Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Ehrenamt im Alter 89-jährige Bremerin kocht wöchentlich für Wohnungslose

89-jährige Bremerin versorgt seit 29 Jahren ehrenamtlich wohnungslose Menschen in der Tagesstätte "Die Tasse" und kocht ihnen donnerstags ein Mittagessen. Weitere freiwillige Helfer werden gesucht.
27.05.2024, 05:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
89-jährige Bremerin kocht wöchentlich für Wohnungslose
Von Ulrike Troue

"Eigentlich müsste ich meinen 90. Geburtstag ja hier mit Sektempfang feiern, dann wäre die Bude voll", sagt Helga Müller scherzhaft. "Das ist ein Donnerstag." In den vergangenen Jahren hat es sich so eingespielt, dass die 89-Jährige an diesem Tag jede Woche eine warme Mahlzeit für Gäste der Hilfseinrichtung "Die Tasse" zubereitet. Und inzwischen engagiert sich die rüstige Seniorin seit 29 Jahren freiwillig für die vom Verein Hilfen für alleinstehende Wohnungslose (Allwo) betriebene Einrichtung.

Mittwochs sei ihr "Heimarbeitstag", erzählt Helga Müller. "Morgens kaufe ich ein, nachmittags wird geschnippelt." Für einen Eintopf muss sie 20 Pfund Kartoffeln schälen, außerdem das Gemüse. "Das macht viel Arbeit", gesteht die Grollanderin. "Und jede Woche koche ich von drei Litern Milch Pudding, abwechselnd Schoko und Vanille." Weil ihre Nachbarn viel Obst im Garten haben und ihr für den guten Zweck Früchte schenken, gibt's zwischendurch mal selbst gemachte rote Grütze.

"Ich koche nur, was mir schmeckt", sagt die 89-jährige Hobbyköchin, die an diesem Donnerstag wieder im offenen Küchenbereich herumwirbelt. Erst schmiert und verteilt sie Brote, danach kocht sie das Mittagessen und ist dabei auch mal für einen Spaß zu haben. Ihre Ausgaben für die Zutaten bekommt sie vom Trägerverein erstattet. "Wir leben nur von privaten Spenden", betont Helga Müller.

Lesen Sie auch

Einige Bremer Unternehmen und Spender unterstützen die Allwo-Tagesstätte. Dienstags, donnerstags und sonntags bekommen Menschen ohne Wohnung dort kostenlos etwas zu essen, zu trinken, können duschen oder ihre Wäsche waschen und finden Anschluss, weil sie unter ihresgleichen über Probleme oder auch Hilfsmöglichkeiten ins Gespräch kommen. Die Allwo hat den Treff in der Fleetstraße 67a vor drei Jahren renoviert, neue Fenster eingebaut und den Aufenthaltsraum mit Küchenecke etwas vergrößert.

"Die meisten Gäste sind Stammkunden", erzählt Helga Müller, die 30 bis 35 Mittagessen für die vornehmlich männlichen Gäste kocht. "Nur vier, fünf Frauen kommen regelmäßig." Daher hat sie donnerstags von 9 bis 16 Uhr ein strammes Programm. "Ich muss ehrlich sagen, freitags morgens bin ich kaputt", gesteht die 89-Jährige, die bis zur Pandemie den Weg von Grolland nach Walle und zurück immer noch mit dem Fahrrad zurückgelegt hat.

Als in den 50er-Jahren beim Ausfüllen von Fragebögen für ihren zweijährigen USA-Aufenthalt deutlich geworden sei, dass sie eine Ader für soziale Arbeit hätte, habe ihr Mutter nur gelacht, erinnert sich Helga Müller. Dabei hat sich die frühere Bürokraft, die verheiratet ist und zwei erwachsene Töchter hat, jahrelang in den Gremien der St.-Lukas-Kirchengemeinde in Grolland engagiert und später lange Zeit bei der Inneren Mission Hilfspakete für Rumänien gepackt.

Lesen Sie auch

Eigentlich wollte sie bei der Bahnhofsmission freiwillig mitarbeiten, gesteht die rüstige Bremerin. Doch eine Freundin, die seinerzeit in der "Tasse" geholfen hätte, habe sie mitgenommen. "Zu Anfang habe ich nur Brote geschmiert", schaut Helga Müller 29 Jahre zurück. Kaffee und Tee habe es immer schon gegeben. Und wenn wer Kekse mitgebracht hätte, seien die verteilt worden.

"Ich hab' nie daran gedacht hier aufzuhören, weil wir ein tolles Team sind: Auf Dietmar, Iwanka, Christa, Irmgard, Irmtraud und Gerd kann man sich verlassen. Sonst geht das nicht", erzählt die Grollanderin. "Und mir macht das Spaß."

"Viele sagen, ich hab' mich nur so fit gehalten, weil ich mich hier immer aufrege", verrät die Bremerin. Beim Blick auf den verwaisten Teller mit einem Häufchen Kartoffelbrei und einem Stück Bratwurst kann sie auch richtig fünsch werden: "Ich stell' mich doch nicht morgens hin und koche, damit das im Mülleimer landet", stellt die 89-Jährige in ihrer direkten Art klar. "Wer weniger Hunger hat, kann das doch sagen, wozu hat er einen Mund."

Damit jeder etwas abbekommt, müsse sie schon mal "kleinlich" sein, führt Helga Müller aus. "Wir geben nur zwei, drei halbe belegte Brotscheiben raus, denn die Gäste sollen hier essen und nichts mitnehmen." Gerade das gefällt Reiner gut. "Das finde ich wichtig, weil wir immer mehr auf der Straße werden", sagt der Obdachlose.

Als ihr anfangs Gäste gesagt hätten "Ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen", sei sie völlig erschrocken gewesen, berichtet Helga Müller frei heraus. "Heute sage ich: Das ist nicht meine Schuld!" Private Kontakte vermeidet Helga Müller: "Die Gäste würden sonst vielleicht in ein Loch fallen, weil sie Erwartungen haben, die wir nicht erfüllen können."

Abgrenzung aus Selbstschutz sei bei diesem Ehrenamt wichtig, weiß die 89-Jährige und wünscht sich wegen des gestiegenen Bedarfs Zuwachs fürs Helferteam. Sonntags kommen teilweise mehr als 70 Hungrige zum Frühstück.

Info

Wer sich für ehrenamtliche Mitarbeit in der Waller Tagesstätte für obdach- und wohnungslose Menschen interessiert, kann sich bei der Allwo-Vorsitzenden Heide Gerstenberger per E-Mail an heide.gerstenberger@uni-bemen.de oder telefonisch unter 0421 223 58 82 melden.
Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)