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Pilotprojekt in Kinderhäusern Wenn Kunst in die Kita kommt

Fünf Künstlerinnen und Künstler arbeiten in Quirl-Kinderhäusern an einem Pilotprojekt, um Mädchen und Jungen zu erreichen, die besondere Hilfe benötigen. Die Erfolge sind verblüffend.
03.08.2022, 05:00 Uhr
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Wenn Kunst in die Kita kommt
Von Ulrike Troue
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Eigentlich sind es zwei komplett verschiedene Bereiche. Doch auf der Zusammenarbeit der Profis basiert der Erfolg des Pilotprojekts "Kunst trifft Kita". Der Verein Quirl betreibt sechs Kinderhäuser in Quartieren, in denen Mädchen und Jungen betreut werden, die unter schwierigen Lebensbedingungen aufwachsen. Und seit zwei Jahren arbeitet Quirl eng mit fünf Künstlerinnen und Künstlern zusammen. In den Kinderhäusern hat sich durch das multiprofessionelle Arbeiten eine Lern-Dynamik entwickelt, von der rund 200 Kinder, die pädagogischen Fachkräfte und kreativen Köpfe profitieren.

 

Wo liegt der Ursprung des Projekts?

Um die Folgen der Pandemie für Kinder aus prekären Familienverhältnissen abzumildern, gründeten die ehemaligen Lehrer Lutz Drosdowsky und Helmut Zachau einen Pädagogen-Initiativkreis. Sie wollten ein Theaterprojekt mit Netzwerkaktionen initiieren. Da offene Angebote wegen Corona nicht umgesetzt werden konnten, kooperieren sie seit zwei Jahren mit dem Verein Quirl.

 

Wie wird es umgesetzt?

Fünf Kleinkunstschaffende sind bestimmten Kinderhäusern zugeordnet und klettern, tanzen oder spielen regelmäßig mit festen Kleingruppen von sechs bis zehn Jungen und Mädchen, erklärt Quirl-Fachberaterin Andrea Sbach – und das jeweils maximal eine Stunde lang. Durch Elemente aus Theater, Tanz und Zirkus fördern sie die sprachliche und körperliche Ausdrucksfähigkeit der Kinder, die eine andere Muttersprache sprechen und Kommunikationsprobleme haben. "Bis zu zehn Sprachen in einer Gruppe sind keine Seltenheit", berichtet Quirl-Vorständin Barbara Köberlein. "Für die Kinder ist es eine Herausforderung, sich überhaupt ausdrücken zu können." Sie lernen durch die Künstler zum Beispiel neue Bewegungen, ihre Gefühle oder auch Grenzen kennen, führt Sbach aus. Außer der Körperwahrnehmung würden auch ihre Fantasie, Kreativität, Achtsamkeit und Konzentration gefördert.

 

Was verbirgt sich hinter kindlicher Förderung mit künstlerischen Mitteln?

"Ohren auf, Mund zu", sagt Nina Brünner und zeigt auf beide. Mit einem Begrüßungsritual schärft die Tanzpädagogin bei ihrer Stippvisite im Kinderhaus "Blau" durch Vor- und Nachsprechen, Wiederholungen und Klatschen das phonologische Bewusstsein von sechs Vorschulkindern. Wenn sie die Fäden in die Hand nimmt, zieht Nikolai die Mädchen und Jungen in Bann. Mithilfe der Upcycling-Marionette lernen sie die Bezeichnung einzelner Körperteile. Immer wieder wechselt Nina Brünner zwischen ruhigen Lern- und aktiven Bewegungsphasen. Das Trommeln in der Halle ist der Höhepunkt. Ebenso hohe Aufmerksamkeit erzielen Uli Baumann durch situative Fantasiewelten, in denen die Kinder in verschiedene Rollen schlüpfen, Ronja Stegmann beim Filmdreh, Markus Siebert und Sven Hegeler durch Musik und Erzähltheater.

 

Gab es Anlaufschwierigkeiten?

"Wir mussten das Projekt sehr eng begleiten und sukzessive weiterentwickeln", schaut Köberlein zurück, da vielen Kunstschaffenden Erfahrung mit Kindern fehlte. Die Kita-Kräfte schufen den Rahmen für die Kleingruppenarbeit, erklärt Sbach. Die Künstler hätten ihn inhaltlich gefüllt und engagiert neue kreative Ideen entwickelt, lobt sie die Zusammenarbeit.

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Worin liegt der Unterschied zur Arbeit pädagogischer Fachkräfte?

Die Künstlerinnen und Künstler könnten die Kinder anders individuell fordern und fördern, da sie im verbalen wie nonverbalen Ausdruck qualifiziert und erfahren seien, sagt Sbach. "Sie bringen neue Impulse", spricht die Fachberaterin von einem Lerneffekt und Motivationsschub für ihr Team. Das sei dankbar für die Ermutigung, tiefer in die Lebenswelt der Kinder einzutauchen und auf wechselnde Methoden zurückzugreifen, etwa mit einem Puppenspiel. Im gemeinsamen Spiel stecke eine Ernsthaftigkeit, die Kinder aufgreifen. "So erreichen wir jene, die sich sprachlich noch nicht ausdrücken können." 

 

In welcher Form profitieren die Fachkräfte vom Projekt?

Der regelmäßige intensive Austausch mit den Künstlern sei praktisch eine interne Fortbildung, beurteilt Quirl-Vorständin Köberlein die Reflexion. Es gab auch drei Workshops. "Die Künstler bringen eine Lebendigkeit ein, die wir gut gebrauchen können", findet Sbach.

 

Was haben die Künstlerinnen und Künstler von der Kooperation?

Für die beteiligten Kulturschaffenden war das Projekt eine Einnahmequelle. Inzwischen ist daraus eine erste Anstellung auf Honorarbasis bei Quirl erwachsen. Einige treten an Grundschulen auf. Es wurden Kontakte zum Grundschulverband geknüpft. "Ich erreiche Kinder, die es besonders brauchen, und ich die sonst nicht erreichen würde", sagt Nina Brünner und möchte gerade diesen Kindern besonders kreativ intensive Förderimpulse zu geben. 

 

Wie geht es weiter?

"Wir haben die multikulturelle Arbeit erprobt", bilanziert Köberlein, "und wünschen uns, dass wir grundsätzlich solche Angebote in die Kinderhäuser holen können und dafür auch Ressourcen übers Bildungsbudget bekommen." Nur auf Spendenbasis sei so ein nachhaltiges Förderkonzept nicht zu finanzieren, das die Kita-Fachkräfte wegen ihrer begrenzten Zeit und Ressourcen allein gar nicht umsetzen könnten. 

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