In unserer auf Effizienz und Kosten-Nutzen-Abwägungen getrimmten Zeit mutet die romantisch überhöhte Ideenwelt, wie sie einst der Komponist Richard Wagner in seinem Opus magnum "Tristan und Isolde" entwarf, als weltfremd an. Die Idee, dass zwei Menschen einander so nahe sind, dass sie ohne einander nicht leben können und schließlich in der Transzendenz des Liebestodes ineinander aufgehen. Doch, was ist, wenn es in einer wohlsituierten Beziehung, in der bislang zumindest dem Anschein nach alles glatt lief, plötzlich zum existenziellen Schwur kommt? Wenn ein Partner so ernsthaft erkrankt, dass er oder sie auf die Lebendspende einer Niere des anderen angewiesen ist? Diese ernste Frage stellt sich in dem Stück "Die Niere" nach Stefan Vögel, das am Sonnabend, 4. September, um 20 Uhr im Theater im Volkshaus, Hans-Böckler-Straße 9, in der Regie von Maria von Bismarck Premiere hat. Dabei schwingt auch immer die Frage mit, wie das eigentlich in Lebensabschnittspartnerschaften ist, in denen auch immer erwogen wird, ob sich vielleicht nicht doch noch etwas Besseres findet. Dass "Die Niere" dennoch eine Komödie ist, dafür sorgen die vielen überraschenden Twists, also Wendungen, die das von der Schwachhauserin vor der Corona-Krise gegründete Ensemble Surprise unter ihrer Leitung genüsslich auskostet. Die renommierte Schauspielerin Maria von Bismarck weiß eben, wie es geht, war sie doch bereits unter anderem am Bremer Theater und an der Bremer Shakespeare Company engagiert.
Zum Inhalt: Arnold und Katrin scheinen in ihrem bisherigen Leben keine Sorgen gekannt zu haben, alles lief wie am Schnürchen. Der Großauftrag, für den der erfolgreiche Architekt nun einen Zuschlag bekommen hat, soll an diesem Abend mit dem befreundeten Ehepaar Diana und Götz gefeiert werden. Auf der Bühne blinkt ein Modell des Objektes der Begierde, das der Stararchitekt in den nächsten zwei Jahren realisieren soll: Der 132 Meter hohe Diamondturm, ein Prachtexemplar von einem Phallussymbol, dementsprechend hüftschwingend umtänzelt von der einem Seitensprung nicht abgeneigten Diana. Klar, Erfolg macht sexy. Und Krankheit ist in einer Gesellschaft, die brutal auf Kosten-Nutzen-Abwägungen setzt, ein Störfaktor oder sie ist gar nicht erst vorgesehen. Dumm nur, wenn dieser "Betriebsunfall" dann doch passiert, wie gerade bei Katrin, die unter beginnendem Nierenversagen leidet. Ehemann Arnold dreht und windet sich, als zur Debatte steht, ob er ihr eine Niere spenden würde. Frank Stuckenbrok, langjähriger Profi im Team des Ensembles Surprise, durchläuft eine ganze Skala von Gefühlsschwankungen und macht das ganz fabelhaft. Von zunächst jovialem Abtun über Erschrecken bis hin zu Angst und unerträglicher Larmoyanz. Und plötzlich mutiert die Spenderniere zum umkämpften Status- und Liebes-Symbol. Denn für Götz ist es eine Frage der Ehre, Katrin seine Niere anzubieten. Arnold reagiert eifersüchtig, da in seinem Stolz gekränkt.
Joachim Graf alias Götz aus Findorff ist begeisterter Hobby-Schauspieler. Zum ersten Mal habe er 2010 bei Volker Löschs "Alt, arm, arbeitslos" im Theater am Goetheplatz auf der Bühne gestanden, erzählt er. Im Anschluss folgten drei Jahre im Senioren-Ensemble des Theaters Bremen. "Aber das wurde ja leider aufgelöst", bedauert er. Nun freut er sich, beim Ensemble Surprise eine neue Heimat gefunden zu haben. Sein Götz ist ebenso lärmend jovial wie herzlich gutmütig. Deshalb kann er auch nicht glauben, dass er am Ende der von den Freunden Verratene ist: "Ihr habt das mit Dianas Seitensprung gewusst?" Ja, haben sie. Und trotzdem würde er sowohl Arnold als auch Katrin immer noch seine Niere spenden. Götz, der gute Mensch von Paris.
"Endlich dürfen wir wieder Theater vor Publikum spielen", strahlt Joachim Graf mit Regisseurin Maria von Bismarck um die Wette. Das sieht der Rest des Schauspiel-Quartetts genauso. Neu dabei sind Anna Sibylla Peikert aus Schwachhausen und Christiane Windeler, die als Gesangspädagogin in Achim an der Musicschool Till Simon unterrichtet. Schon von daher hat Windeler ein Faible für Musik und Tanz. Zuvor hat sie Improtheater gespielt. Peikert arbeitet im Hauptberuf als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. "Eigentlich wollte ich früher Schauspielerin werden", sagt sie. Mit Peikert und Windeler stehen zwei ganz unterschiedliche Schauspiel-Temperamente auf der Bühne. Windeler ist als Diana in Gestik und Mimik mit großem komödiantischen Talent auf den Punkt genau herrlich exaltiert. Peikert gibt die Katrin mit einem Hauch von Melancholie und Desillusionierung, umso munterer und aufgeräumter wird sie, sobald sich ihre fatale Diagnose als falsch herausstellt. Dafür zerfließt ihr ungetreuer Göttergatte in Selbstmitleid. Nicht nur eine überraschende Wendung in der Komödie mit Tiefgang.