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Interview mit Martina Schnaidt „Umweltbewusstsein wächst spürbar“

Die Diplom-Biologin Martina Schnaidt leitet seit fast 20 Jahren die 1979 gründete Ökologiestation in Schönebeck. Seit zwei Jahren registriert sie ein stark wachsendes Interesse am Umweltschutz.
19.06.2019, 22:00 Uhr
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Von Imke Molkewehrum
Frau Schnaidt, inwieweit haben Sie damit gerechnet, dass die Grünen bei der Bürgerschaftswahl in fast allen politischen Lagern Stimmen abfischen und die Ökologie weiter in den Fokus rückt?

Martina Schnaidt: Ich habe erwartet, dass die Grünen Erfolg haben, weil das Umweltbewusstsein spürbar wächst. Aber mit einem so guten Ergebnis habe ich nicht gerechnet. Darüber habe ich mich natürlich gefreut. Kommt es zur Rot-Grün-Roten-Koalition, gibt es aber kein „weiter so“. Da werden die Karten neu gemischt, und es ist mit Veränderungen zu rechnen, was ich gut fände. Beispielsweise sollten bei der Umsetzung ökologischer Maßnahmen soziale Aspekte nicht vernachlässigt werden.

Seit wann und inwieweit spüren Sie auf der Ökostation einen Run auf grüne Themen?

Ich spüre das erst seit etwa zwei Jahren. Inzwischen werden auch von Lehrern gezielt Klimaschutz-Themen angefragt. Das ist sehr schön. Allerdings müssen 35 Jahre Umweltbildung ja auch mal Spuren hinterlassen und etwas ins Rollen bringen (lacht).

Überbevölkerung, Klimawandel, Meere voller Plastik, Bienensterben: Die Liste der Bedrohungen ist lang. Für manche Panikmache, für andere das Ende der Welt. Inwiefern müssen Sie die Jugendlichen auch mal beruhigen?

Eigentlich gar nicht so sehr. Jugendliche wissen ganz gut Bescheid, vielen ist die Komplexität aber nicht bewusst. Die haben keine Angst vor einer Riesenkatastrophe. Andererseits hat sich auch hier viel getan. Früher waren die Schüler der Sekundarstufe II brave Lämmer, die bei Führungen keine Fragen gestellt haben. Das hat sich verändert. Bei einer Führung zum Thema Fließgewässer haben die Jugendlichen beispielsweise sehr viel gefragt. Das war für mich neu. Bei den Grundschülern steht auf der Ökostation das forschende, entdeckende Lernen im Fokus. Aber auch die Sechs- bis Zehnjährigen haben schon vom Klimaschutz gehört. Während das Thema früher in Schule und Kindergarten gar nicht vermittelt wurde, wissen die Kinder heute eine Menge. Das hat sich auch bei unseren Klimaschutz-Rallyes gezeigt. Und unsere beiden Ferienwochen zum Thema Klimaschutz sind schon ausgebucht.

Was halten Sie persönlich von der Fridays-for-Future-Bewegung und von den Ambitionen der 16-jährigen Greta Thunberg?

Greta Thunberg hat den Stein ins Rollen gebracht. Ich finde das großartig, was das Mädchen da losgetreten hat. Die Jugendlichen werden politisiert. Jahrelang hatte man den Eindruck, dass sie sich nicht wirklich für Umweltthemen interessieren. Aber jetzt merken sie, dass sie eine Stimme haben und spüren ihre Selbstwirksamkeit.

Nun will die Schwedin ein Jahr mit der Schule aussetzen und stattdessen im September und Dezember an Klimagipfeln in New-York und Santiago de Chile teilnehmen. Hinreise womöglich per Schiff. Inwiefern zeigt sie damit die Absurdität des Gipfels, zu dem die meisten zwangsläufig per Flugzeug anreisen?

Greta Thunberg legt den Finger in die Wunde und dadurch werden neue Diskussionen ausgelöst. Vor allem, wenn die Gipfelteilnehmer nichts bis wenig erreichen.

Sind Sie selbst oft geflogen?

Nein, seit 30 Jahren nicht mehr. Aber ich würde gern mal nach Südamerika reisen. Dann werde ich natürlich wieder fliegen. Viele jetten sogar für ein Wochenende nach Paris oder Lissabon – das muss ja nicht sein.

Apropos Flugzeug und Auto, haben Sie persönliche Visionen, wie es weitergehen wird? Werden unsere Enkelkinder wieder mit Fahrrad und Zelt in Holland Urlaub machen?

Das könnte nicht schaden (lacht). Als ich jung war, hat man möglichst schnell den Führerschein gemacht und fuhr mit dem Auto. Da gibt es bei den jungen Leuten heute ein ziemliches Umdenken. Und da wird auch noch so einiges kommen. Es ist ja auch eine tolle Erfahrung, mit dem Rad zu fahren und sich auf das Einfachste zu beschränken, sich dann bei Zeltnachbarn was auszuleihen und dadurch Leute kennenzulernen.

Im Internet grassieren zum Thema Klimawandel sowohl unseriöse Horror-Szenarien als auch verantwortungslose Verharmlosungen. Welche Informationsquellen empfehlen Sie Ratsuchenden?

Ich würde die Seiten des Alfred-Wegener-Instituts, des Umweltbundesamtes und den Umweltzustandsbericht 2019 des Bremer Senators für Umwelt Bau und Verkehr empfehlen. Interessant sind aber auch die Seiten von den Umweltschutzverbänden Bund, Nabu, WWF oder Greenpeace.

Rein visionär: Wie wird es auf der Erde in 1000 Jahren aussehen?

Ich weiß nicht, ob es uns Menschen dann noch gibt. Neben Klimawandel samt Folgeproblemen fragt sich, wovon die Menschen bei dem Bevölkerungswachstum satt werden sollen. Das wird nur mit radikalem Umdenken gehen. Möglicherweise wird es aber auch Epidemien geben, auf die die Medizin keine Antwort hat. Generell bin ich aber optimistisch, dass die Menschheit an Lösungen arbeitet und es irgendwie weitergeht.

Zurück zum Hier und Jetzt: Was versprechen Sie sich nach dem enormen Erfolg der Grünen für die Ökologiestation? Wird jetzt womöglich mehr Geld fließen?

Die Ökostation wird aus vielen Töpfen finanziert, maximal ein Drittel der Summe kommt aus dem öffentlichen Haushalt. Der Löwenanteil besteht aus Projektgeldern von Stiftungen und privaten Geldgebern sowie aus Mieteinnahmen. Die Spendenbereitschaft hat enorm zugenommen. Das bestärkt uns in unserer Arbeit. Aber es wäre natürlich wünschenswert, dass der Topf für die Umweltbildung künftig voller sein wird und wir einen größeren Brocken davon abkriegen.

Inwiefern arbeiten sie derzeit mit ehrenamtlichen Mitarbeitern?

Es ist schwierig, Ehrenamtliche zu finden, auf die man fest bauen kann. Das hat sich nicht verändert. Aber wir haben einen Stamm ehrenamtlicher Helfer, die uns sehr unterstützen. Zurzeit brauchen wir zur Gestaltung eines insektenfreundlichen Gartens allerdings noch weitere verlässliche Ehrenamtliche. Das ist unser aktuelles Anliegen. Wir hoffen, durch gemeinschaftliches Errichten neuer Insekten-Lebensräume die Artenvielfalt im Stationsgelände deutlich zu erhöhen.

Das Interview führte Imke Molkewehrum.

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Martina Schnaidt

ist Diplom-Biologin. Die 59-Jährige leitet die1979 gründete Ökologiestation in Schönebeck seit fast 20 Jahren.

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