der Hund jagt einen Jungen über das Spielfeld.“ Anschließend sollen ihm die Besucher sagen, wie groß sie sich den Hund vorstellen, wie alt der Junge ist, und wie das Spielfeld aussieht.

Wohl jeder hat bestimmte Bilder vor Augen, doch Andreas Seebeck geht es um die Analyse des Textes, die Algorithmen – Rechenvorgänge nach bestimmten Schemata – anwendet. Aus Textdaten sollen Bedeutungsstrukturen erkannt werden, die letztlich wertvolle Informationen liefern. Anhand des Satzes mit dem Hund und dem Jungen führt er vor, wie zunächst in einer lexikalischen Analyse zum Beispiel Substantive, Verben und unbestimmte Artikel erkannt werden. In einer anschließenden syntaktischen Analyse wird das Regelsystem des Satzes, zum Beispiel aufgrund seiner Grammatik, untersucht, um schließlich in einem Anwendungsbezug zu enden: Jemand soll den Hund, der den Jungen jagt, zurückholen. 

Sprachanalyse mit Computerprogrammen

Mit dem einfachen Beispiel führt der Professor für Weltwirtschaft und Management an der Jacobs University in Grohn bei seinem Vortrag im Bürgerhaus im Rahmen der Reihe "Wissenschaft für alle" in sein Thema ein. Es geht um die Kraft der Worte. Seebeck erforscht die Sprache der Wirtschafts- und Finanzwelt, analysiert sie mit Computerprogrammen, die auf Linguistik und Statistik basieren. „Im Rechnungswesen fallen oft riesige Datenmengen an, doch viele sind verbal, und es geht darum, die Wahrheit in den Zeilen zu erkennen“, erklärt er. Oder etwa darum, "aus vielen Millionen Seiten von Pressemitteilungen oder Jahresberichten von Unternehmen schnell die Kerninformationen zu erkennen.“

Andreas Seebeck stellt einige Techniken des sogenannten Text Minings vor, mit denen zum Beispiel aus Abermillionen von Sätzen Cluster oder Klassifikationen gebildet werden. „Wichtig ist, zwischen Korrelation und Kausalität zu unterscheiden“, sagt Andreas Seebeck und erläutert am Beispiel einer Katze, die in der Mitte eines eingeknickten Daches sitzt, was er damit meint: „Die Katze ist nicht die Ursache des Knicks, sondern eine beschädigte Stütze darunter, die das Dach trägt.“

Zeitaufwendige Datenaufbereitung

Für ein erfolgreiches Text Mining sei ein umfassendes Verständnis des Sachverhaltes notwendig, aber auch das Wissen, woher die Daten eigentlich kommen. Die gründliche Datenaufbereitung stehe am Anfang und sie sei in seinem Arbeitsbereich meist extrem zeitaufwendig, sagt Seebeck. Erst danach werde mithilfe von Algorithmen ein Modell gebaut, das dann einen Anwendungsbezug hat. Herausforderungen des Text Minings sind zum Beispiel sprachliche Mehrdeutigkeiten. Der Satz „Er erkrankte an der Ruhr“ könne sich sowohl auf einen Fluss wie auf eine Durchfallerkrankung beziehen.

Am Beispiel einer Hotelzimmer-Buchung veranschaulicht Andreas Seebeck, wie anhand von verbalen Rezensionen im Internet eine Bewertung eines Hotels möglich ist. Wörter wie „Frühstück“, „Personal“ oder „Bad“ werden in die Analyse einbezogen, und das Ergebnis, basierend auf Text- und Data Mining, stimmte erstaunlich gut mit den Fünf-Sterne-Bewertungen überein, die von Hotelbesuchern im Internet vergeben wurden.

Die gut verständlichen Beispiele, die Seebeck in seinem Vortrag heranzieht, stehen für Anwendungsbezüge aus seinem Forschungsfeld: Themen wie Steuerhinterziehung oder Investmententscheidungen würden mehr und mehr mittels künstlicher Intelligenz behandelt. „Wenn in Berichten Wörter wie Stellenabbau oder Insolvenz auftreten, wirkt das entscheidend auf den Aktienmarkt, aber auch, was zum Beispiel der Multimilliardär und Unternehmer Elon Musk in den sozialen Medien von sich gibt“, sagt Andreas Seebeck.

„Um zu einer tieferen Verarbeitung menschlicher Sprache zu gelangen, müssen die Computer noch schneller werden“, meint der Wissenschaftler. Er rechnet aber damit, dass dies durch Quantencomputer schon in wenigen Jahren der Fall sein wird.

Info

In der Reihe "Wissenschaft für alle" berichten Professorinnen und Professoren der Jacobs University einmal monatlich im Bürgerhaus Vegesack in allgemein verständlicher Form über ihre Forschung. Den nächsten Vortrag mit dem Titel „Sport, Corona und Long-Covid“ hält Sonia Lippke, Professorin für Gesundheitspsychologie und Verhaltsmedizin, am Mittwoch, 16. November, 19 Uhr, in Raum E 03/Studiobühne des Gustav-Heinemann-Bürgerhauses, Kirchheide 49. Der Eintritt ist frei.

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