Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Stadtteil-Führungen Vegesack op Platt

Jürgen Hoppe kennt die Geschichte hinter der Geschichte. Der Reiseleiter hat einen Faible für Sprachen, auch dass er platt schnackt macht es für Touristen spannend - insbesondere bei einer Tour durch Vegesack.
07.06.2021, 18:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Ulrike Schumacher/usch

Frankreich, Italien, Spanien, Portugal – Jürgen Hoppe kommt in der Welt herum. Und vor allem: Er weiß an jedem Ort etwas zu erzählen. Der Reiseleiter kennt die Geschichten hinter der Geschichte. Nicht nur in fernen Ländern, auch vor der eigenen Haustür in Vegesack. Und hier sogar op Platt.

Unser erstes Ziel ist die Aumunder Synagoge. Besser gesagt: der Platz, an dem sie einst stand, nicht weit von der Aumunder Kirche entfernt. Im Jahr 1834 hatten jüdische Bürger hier ein Grundstück erworben und eine Synagoge errichtet. Im Zuge der Pogromnacht gegen Juden wurde sie am Nachmittag des 10. November niedergebrannt. „An'n 9. November 1938 hebbt se in Bremen de Synagoge in Brand steckt, een Dag achteran hebbt se denn hier allns tohopekloppt“, sagt Jürgen Hoppe. „Dat is een Katastrophe wesen.“ Rund 60 Juden aus Bremen-Nord seien 1941 und 1942 nach Minsk und ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert worden, wo sie hingerichtet wurden oder an den Folgen der Misshandlungen starben. An die einstige Synagoge erinnert ein Mahnmal. Es ist ein aus drei Bronze-Elementen bestehendes Kunstwerk. Eine würdige Form der Erinnerung, findet der Gästeführer und nimmt nun Kurs in Richtung Weser.

Vorbei an schmucken Kapitänshäusern und zwischendurch was zum Rätseln: „Wo kummt de Nam Vegesack her?“, möchte Jürgen Hoppe wissen und liefert zwei mögliche Antworten gleich mit: „Kiekt Se mol trüch - dar unnen is de Weser“, deutet er Richtung Hafen, und man sehe doch sofort, dass die Wege dorthin abschüssig verlaufen, also absacken. Oder heißt Vegesack Vegesack, weil die Kapitäne und Smutjes hier so gern ins Wirtshaus einkehrten, auf dass der Geldbeutel, der Sack, bald leer gefegt war?

Wie auch immer – die Aufmerksamkeit gilt ein paar Schritte weiter schon einem – ja, eigentlich einem Nichts. Der gähnenden Leere auf dem Sedanplatz nämlich. Der Gästeführer verhehlt nicht, dass es seiner Ansicht nach gelungenere Bauten als die Markthalle gibt. Das hätte was werden können damals, wenn man in Vegesack mutig gewesen wäre und sich für das Symbolon des Wiener Künstlers Ernst Fuchs entschieden hätte, findet Jürgen Hoppe. „Eine farbenfrohe und fantastische Kunstmarkthalle“, wie Fuchs seinen kuppelförmigen Bau beschrieb. Das wäre eine Attraktion gewesen, meint der Gästeführer. Das hätte Busladungen voller Besucher in den Bremer Norden gezogen. „Über 60 Journalisten aus der ganzen Welt“ seien damals angereist, als man die Pläne vorstellte, aus denen dann nichts wurde. Also, lieber weiter zur Weserstraße mit ihren stattlichen Villen und dem bezaubernden Blick über den Stadtgarten und über den Fluss, der das gepflegte Grün wie ein Saum einfasst. Gerade tuckert ein wuchtiges Frachtschiff Richtung Bremen.

Früher zogen sich hier die Gärten der Villen bis ans Wasser. Am Hang hatte der Vegesacker Botaniker und Arzt Albrecht Wilhelm Roth um 1790 einen botanischen Garten mit über 600 Sträucher- und Gehölzarten aus aller Welt angelegt. Kapitäne brachten von ihren weiten Reisen zudem immer wieder Baumpflanzen mit, die den botanischen Garten ergänzten. Und am Wegesrand erinnert ein Ehrenstein an die Lehrerin Hanna Borcherding, die mit ihren Schülern regelmäßig in den Stadtgarten zog, um hier „klar Schiff zu machen“. Wer auf die Villen blickt, kann noch etwas vom einstigen herrschaftlichen Leben erahnen. „Dat wör richtig elegant hier to'n Utklang vun'n 19. Johrhunnert“, erzählt Jürgen Hoppe. „Mit Hotels un Lokalen, Orchester un Danztee.“

Durch die Reeder-Bischoff-Straße geht es nun zurück Richtung Hafen. Nicht ohne am Brunnen Halt zu machen, wo sich der Rundgang auch thematisch schließt. Der Brunnen erinnert an den in Kopenhagen eingesetzten Botschafter Duckwitz, der im Zweiten Weltkrieg dafür gesorgt hatte, dass die dänischen Juden nach Schweden ausgeschifft wurden, als Dänemark unter deutsche Besatzung geriet und ihnen das Vernichtungslager drohte.

Zur Person

Die Liebe zu Sprachen und ein Schuhgeschäft

Jürgen Hoppe ist seit vielen Jahren Gästeführer für die Bremer Touristikzentrale. Er sei oft gefragt, wenn Besucher aus Frankreich in der Hansestadt sind, erzählt er. Von den rund 80 Gästeführern könnten höchstens fünf Französisch. Noch weniger seien es für die plattdeutschen Führungen, die allerdings auch nur vereinzelt von Heimatvereinen oder Volkshochschulkursen gebucht würden. „Da sind wir nur zu zweit, die Plattdeutsch können.“

Gut zu Fuß sein aber müssen sie alle. Wie viele Kilometer Jürgen Hoppe mit seinen Gästen rund ums Bremer Rathaus und in Vegesack schon auf Sohlen hinter sich gelassen hat? Der Gästeführer zählt sie längst nicht mehr. Jede Tour mit ihm ist stets aufs Neue eine ebenso schwung- wie humorvolle und informative Spazier-Reise. Immer wieder zu neuen Wegen aufzubrechen, könnte auch sein Lebensmotto sein. Der 74-Jährige ist viel herumgekommen auf seinem wechselvollen beruflichen Pfad. Die Stationen heißen München, Südafrika, Norderney und schließlich Vegesack, wo er zusammen mit einer Freundin das Kinderschuhgeschäft „Momo“ führte.

Da hatte Jürgen Hoppe, der in Vechta geboren wurde, aber längst seine sprachliche Ader entdeckt. Nach dem Wirtschaftsabitur und der ersten Arbeitsstelle bei einer Reederei, besuchte er die Dolmetscherschule für Englisch und Spanisch, studierte außerdem englische Geschichte und Architektur, sattelte Internationalen Tourismus drauf und arbeitete für das Steigenberger Hotel in Südafrika. Danach zog es ihn auf die Nordseeinsel Norderney, „bis meine beste Freundin meinte: ,Jürgen, lass uns doch ein Geschäft in Bremen aufmachen'“, erzählt er. Und so kam Jürgen Hoppe 1981 nach Vegesack, verkaufte Kinderschuhe, aber wollte unbedingt noch „wat för den Kopp“ machen. Deshalb studierte er an der Hochschule Bremerhaven nebenbei vier Semester Maritimen Tourismus, knüpfte darüber Kontakt zur Bremer Touristikzentrale, die ihn aus dem Stand heraus engagieren wollte. „Se köönt morgen anfangen“, habe man ihm damals gesagt, erinnert sich der Gästeführer. Er griff zu.

Plattdüütsch habe er im Übrigen während der Kindheit auf dem Bauernhof seiner Tante in der Nähe von Vechta gelernt, wo Jürgen Hoppe oft die Ferien verbrachte. Genauer: „Bi de Kinner op de Straat.“ Die hätten nämlich ausschließlich Platt geschnackt. Und wenn man das nicht auch so machte, „hett dat links un rechts wecke an de Ohren geven“.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)