Der Jahreswechsel ist für Wolfgang Helms die Zeit der Zahlen. Der Geschäftsführer des Vegesack Marketing macht dann Kassensturz – nicht bei den Kaufleuten, die er vertritt, sondern bei den Passanten, die ins Zentrum des Stadtteils kommen. Helms wertet aus, was Lasertechnik für ihn gezählt hat: jeden Fußgänger. Der Marketing-Mann weiß, dass nicht jeder, der registriert wird, automatisch ein Kunde in den Geschäften ist. Rückschlüsse zieht er trotzdem. Zum Beispiel darauf, wie lebendig das Zentrum ist. Und nach seinen Zahlen und Worten ist Vegesack nicht bloß vital, sondern wird immer vitaler.
Egal, welche Messstation der Geschäftsführer nennt, an jeder gibt es ein Plus an Passanten. Helms freut das. Denn obwohl Fußgänger nicht gleich Käufer sind, steigt mit den reinen Frequenzzahlen zugleich die Wahrscheinlichkeit, dass mehr Besucher auch mehr Kunden bedeuten. Ihm zufolge ist es jetzt das zweite Mal, dass die Sensoren genaue Kennziffern für ein komplettes Jahr geliefert haben – und damit das erste Mal, dass Jahre miteinander verglichen werden können. Und sogenannte Eins-a-Lagen der Fußgängerzone mit Eins-b-Lagen der Geschäftsmeile, inklusive deren Entwicklung an Passantenströmen.
Die Gerhard-Rohlfs-Straße ist ersteres für Helms, die Reeder-Bischoff-Straße letzteres. Wie groß der Unterschied zwischen beiden Lagen ist, machen die Zahlen deutlich, die er nennt: 3,5 Millionen Fußgänger in der Gerhard-Rohlfs-Straße, 876 000 in der Reeder-Bischoff-Straße. Im Vergleich zu 2017 hat letztere jedoch mehr zugelegt als erstere – um 5,9 statt 4,2 Prozent. Auch wenn der eine Zuwachs größer ist als der andere, findet Helms beide beachtlich. Er glaubt, dass das doppelte Plus nicht allein mit der Insolvenz des Haven Höövt zu erklären ist. „Beide Einkaufsstraßen“, meint er, „sind attraktiver geworden.“
Nicht nur für Besucher. Helms' Rechnung ist simpel: Steigt die Zahl der Passanten und damit die der potenziellen Kunden, kommen auch mehr Anfragen von Unternehmen, die ein Geschäft eröffnen wollen. Leere Läden gibt es zwar immer wieder, aber weniger als noch vor Jahren. 2013 waren 21 Geschäftsräume ohne Geschäft, im vergangenen Jahr elf. Früher lag die Leerstandsquote bei 14 Prozent, heute liegt sie bei sieben Prozent. Das Vegesack Marketing kam 2017 auf 150 Läden im Zentrum und auf einen Rekord: Innerhalb von zwei Monaten fand sich ein Mieter für ein leeres Geschäft – so schnell wie noch nie.
Attraktivität hat für Helms nicht nur mit dem Sortiment zu tun, das angeboten wird. Und Vitalität nicht bloß mit den Geschäften, die es gibt. Frequenz bringt auch ein Programm für Passanten, wenn es denn gut ist. Helms geht davon aus, ein gutes zu haben. Zu Festen, auch das belegen die Zahlen der elektronischen Zähler, kommen immer mehr Menschen. „Dann“, sagt er, „gehen die Werte quasi durch die Decke.“ Im Zentrum ebenso wie auf der Maritimen Meile. Auch dort registrieren Sensoren jeden, der an ihnen vorbeigeht. 710 000 Fußgänger weist die Statistik für 2018 aus. Macht einen Anstieg von 13 Prozent.
Was das Plus unterm Strich den Einzelhändlern bringt, kann Helms nicht pauschal beantworten. Manche Kaufleute, meint er, profitieren mehr von einem Programm für Passanten, andere weniger. Der Marketing-Mann begründet das zum einen mit dem unterschiedlichen Sortiment – „nicht jede Ware geht bei Festbesuchern gleich gut“ – und zum anderen mit den verschiedenen Standorten der Veranstaltungen – „nicht jedes Geschäft ist gleich nah dran“. Fest steht für ihn jedoch, dass Unterhaltungsangebote ein Zentrum stärken können. Und dass die in Vegesack nicht nur immer mehr Besucher bringen, sondern auch immer mehr von weiter weg.
Studie "Vitale Innenstädte"
Helms erlebt das jetzt öfter: Fragt er Passanten, woher sie kommen, werden zunehmend Orte genannt, die er vor Jahren seltener gehört hat. Neulich kam er mit einem Kunden ins Gespräch, der auf dem Markt Forellen kaufte. Der Mann war aus Weyhe – und nicht etwa wegen der Fische nach Vegesack gekommen, sondern wegen der Eislaufhalle auf dem Sedanplatz. Auch Besucher aus Oldenburg machte Helms während des Winterspaß-Programms aus. Der Geschäftsführer findet das bemerkenswert: „Da kommen Leute aus einer Stadt, die vermeintlich viel zu bieten hat, um in Vegesack Schlittschuh zu laufen!“
Passanten stichprobenartig anzusprechen und sie von Lasergeräten zählen zu lassen, ist eine Sache. Wer genauer wissen will, wie vital ein Zentrum ist, muss mehr machen. Das weiß auch Helms. Alle zwei Jahre werden deshalb Fußgänger ausführlicher befragt. Den Takt geben Marktforscher für eine Studie vor, die „Vitale Innenstädte“ heißt. Die Fragen sind immer dieselben: Woher kommen Sie, warum sind Sie in Vegesack, wie alt sind Sie, was fällt Ihnen positiv auf, was negativ? Die Antworten werden mit denen aus anderen Jahren verglichen. Und mit anderen Zentren.
Wo der Stadtteil im aktuellen Vital-Ranking der Marktforscher steht, will Helms im März sagen, wenn alle Resultate vorliegen. Er hofft, dass sie belegen, was er von den Passantenzahlen ableitet. Und dass der Vegesacker Durchschnittskunde noch einmal jünger wird. Vor Jahren war er 58, mittlerweile ist er 48.