Wer bei Shantys an schönes Bordleben und Seefahrer-Romantik denkt, sollte dem Bremer Chor Hart Backbord lauschen. Dessen Lieder sind meilenweit entfernt von Musik à la „Junge, komm bald wieder“. „Unser Chor hat sich 1978 gegründet, um die maritime Musik zu etablieren, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert an Bord der Großsegler gesungen wurde“, erzählt Thorsten Rosenbaum, kurz Toddy genannt, Vorstandsmitglied und seit langem Sänger bei Hart Backbord. Dessen Lieder beschreiben das Leben an Bord, wie es wirklich war. Von wegen schönes Wetter und toller Kapitän. Im Gegenteil – die Arbeit an Bord war anstrengend. Keine Seltenheit, dass das Essen schlecht war und der Käpt‘n unsanft mit seiner Crew umsprang. Das Shanty „Rolling Home“ zum Beispiel, sagt Thorsten Rosenbaum, rühre daher, dass die Seeleute von den schlechten Bedingungen an Bord die Nase gestrichen voll hatten und nach Hause wollten.
Beim Internationalen Festival Maritim, das Vegesack an diesem Wochenende in eine große Open-Air-Meile am Wasser verwandelt, darf der Chor Hart Backbord nicht fehlen. Kein Jahr, in dem er dort nicht auftritt. Ohne Hart Backbord würde es das Festival womöglich gar nicht geben. Der Chor hatte es 1995 zum ersten Mal angeschoben – damals noch als internationales Kneipenfestival unter dem Namen „Festival Music Maritim“. In Liverpool hatte sich die Gruppe 1989 genau angeschaut, wie Festivals auf die Beine gestellt werden. So etwas, kam den Musikern dabei in den Sinn, müsste man auch in Bremen probieren, erinnert sich Thorsten Rosenbaum. Vegesack mit seinem maritimen Flair und der Walfanggeschichte bot sich geradezu an. Ein bisschen dauerte es dann aber noch, bis die beiden Chor-Urgesteine Hartmut Emig und Erich Meyer in die Probe kamen und den Chor mit den Worten „Wir haben da eine Idee – macht ihr mit?“ auf die Festival-Spur setzte. Unterstützt von Egbert Heiß, damaliger Nordbremer Kulturreferent, nahm das erste Vegesacker Shanty-Festival 1995 seinen Lauf.
Tour durch die Kneipen
Es gab eine Menge zu organisieren, blickt Thorsten Rosenbaum zurück. 14 internationale Shantygruppen konnte Hart Backbord für das erste Festival an der Vegesacker Waterkant an Land ziehen. Sie kamen aus Frankreich oder Dänemark. „Ich kann mich auch noch gut an einen Bus voller ,voller‘ Briten erinnern.“ Es gab Straßenmusik, aber hauptsächlich zogen die Shantygruppen durch Vegesacks Kneipen rund um den Hafen. Die Tour dauerte von 20 Uhr bis Mitternacht und bot Live-Musik im Muddy, im Fährhaus, im Grauen Esel, im Da Capo, im Loretta und im Nautilus. Ebenso im Pinökel und im Kito. „Das Festival war ein Riesenerfolg“, kann sich Thorsten Rosenbaum heute noch freuen. „Wir sind absolut froh, dass wir das damals angestoßen haben. Man hatte gesehen: Es gibt einen Bedarf für solche Festivals.“
Hinter der Idee, in Bremen-Nord ein solches Festival zu etablieren, stand auch die Tatsache, dass „die Shantychor-Szene geprägt war von deutschen Marinekameraden und deren Seemannsliedern“. Was eigentlich verwundert, gibt Thorsten Rosenbaum zu bedenken, denn „an Bord der Marine durfte gar nicht gesungen werden“. Shantys seien internationale Lieder – „eine sehr internationale Musik“. Hart Backbord geht es seit der Gründung darum, zu zeigen, dass es noch etwas anderes gibt als „Kleine Möwe flieg nach Helgoland“. Chorgründer Hartmut Emig hatte damals recherchiert und stieß vor allem in England auf eine Menge Material, das dem Chor half, die Lieder der Seemänner möglichst authentisch zu singen. In deren Arbeitsalltag an Bord unterstützte der Refrain sie, im Rhythmus zu bleiben. Segel setzen, Taue einhholen und Deck schrubben ging mit Gesang besser von der Hand. Traditionelle Shantys seien aber auch eine Möglichkeit gewesen, gegen die Zustände an Bord zu protestieren.
Enger Kontakt zum Publikum
Beim Festival Maritim hat Hart Backbord – mit Gesang, Gitarre, Bass, „Quetschkommode“, Trommel und Ukulele – übers Wochenende mehrere Auftritte an verschiedenen Stellen. Es sei immer noch ein besonderer Reiz, „mit vielen, vielen Leuten zusammenzukommen, auf der Bühne zu stehen und den anderen Musikern zu begegnen“, schwärmt Thorsten Rosenbaum. „Es ist faszinierend, dass das Festival Maritim so riesig groß, aber dennoch der Kontakt zum Publikum und zu den anderen Künstlern so nah ist.“ Wettermäßig haben die Gruppen bei ihren Seasongs schon so ziemlich alles erlebt. Es gab sonnige Festivals in Vegesack, dass man es vor Hitze kaum aushalten konnte. Und es gab solche, bei denen es wie aus Kübeln vom Himmel schüttete. Da seien dann alle in die Kneipen gegangen und haben dort weitermusiziert. Wie ganz zu Anfang. Draußen stand schon das Wasser vor der Tür, erinnert sich Thorsten Rosenbaum, als es hieß: „Eine Viertelstunde habt ihr noch. Sonst müsst ihr hier bleiben. Wir machen gleich die Schotten dicht.“