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Serie "Mein Kiez" Cecilie Eckler-von Gleich lebt und liebt Walle seit 44 Jahren

Zweiter Teil der Serie "Mein Kiez": Walle, ein Stadtteil mit Geschichte und Charme. Cecilie Eckler-von Gleich erzählt von ihrer Verbundenheit mit ihrem Kiez in Walle, aus dem sie nie wieder weg möchte.
05.10.2024, 06:00 Uhr
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Von Anke Velten

Wie putzig alles aussieht und wie still es ist. Die ordentlich aufgereihten Spielzeughäuschen, die niedlichen bunten Miniaturautos. Aus hundert Metern Höhe muss man nur den Kopf ein wenig drehen, und schon hat man alles im Blick: von den winzigen Baukränen auf dem ehemaligen Kellogg‘s-Areal bis zum Silo der Rolandmühle, von der Weser bis zur Waller Feldmark. Diesen Überblick hat allerdings nur, wer Wanderfalke ist, oder, wie Cecilie Eckler-von Gleich, gut mit Sven Eppler befreundet, der die Vögel betreut und den Schlüssel zum Waller Funkturm besitzt. Von der Erdoberfläche aus betrachtet ist Walle so groß, lebhaft und facettenreich, dass es eine Weile hin und her geht, bis eine Route ausgehandelt ist. Es gäbe ja so viel mehr zu zeigen und davon zu erzählen.

„Walle ist mein Kiez“, sagt Cecilie Eckler-von Gleich ein wenig unwillig, denn „Kiez“: das sage man in Berlin oder in Hamburg, aber doch nicht in Bremen! Ihre eigene Verbundenheit mit Walle währt bereits 44 Jahre. Doch genauso lange hat sie sich mit der Vorgeschichte des Stadtteils beschäftigt, der vor nicht viel mehr als 120 Jahren noch ein Dorf mit verstreuten Bauernhöfen war. Cecilie Eckler-von Gleich gehörte zu der alternativen, intellektuellen und überaus neugierigen Gruppe junger Leute, die Anfang der 1980er-Jahre in einem winzigen ehemaligen Friseurgeschäft an der Elisabethstraße den Stadtteiltreff „Brodelpott“ betrieb.

Daraus wurde irgendwann das Kulturhaus Walle, eine der wichtigsten Institutionen im Stadtteil. Ein fundamentales Standbein, dessen Reputation weit über Walle hinausstrahlt: Das Geschichtskontor, das seit mehr als 40 Jahren Fotos, Dokumente, geschriebene und erzählte Erinnerungen hütet. Es wurde zum kollektiven Gedächtnis des Bremer Westens. Eckler-von Gleich hat Kulturhaus und Geschichtskontor bis 2017 geleitet, in dieser Zeit einen Stapel lokalhistorischer Bücher geschrieben, viel beachtete Ausstellungen konzipiert, zahllose Vorträge gehalten, dafür gesorgt, dass die Vergangenheit, die unter den Trümmern der Weltkriegsbomben begraben wurde, nicht vergessen ist. Man würde hier wohl schwerlich eine finden, die mehr wüsste über Waller Geschichte und Geschichten.

Wir treffen uns dort, wo sie damals in Walle ankam und Wurzeln geschlagen hat: Vor dem Reihenhaus an der Lübberstedter Straße, in das Anfang der 1980-er Jahre eine siebenköpfige Wohngemeinschaft einzog – darunter das junge Ehepaar Eckler-von Gleich mit Baby. Die anderen zogen irgendwann ins Viertel, die Familie blieb. Die Lübberstedter Straße ist eine von vielen schmucken Wohnstraßen in Walle. Die meisten Häuser mit den hübschen Vorgärten sind liebevoll saniert und gepflegt, sind begehrt bei jungen Familien, die vor allem in den vergangenen Jahren Walle für sich entdeckt haben, erzählt Eckler-von Gleich. Gebaut wurden sie vor etwas mehr als einem Jahrhundert für Leute, die schon etwas bessergestellt waren, Handwerker, kleinere Beamte und Angestellte. Fast alle dürften im nahen Hafen gearbeitet haben.

An Autos war ja noch nicht zu denken, man ließ sich nieder, wo die Arbeit war. Als gut 70 Jahre danach die jungen Tübinger nach Walle kamen, war der Stadtteil kriegsverwundet, alt, grau und müde geworden. So auch das Haus, das sichtlich bessere Tage gesehen hatte. „In unserer Nachbarschaft wohnten nur ältere Leute“, erzählt Eckler-von Gleich. Und dennoch: Bei den Straßenfesten, die auch damals schon gefeiert wurden, habe es keine Berührungsängste gegeben. „Über die Nähe zum Hafen waren die Leute daran gewöhnt, mit anderen, fremden Menschen in Kontakt zu kommen“, so ihre Theorie.

Aber wir wollen ja nicht nur von früher erzählen. Ihr „Kiez“, oder lieber: ihre Nachbarschaft, ist der Ortsteil Westend, und selbst die kompetente Stadtteilführerin weiß nicht, wer dem Quartier einst diesen Namen verpasst hat. „Wir sagen Alt-Walle“, erklärt sie. Wie schlendern durch die Vegesacker Straße, früher eine florierende Einkaufsstraße, später ging es ein wenig bergab, erzählt sie, veränderten Konsumgewohnheiten und der Konkurrenz des Walle Centers geschuldet, das vor 25 Jahren eröffnet wurde. „Aber vor allem in den vergangenen Jahren hat sich hier so viel Positives entwickelt!“

Wir spitzen durch die Fenster des „Hart Backbord“, ein echtes Waller Original. Seit 1984 steht Alex Becker hinterm Tresen. Vor seiner Zeit hieß das Lokal Gaststätte Winter, und hier waren die langhaarigen Studenten weniger gerne gesehen. „Frau Winter forderte uns auf, die Ellenbogen von den Tischen zu nehmen“, erzählt Eckler-von Gleich. „Machten wir natürlich nicht und flogen raus.“ Anfangs sei man abends im Viertel ausgegangen. „Doch nach und nach entstanden immer mehr Orte für junge Leute, das Horizont zum Beispiel oder das Karo und die Galerie des Westens an der Reuterstraße.“

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Schräg gegenüber: Das Blockhaus, einer der ältesten Bioläden der Stadt mit einer erfrischenden Resistenz, sich für den Zeitgeist aufzuhübschen. Am Straßenrand genießen Gäste die spätsommerlichen Sonnenstrahlen auf den Außenterrassen der Restaurants und Cafés. Ein Stückchen weiter vorne: Das Restaurant Renoir, „da gehen wir sehr gerne essen“, erklärt Eckler-von Gleich und erzählt, dass die Inhaberfamilie 2011 die Nachfolge des El Mundo angetreten habe, das nach 25 Jahren an der Vegesacker Straße in die Überseestadt umsiedelte. „Für das El Mundo kamen viele aus der ganzen Stadt zum ersten Mal nach Walle“, weiß Eckler-von Gleich.

Überhaupt: Die Gastronomie sei von unschätzbarem Wert für die Lebensqualität in einem Stadtteil! „Hier werden Menschen zusammengebracht“, sagt sie und steuert das Eiscafé am Familie-David-Platz an, in dem wir unseren Rundgang bei einem Cappuccino beenden wollen. Es wurde 1964 eröffnet und ist damit eine der ältesten Eisdielen in Bremen, erzählt uns Inhaber David de Luca, dessen Familie das Café seit 51 Jahren betreibt. Zuvor müssen wir aber noch nebenan im Logbuch hereinschauen, denn schließlich sei es „die schönste und beste Buchhandlung in Bremen“, findet die Wallerin.

Doch Walle hat ja noch viel mehr zu bieten, und darum hatte unsere Gastgeberin darauf bestanden, dass wir uns zunächst aufs Fahrrad schwingen, um uns den Waller Stieg zu zeigen, wo man wunderbar essen könne mit der schönsten Perspektive auf die Sonnenuntergänge über Fluss und historische Hafenbauten. Danach Richtung Osterfeuerberg mit dem Kulturhaus Walle, der Musikschule und der Union-Brauerei. An der Auguststraße entdeckt sie Franco Iannuzi, der im Blaumann vor seinem Restaurant Aris werkelt: Das schnuckelige kleine Ecklokal, seit vierzig Jahren in Walle, sei ein echter Geheimtipp für alle, die gerne authentisch italienisch essen.

Hätten wir mehr Zeit, so hätten wir auch einen Abstecher in die Fiegenstraße eingelegt, zur kleinen Bäckerei Schröder, für die Wallerin „der beste Bäcker der Stadt“, oder zur Waller Kirche, unter deren barockem Turm ein echter Ritter begraben wurde. Sie hätte uns über den Waller Friedhof geführt, auf dem viele Persönlichkeiten der Stadtgeschichte ihre letzte Ruhe gefunden haben, oder auf die eigene Parzelle, um zu zeigen, wie idyllisch und grün Walle sein kann. Es gäbe ja so viel mehr zu sehen und zu wissen, auch über Kunst und Kultur, die engagierten Vereine und Initiativen, die sozialen Einrichtungen.

„In Walle wohn’ se alle“ lautete der alte Spruch, der abfällig und naserümpfend verstanden werden wollte. Heute wird der Lokalstolz selbstbewusst zur Schau gestellt. Man trägt T-Shirts und Einkaufstaschen mit dem „Echt Walle“-Logo, an fast jedem Laternenpfosten klebt ein schwarz-weißer Sticker mit der charakteristischen Silhouette des Funkturms: „Mein Kiez“ steht darauf. Viele neue Leute sind zugezogen, man schätzt die zentrale Lage und die Tatsache, dass man rundherum alles hat, was man braucht. Doch das Wichtigste: „Wir haben uns hier immer zu Hause gefühlt“, erklärt Cecilie Eckler-von Gleich. „Hier wohnen ganz unterschiedliche Menschen, aber man begegnet sich mit Offenheit und Zugänglichkeit. So war Walle früher, und so ist es geblieben.“

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