- Kommt die Fusion überraschend?
- Wie ist der Prozess bisher abgelaufen?
- Wie fühlt sich die Fusion für die Beteiligten an?
- Wieso Mirjam-Gemeinde?
- Wo wird es Kürzungen geben?
Es sei zugegebenermaßen natürlich mehr eine Vernunftehe als eine Liebesheirat, sagt die Waller Pastorin Sabine Kurth, „aber die Liebe wächst.“ Seit knapp zwei Jahren sind der Gemeindeverbund Immanuel & Walle und die Gemeinde St. Michaelis-St. Stephani dabei, ihre Fusion vorzubereiten. Sofern der Kirchentag – das Kirchenparlament, das zweimal im Jahr tagt – auf seiner nächsten Sitzung am 27. November zustimmt, verschmelzen der Gemeindeverbund und St. Michaelis-St. Stephani zum 1. Januar 2025 zur evangelischen Mirjam-Gemeinde. Hintergrund sind sinkende Mitgliederzahlen und der damit verbundene Zwang zu Kürzungen. Mehrere Gemeindezentren und Kirchen zu unterhalten, ist bei schwindenden Mitgliederzahlen finanziell und organisatorisch schwierig.
Kommt die Fusion überraschend?
Nein. Schon vor 25 Jahren habe es eine erste Sparrunde und Überlegungen dazu gegeben, dass Gemeinden aus der Bahnhofsvorstadt und Walle kooperieren, erzählt Sabine Kurth, die seit 1997 Pastorin in der Gemeinde Walle ist und als Vorsitzende der Steuerungsgruppe mit jeweils drei Delegierten aus jeder Gemeinde den Fusionsprozess begleitet. Zur tatsächlichen Verschmelzung mehrerer Gemeinden kam es damals am Ende zwar noch nicht. Aber: 2007 bildeten die Gemeinden Immanuel und Walle einen Gemeindeverbund, und 2009 schlossen sich St. Michaelis und St. Stephani zur St. Michaelis-St. Stephani Gemeinde zusammen. „Das war die erste richtige Kürzungsrunde, aber der Druck war noch nicht so groß“, so Kurth. Mittlerweile sei das anders: „Alle Gemeindemitglieder kriegen es mit, dass gekürzt wird.“

Die Waller Kirche an der Straße Lange Reihe blickt auf eine 500-jährige Geschichte zurück.
Wie ist der Prozess bisher abgelaufen?
„Dass wir das in zwei Jahren geschafft haben, ist rasend schnell“ findet die Waller Pastorin: „Alle Beteiligten wollten es, und der Prozess ist von allen Seiten sehr wertschätzend und wohlwollend abgelaufen, auch wenn es natürlich mal Punkte gab, wo wir uns gerieben haben. Verschiedene Arbeitsgemeinschaften haben sich ihr zufolge mit unterschiedlichen Aspekten wie Finanzen, Gebäude, Personal oder Kitas beschäftigt.
„Die allerwichtigste war die AG Gemeindeordnung. Die ist die Bedingung für die Fusion und gar nicht so einfach gewesen. Denn auch, wenn die gemeinsame Grundlage natürlich das Evangelium ist, so verändern sich doch viele Werte. Durch den Krieg in der Ukraine etwa ist das Zitat ‚Schwerter zu Pflugscharen‘ für manche mittlerweile problematisch. Deshalb ist es wichtig, dass man solche Positionen nochmal aufnimmt. Die Gemeindeordnung ist auch eine Art Visitenkarte, die wir präsentieren können. Darin wird auch geregelt, wie sich der Vorstand und der Konvent zusammensetzen oder wie Pastorenstellen geregelt werden.“
Abschließend habe sich der mehr als 60 Vertreter der drei Gemeinden zählende Konvent über sämtliche Pragrafen einigen müssen. „Es war mühsam, weil es auch mit Identität zu tun hat. Und mit der Angst, in dieser Fusion könnte ich meine Identität verlieren. Aber es ist wirklich richtig gut geglückt. Wir mussten zwar ein paar Schleifen drehen, haben es aber im September hingekriegt, dass sie fast einstimmig angenommen wurde.“

Die Immanuel-Kapelle an der Elisabethstraße ist am 18. Oktober 1908 eingeweiht worden.
Wie fühlt sich die Fusion für die Beteiligten an?
Kommt es zum Zusammenschluss, dann wird sozusagen aus drei Firmen eine einzige – mit einer gemeinsamen Steuernummer, einem gemeinsamen Konto und einem gemeinsamen Namen. Dafür sprechen pragmatische Gründe, sagt Kurth. „Das Gefühl können wir bei diesem Prozess nur ein bisschen berücksichtigen. Wenn ich am 31. Dezember nach dem Silvestergottesdienst die Waller Kirche abschließe, dann weiß ich aber: Ich werde sie am 1. Januar mit dem gleichen Schlüssel wieder aufschließen – aber die Gemeinde wird dann neu sein.“
Das sei auch für sie nach 28 Jahren in Walle eine hochemotionale Angelegenheit – auch wenn sie voll hinter der Fusion stehe. Dass sich womöglich Gemeindemitglieder mit dem neuen Namen schwertun werden, ist auch der Pastorin bewusst. „Das ist ein Übungsprozess. Wir haben uns überlegt, dass wir in Zukunft von der ‚Mirjam-Gemeinde am Standort Immanuel‘, ‚am Standort St. Michaelis‘ und so weiter sprechen wollen. Das muss man üben, wie wenn man bei einer Hochzeit einen anderen Namen annimmt.“

Seit ihrer Einweihung im November 1966 ein Hingucker: Die St. Michaelis-Kirche am Doventorsteinweg.
Wieso Mirjam-Gemeinde?
Nach einem Aufruf im gemeinsamen Gemeindemagazin „Rückenwind“ waren rund 50 Vorschläge für den neuen gemeinsamen Namen eingegangen, die die eigens zur Namensfindung gebildete Arbeitsgruppe sortierte. „Wir hatten vorher Kriterien dazu entwickelt“, so Kurth. „Zum Beispiel fanden wir, dass es schön wäre, wenn es eine Frau wäre. Es gibt in der BEK bislang keine Gemeinde, die einen weiblichen Namen trägt außer Unser Lieben Frauen – aber das ist ja keine einzelne Peron. Wir hätten auch gerne einen Stadtteilbezug gehabt, was aber ja schwierig ist, weil die Gemeinden in zwei verschiedenen Stadtteilen liegen.“
Fünf Namen seien schließlich in die engere Auswahl gekommen. „Drei biblische Frauennamen, eine Theologin und eine männliche biblische Figur.“ Der Konvent, dem davon am Ende drei Namen vorgestellt wurden, habe sich in der zweiten Sitzung dann „fast einstimmig“ für Mirjam entschieden. Eine gute Wahl, findet Kurth. „Mirjam ist die Schwester von Mose und Aaron – die, die bei der Flucht aus Ägypten singend und tanzend mit ihrer Trommel durch das geteilte Meer vorausgegangen ist. Sie war für ihre beiden Brüder eine gute Unterstützung und hat immer wieder das Positive gesehen und Motivationskräfte entfaltet. Diese Figur finde ich total spannend. Sie kommt im Alten Testament vor, aber auch in der Tora und im Koran. Das passt gut zu unserem Stadtteil, der sehr bunt ist – auch, was den Glauben angeht.“
Wo wird es Kürzungen geben?
Wenn Pastorin Sabine Kurth im Juni 2026 in den Ruhestand geht, wird ihre Stelle nicht mehr neu ausgeschrieben – die Mirjam-Gemeinde wird somit dann noch zwei Pfarrstellen haben. In den vergangenen zwei Jahren hat außerdem eine eigene Arbeitsgruppe den gesamten Gebäudebestand genauestens untersucht und angefangen, Pläne zu machen. „Wir haben drei riesige Gemeindezentren und drei Kirchen in ganz unterschiedlichen Stilen. Walle ist 500 Jahre alt, Immanuel 116 und St. Michaelis 58 Jahre. Wir werden Gebäude abstoßen müssen, wissen aber noch nicht, welche es sein werden“, sagt Kurth. Die Standorte seien dabei gut aufgestellt: Ende 2016 wurde direkt neben der St.-Michaelis-Kirche das neue Begegnungszentrum der Doppel-Gemeinde eröffnet. Investitionen: rund zwei Millionen Euro. Die Immanuel-Kapelle an der Elisabethstraße wurde 2020/21 für 450.000 Euro saniert und umgebaut. Nicht mitbetrachtet wurde die St.-Stephani-Kirche, die vor knapp zehn Jahren Bremens Kulturkirche wurde und an die Bremische Evangelische Kirche zurückgegangen ist. Für die Gemeindemitglieder gibt es dort seitdem nur noch einen Andachtsraum.