Frankreich, Italien, Spanien, Portugal – Jürgen Hoppe kommt in der Welt herum. Und vor allem: Er weiß an jedem Ort etwas zu erzählen. Der Reiseleiter kennt die Geschichten hinter der Geschichte. Nicht nur in fernen Ländern, auch vor der eigenen Haustür in Vegesack. Und hier sogar op Platt.
Unser erstes Ziel ist die Aumunder Synagoge. Besser gesagt: der Platz, an dem sie einst stand, nicht weit von der Aumunder Kirche entfernt. Im Jahr 1834 hatten jüdische Bürger hier ein Grundstück erworben und eine Synagoge errichtet. Im Zuge der Pogromnacht gegen Juden wurde sie am Nachmittag des 10. November niedergebrannt. „An'n 9. November 1938 hebbt se in Bremen de Synagoge in Brand steckt, een Dag achteran hebbt se denn hier allns tohopekloppt“, sagt Jürgen Hoppe. „Dat is een Katastrophe wesen.“ Rund 60 Juden aus Bremen-Nord seien 1941 und 1942 nach Minsk und ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert worden, wo sie hingerichtet wurden oder an den Folgen der Misshandlungen starben. An die einstige Synagoge erinnert ein Mahnmal. Es ist ein aus drei Bronze-Elementen bestehendes Kunstwerk. Eine würdige Form der Erinnerung, findet der Gästeführer und nimmt nun Kurs in Richtung Weser.
Vorbei an schmucken Kapitänshäusern und zwischendurch was zum Rätseln: „Wo kummt de Nam Vegesack her?“, möchte Jürgen Hoppe wissen und liefert zwei mögliche Antworten gleich mit: „Kiekt Se mol trüch - dar unnen is de Weser“, deutet er Richtung Hafen, und man sehe doch sofort, dass die Wege dorthin abschüssig verlaufen, also absacken. Oder heißt Vegesack Vegesack, weil die Kapitäne und Smutjes hier so gern ins Wirtshaus einkehrten, auf dass der Geldbeutel, der Sack, bald leer gefegt war?
Wie auch immer – die Aufmerksamkeit gilt ein paar Schritte weiter schon einem – ja, eigentlich einem Nichts. Der gähnenden Leere auf dem Sedanplatz nämlich. Der Gästeführer verhehlt nicht, dass es seiner Ansicht nach gelungenere Bauten als die Markthalle gibt. Das hätte was werden können damals, wenn man in Vegesack mutig gewesen wäre und sich für das Symbolon des Wiener Künstlers Ernst Fuchs entschieden hätte, findet Jürgen Hoppe. „Eine farbenfrohe und fantastische Kunstmarkthalle“, wie Fuchs seinen kuppelförmigen Bau beschrieb. Das wäre eine Attraktion gewesen, meint der Gästeführer. Das hätte Busladungen voller Besucher in den Bremer Norden gezogen. „Über 60 Journalisten aus der ganzen Welt“ seien damals angereist, als man die Pläne vorstellte, aus denen dann nichts wurde. Also, lieber weiter zur Weserstraße mit ihren stattlichen Villen und dem bezaubernden Blick über den Stadtgarten und über den Fluss, der das gepflegte Grün wie ein Saum einfasst. Gerade tuckert ein wuchtiges Frachtschiff Richtung Bremen.
Früher zogen sich hier die Gärten der Villen bis ans Wasser. Am Hang hatte der Vegesacker Botaniker und Arzt Albrecht Wilhelm Roth um 1790 einen botanischen Garten mit über 600 Sträucher- und Gehölzarten aus aller Welt angelegt. Kapitäne brachten von ihren weiten Reisen zudem immer wieder Baumpflanzen mit, die den botanischen Garten ergänzten. Und am Wegesrand erinnert ein Ehrenstein an die Lehrerin Hanna Borcherding, die mit ihren Schülern regelmäßig in den Stadtgarten zog, um hier „klar Schiff zu machen“. Wer auf die Villen blickt, kann noch etwas vom einstigen herrschaftlichen Leben erahnen. „Dat wör richtig elegant hier to'n Utklang vun'n 19. Johrhunnert“, erzählt Jürgen Hoppe. „Mit Hotels un Lokalen, Orchester un Danztee.“
Durch die Reeder-Bischoff-Straße geht es nun zurück Richtung Hafen. Nicht ohne am Brunnen Halt zu machen, wo sich der Rundgang auch thematisch schließt. Der Brunnen erinnert an den in Kopenhagen eingesetzten Botschafter Duckwitz, der im Zweiten Weltkrieg dafür gesorgt hatte, dass die dänischen Juden nach Schweden ausgeschifft wurden, als Dänemark unter deutsche Besatzung geriet und ihnen das Vernichtungslager drohte.