Herr Striesow, Ende November lesen Sie in Vegesack aus der Blechtrommel. Was fasziniert Sie so an dem Werk von Günter Grass?
Devid Striesow: Ich bin erst durch die Lesung mit dem Stoff vertraut geworden. Nachdem ich die Lektüre genossen hatte, war ich sehr erstaunt von der unglaublichen Kraft der Sprache. Sie ist bildgewaltig und haptisch, sodass das in unserer Fassung, die wir auf die Trommel hin gemacht haben, wunderbar passt. Es entstehen großartige Bilder im Kopf, während man es liest und ich hoffe, dass es dem Publikum genauso geht, wenn sie es hören. Aber davon gehe ich aus. Die Reaktionen auf die Lesung waren bisher durchweg positiv, erstaunt und dankbar.
Sie sprachen gerade schon von "wir", denn Sie werden nicht alleine auf der Bühne stehen.
Das stimmt. Neben mir, und darüber bin ich sehr froh, wird der Hamburger Percussionist Stefan Weinzierl auf der Bühne stehen. Er spielt alle möglichen Schlaginstrumente, vom Marimbaphon über das Vibraphon, Trommeln, Pauken, Geigen- und Bassbogen bis hin zur singenden Säge. Das unterstützt den Text, das macht ihn noch stärker, noch reicher und bringt mir noch mehrere Ebenen mit. Dadurch wird die Lesung zu einem regelrechten Klangerlebnis.
Und wie kam es zu dieser Kooperation?
Stefan Weinzierl ist mit der Idee an mich herangetreten und ich war gleich Feuer und Flamme, zumal wir uns auch menschlich gleich sehr gut verstanden haben. Da war keine Distanziertheit, da ging es gleich um die Sache. Bis zu diesem Zeitpunkt sind wir uns allerdings noch nicht auf der Bühne begegnet. Es gab die Lesefassung, die ein wenig aussieht, wie eine Partitur, damit ich mit meiner Stimme mitmusizieren kann. Dann stand die erste Probe an. Zu der Zeit hatte ich eine Aufführung des Ivanov im Hamburger Schauspielhaus. Die war auf den Nachmittag angesetzt und es regnete wie verrückt. Das Haus war ausverkauft und ein Kollege wurde krank. Daraufhin trat das Schauspielhaus an mich heran und fragte mich, ob ich nicht eine Lesung oder etwas anderes habe, damit man die Leute nicht einfach so wieder in den Regen schicken muss. Dann habe ich Stefan Weinzierl gefragt, ob wir unsere erste Probe überhaupt, unsere Generalprobe und erste Vorstellung an diesem Nachmittag auf der großen Bühne machen wollen? Er war verrückt genug, um mit mir mitzuziehen und so war die erste Probe zugleich unsere erste Vorstellung. Und es war toll. 900 Leute waren da und vollends begeistert.
Was für eine starke Geschichte.
Finde ich auch. Und solche Momente muss man nutzen. Da kann man doch nicht sagen, 'oh nein, wir müssen erst proben'. Da muss man ins kalte Wasser springen und sich sagen: Das wird schon schiefgehen. Außerdem werden es die Leute auch lieben, wenn man Fehler macht, was uns allerdings nicht passiert ist. Aber selbst wenn man Fehler macht, die Zuschauer wissen Bescheid und wissen das auch zu schätzen. Und wir wissen auch das Publikum zu schätzen.
Welche Projekte beschäftigen Sie aktuell neben der Blechtrommel?
Eine ganze Menge. Ich befinde mich zum Beispiel gerade in der Vorbereitung für die Warner Brothers-Kinoproduktion 'Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war' von Joachim Meyerhoff. Dieser autobiografische Roman beschäftigt sich mit seiner Kindheit in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Celle, in der sein Vater der Anstaltsleiter war. Und den spiele ich. Das ist jetzt in der Mache. Außerdem hoffe ich, dass hin und wieder eine Vorstellung Ivanov am Schauspielhaus in Hamburg stattfinden kann, weil ich dieses wunderbare Theater einfach so wahnsinnig schön finde und da so gerne spiele.
Warum mögen sie das Schauspielhaus in Hamburg so gerne?
Das hat ein bisschen auch mit meiner Biografie zu tun. Das war eines der ersten Theater, an dem ich nach dem Hochschulabschluss gespielt habe. Außerdem ist es das größte Sprechtheater im deutschsprachigen Raum. Wenn man auf der Bühne steht und den Zuschauerraum guckt, ist das echt ein Erlebnis.
Wollten Sie schon immer Schauspieler werden?
Nein, ich komme von der Musik. Ursprünglich wollte ich aber etwas ganz anderes machen. Ich wollte etwas machen, was mich mit der Natur verbindet. Es gab im Osten die Möglichkeit, eine Berufsausbildung mit einem Abitur zu machen. Das war meine erste Idee. Das nannte sich Bauer mit Abitur und war in der LPG in Trinwillershagen. Das habe ich dann aber doch nicht gemacht und stattdessen ein Studium der Plektrumgitarre begonnen. Im Anschluss kam dann das Schauspielstudium.
Zusätzlich zu Ihrem Musikstudium haben Sie auch eine Gesangsausbildung absolviert.
Genau, vor meinem Musikstudium habe ich parallel zum Klavier- und E-Gitarren-Unterricht auch eine Gesangsausbildung gemacht.
Bei welchen Gelegenheiten kommt Ihre musische Ader zum Vorscheinen?
Wir machen eine musikalische Lesung mit Jonas Dassler und Lenny Mockridge für den Berliner Dom im Oktober. Auf dem Programm steht der Roman Von Mäusen und Menschen und dabei werde ich, endlich mal wieder nach langer Zeit, auf der Bühne Geige spielen. Da freue ich mich schon wahnsinnig drauf. Ich hoffe aber, dass wir mit der Lesung auch an andere Orte kommen.
Stehen Sie eigentlich lieber auf der Bühne oder vor der Kamera?
Das ist eine Wechselwirkung. Wenn ich ein großes Projekt gedreht habe, wo es innerhalb von kürzester Zeit so viel zu tun gibt und alles so komprimiert ist, dann freue ich mich wahnsinnig darauf, eine Probebühne zu betreten, Zeit zu verbringen, Texte durchzugehen und einfach mal auf dem Boden zu liegen und in den Bühnenhimmel zu gucken. Dabei kann ich dann überlegen, wie man Dinge machen kann und was man anders machen kann. Und wenn ich das dann wieder eine ganze Zeit gemacht habe, Theaterproben gehen immer so sieben, acht Wochen, dann freue ich mich auch schon wieder auf das nächste Projekt, das gedreht werden kann. Bei dieser Wechselwirkung passe ich aber immer auf, dass der Spaß nicht verloren geht.
Wie erleben Sie Ihre Arbeit in Zeiten der Pandemie? Da ist ja doch vieles anders.
Das ist ganz, ganz viel anders. Wir haben zum Beispiel die Blechtrommel bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen gespielt. Das war draußen in einem Stadion, auch wunderschön. Aber die Leute mussten natürlich Masken tragen und saßen auch ein ganzes Stück von uns weg. Wenn ich nicht meine Frau im Publikum gehabt hätte, die hinterher gesagt hat, 'Nein, die Leute waren völlig aus dem Häuschen', hätte ich sonst keine Reaktion gehabt. Auf der Bühne habe ich überhaupt nichts von den Menschen gehört und auch an den Gesichtern nichts gesehen, weil die ja Masken aufhatten. Das war schon ein bisschen merkwürdig. Ich war hinterher wahnsinnig froh, als man mir gesagt hat, dass es den Leuten gefallen hat. Es gab zwar hinterher einen mördermäßig guten Applaus. Aber wenn man als Spieler auf der Bühne so gar keine Reaktion bei einem Live-Auftritt hat, dann ist das erst einmal sehr gewöhnungsbedürftig.
Das Interview führte Aljoscha-Marcello Dohme