Der Waller Beirat „bekennt sich zur Verantwortung des sensiblen Umgangs mit der deutschen Geschichte“, heißt es im aktuellen Beschluss. Nicht einstimmig, aber mit der Neun-Stimmen-Mehrheit von SPD, Grünen und Linken befürwortet der Beirat die Umbenennung von vier Straßen und folgte damit einem Bürgerantrag der Stadtteilgruppe „Walle Entkolonialisieren“. Bevor Columbus-, Leutwein-, Nachtigal- und Karl-Peters-Straße jedoch neue Namen erhalten, soll eine Arbeitsgruppe die betroffenen Anwohnerinnen und Anwohner ausführlich informieren und idealerweise mit ins Boot holen. Dafür wird vermutlich einiges an Überzeugungsarbeit notwendig sein, wie auch im Rahmen der Sitzung deutlich wurde.
Warum diese Straßen umbenennen?
Christoph Columbus (1451-1506) stehe für die Kolonisierung Amerikas und das damit einhergehende Unrecht gegenüber der indigenen Bevölkerung, argumentieren die Antragsteller. Arzt und Afrikaforscher Gustav Nachtigal (1834-1885) hatte im kaiserlichen Auftrag die deutschen Kolonien Togoland und Kamerun gegründet. Karriere-Militarist Theodor Leutwein (1849-1921) war Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika. Betrügerische Mittel beim Landerwerb, Gewalt und Unterdrückung der einheimischen Bevölkerung waren bei der Durchsetzung der deutschen Kolonialherrschaft gang und gäbe.
Der schlimmste und brutalste Rassist von allen war wohl Karl Peters (1856-1918): Der Gründer der Kolonie Deutsch-Ostafrika erhielt für sein grausames Regime schon zu Lebzeiten die Spitznamen „blutige Hand“ und „Hänge-Peters“. Als Kolonialheld restituiert und Vordenker des Nationalsozialismus gefeiert wurde Peters nach 1933. In mehreren deutschen Städten wurden Karl (oder Carl)-Peters-Straßen und Plätze längst umbenannt oder – so wie in Walle – namensgleichen historischen Persönlichkeiten zugesprochen. In Berlin-Mitte wurde 2022 ein Nachtigal-Platz umbenannt. Seit kurzem gibt es in Düsseldorf keine Leutwein-Straße mehr.
Was wären die Alternativen?
Für jede der vier Straßen schlägt der Bürgerantrag Namen vor, die die koloniale Vergangenheit nicht aus dem Straßenbild löschen, sondern die Auseinandersetzung mit der Geschichte aus einer anderen Perspektive anregen. So könnte Walle sich statt an Columbus an die Bolivianerin Bartolina Sisa Vargas erinnern, die 1792 als Widerstandskämpferin gegen die spanischen Kolonisatoren hingerichtet und 2005 zur Nationalheldin von Bolivien erklärt wurde. Die Nachtigalstraße könnte nach Johannes Kohl (1892-1973) benannt werden, der aus Togo stammte und ab 1904 in Bremen lebte. Aktenkundig wurde Kohl, weil er in den 1920er-Jahren für seine Einbürgerung und die Legitimation seines unehelichen Sohns mit einer Deutschen kämpfte.
Die Leutweinstraße könnte künftig den Namen von Anna Mungunda (1932-1959) tragen. Die Angehörige des Volks der Ovaherero wurde in Windhuk von der Polizei erschossen, als sie gegen die Zwangsumsiedlung der Bevölkerung protestierte. Ihr Todestag ist in Namibia ein landesweiter Feiertag als Tag der Frauen und der Menschenrechte. Der Vorname Ndekocha soll schließlich an das Ereignis erinnern, das Karl Peters sein Amt kostete: Das junge Mädchen musste Peters in Haus und Bett zu Diensten sein. Ihre Flucht, gemeinsam mit einem weiteren Hausangestellten, bezahlte sie mit ihrem Leben: Zur Strafe ließ Peters beide öffentlich hängen und ihre Heimatdörfer niederbrennen.
Wie waren die Reaktionen?
Nicht alle Beiratsfraktionen halten die Umbenennung für nötig. Ihm täten die Anwohner leid, denen eine Menge Laufwege, Bürokratie und Kosten bevorstünden, sagte zum Beispiel Franz Roskosch (CDU). Seine Fraktion plädiert für die Beibehaltung der Straßennamen, aber für Info-Tafeln mit QR-Codes. Für „unsozial“ hielt gar FDP-Vertreter Marco Juschkeit das Vorhaben. „Wir haben zurzeit ganz andere Probleme“, so Juschkeit. Den Aufwand sparen würde sich auch das Bündnis Deutschland, zumal die meisten Bürger ohnehin nichts mit den meisten der Namen verbinden würden.
Dem widersprachen gleich mehrere Anwesende aus dem Kreis der Antragsteller: Sie sprachen im Namen ihrer eigenen Familien, deren Vorfahren teils persönlich unter der Kolonialherrschaft gelitten hatten. Die besondere Rolle Bremens in der Kolonialgeschichte erfordere einen kritischen und reflektierten Umgang mit diesem historischen Erbe, heißt es im Beiratsbeschluss. Fazit: Die Umbenennung der genannten Straßen sei „sinnvoll, angemessen und verhältnismäßig.“