Sie sind gerade mal auf Augenhöhe mit ihren bunten Trinkflaschen auf dem Tisch neben dem Spielbrett. Damit sie sich gebührend der Etikette über dem Schachbrett die Hand schütteln können, um eine gute Partie zu besiegeln, müssen sich weit nach vorne beugen und mit der freien Hand noch vom Stuhl nach oben drücken. Grinsend landen sie wieder auf ihren Stühlen, starten die Zeituhr und los geht es: Gelernte Schachzüge werden gespielt, die Figuren wandern übers Feld – es wird ruhig, je konzentrierter die beiden Jungs über ihren nächsten Zug grübeln. Beim Schachturnier für Anfänger in der Vegesacker Stadtbibliothek am vergangenen Sonnabend konnten Teilnehmer und Teilnehmerinnen ab sechs Jahren Turniererfahrungen sammeln und ihre Schachkünste präsentieren.
„Es ist ein Turnier für alle, die noch nicht ganz so viel Erfahrungen haben“, erläutert Claas Rockmann-Buchterkirche, Vorsitzender der Jugendabteilung des Schachklubs Bremen Nord. Zum mittlerweile dritten Mal luden die Stadtbibliothek und der Schachklub zu dem Turnier ein, das mit gelockerten Regeln den Einstieg in die Turnierwelt des Schachspiels ermöglichen soll.

Artjom (links) spielt in der Stadtbibliothek unter anderem gegen Liam (rechts im Vordergrund).
Der Großteil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind Kinder unter dreizehn Jahren, doch auch einige erwachsene Anfänger und Anfängerinnen sind gekommen, um drei Stunden Schach zu spielen und sich gegen die Konkurrenz zu beweisen. Auf mehrere Tische und Bretter verteilt, wird in fünfzehnminütigen Partien gegeneinander gespielt: Erst in ausgelosten Duos, dann spielen Sieger gegen Sieger und Verlierer gegen Verlierer.
Im Fokus soll der Spaß stehen, aber während der Einleitung von Rockmann-Buchterkirche, bei der er die Spielregeln vorab erklärt, werden natürlich die wirklich wichtigen Fragen gestellt: "Gibt’s am Ende auch einen Preis?", fragt ein Junge, der den Start offenbar kaum erwarten kann. Auf die Besten warten fünf Pokale und fünf Medaillen. Aber auch die Verlierer gehen nicht leer aus. In ihren finalen Runden spielen sie um Überraschungstüten, die von der Stadtbibliothek vorbereitet wurden.
Viele der teilnehmenden Kinder sind im Grundschulalter und lernen vor allem dort bereits das Schachspiel kennen. Sei es in AGs, mit Outdoor-Schachfiguren auf dem Schulhof oder in Spielecken zum Ausprobieren und Erkunden. Schon früh startet die Faszination für das älteste Spiel der Welt; über Jahrhunderte hinweg begeistert es weiterhin Spieler in allen Altersstufen. "Es sind die unendlichen Möglichkeiten. Es ist kein Spiel mit Zufall, denn es gewinnt der, der am besten nachdenken kann", erläutert Rockmann-Buchterkirche. "Keine Partie ist wie die andere", ergänzt er.
Ältere lernen auch von Jüngeren
Bei dem Schachturnier für Anfänger und im Verein stelle er immer wieder fest, dass Schach ein Spiel für alle Altersklassen sei: "Es sind nicht immer die Älteren, die den Jüngeren etwas beibringen." Obwohl Schach ein eher ruhiges Spiel sei, das viel Konzentration fordere, bringe es auch viel Kommunikation mit sich, um seinem Gegenüber etwas beizubringen.
Beim Turnier in der Stadtbibliothek lässt sich das beobachten: Während manche noch in ihre Wettkampfpartie vertieft sind, nutzen andere, die ihre Partie bereits beendet haben, die Möglichkeit, sich weiter am Brett herauszufordern. Manch einer baut Türmchen aus den Schachfiguren; andere grinsen sich ins Fäustchen, wenn der Gegenüber zum dritten Mal in die gleiche Falle tappt und man diesem im Anschluss endlich den Zug erklären kann.

Sripada, das einzige teilnehmende Mädchen, spielt gegen John. Beide sammeln erste Turniererfahrungen.
"Der Erfolg kommt früher oder später", sagt Rockmann-Buchterkirche. In erster Linie bringe einem Schach bei, das Verlieren lernen zu können. Er erkenne Anfänger und Anfängerinnen daran, wie emotional sie darauf reagieren. "Wer weint und um sich schlägt, spielt noch nicht allzu lange", weiß auch Julia Bassow, die beim Turnier ist, um ihren Sohn Artjom zu unterstützen. Bereits ihre mittlerweile erwachsenen Söhne und ihre Tochter hat sie zu Schachturnieren begleitet.
Sie fiebere am Rand immer sehr mit. Wenn ihre Kinder nach einem Verlust Tränchen in den Augen haben, treffe es auch sie selbst. "Die kommen aber schnell darüber weg und machen dann weiter", erzählt sie. "Die Kinder sind dann einfach drin und freuen sich, dass sie was bewegen können. Man kann ein Spiel nicht einfach wiederholen, weil jedes Spiel anders ist." Groß ist die Freude bei einem Sieg dennoch: Dann wird es bei dem sonst eher leisen Spiel auch mal lauter, wenn die kleinen Sieger ihren Eltern in die Arme springen und rufen: "Gewonnen!"