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Speicher I Vor 75 Jahren: Als im Europahafen Bremens größtes Gebäude entstand

Wie "ein riesiges Schiff im Trockendock" ragte das Gebäude nach dem Zweiten Weltkrieg wieder hervor: Vor 75 Jahren, am 26. April 1950, wurde beim neuen Speicher I am Europahafen Richtfest gefeiert.
13.04.2025, 05:28 Uhr
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Von Eberhard Syring

Die alliierten Bombenangriffe hatten ganze Arbeit geleistet, um die kriegswichtige Infrastruktur der bremischen Häfen wirkungsvoll auszuschalten. Nicht nur der verheerende Luftangriff vom 18. August 1944, der den Hafen und die angrenzenden Wohnquartiere in Schutt und Asche legte, ist hier zu nennen. Auch noch in den letzten Kriegsmonaten 1945 waren die Hafenanlagen ein Hauptziel der Angriffe.

Umso beeindruckender, wie schnell der Wiederaufbau dieses Bereichs vollzogen wurde, der sich zugleich mit einer umfassenden Modernisierung und räumlichen Erweiterung verband. So wurde das Wohngebiet südlich der Nordstraße weitgehend zugunsten der Hafenerweiterung nicht wieder aufgebaut. Der Grund für die rasche Sanierung lag in der Bedeutung der bremischen Häfen als Nachschubbasis für die US-Streitkräfte, aber auch in der wirtschaftsstrategisch günstigen Lage Bremens.

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Die „hervorragende Stellung im überseeischen Weltverkehr verdankte Bremen“, heißt es im Mai 1948 in einem ausführlichen Bericht des WESER-KURIER, „der geographisch günstigen Lage seines am weitesten landeinwärts gelegenen Hafens, womit frachtliche Vorteile für die An- und Abfuhr der Güter verbunden sind, der Nähe des rheinisch-westfälischen Industriegebiets, der Verbindung mit diesem Gebiet und dem übrigen Hinterland durch ein dichtes Eisenbahnnetz und einen leistungsfähigen Binnenschifffahrtsweg (…), den modernen und leistungsfähigen Umschlagseinrichtungen sowie einem weitverzweigten Schifffahrtsnetz nach allen Plätzen der Welt.“

An diese Stellung, die durch die neuen politischen Grenzen noch an Bedeutung gewann, sollte mit einem beschleunigten Wiederaufbau angeknüpft werden. Rasch entstanden neue Hafenschuppen. Die weitgehend erhaltenen Speicher XI und XIII am Überseehafen wurden noch in den späten 1940er-Jahren durch einen Verbindungsbau zum neuen Speicher XI zusammengefasst. An der Nordseite des Wendebeckens begann die Instandsetzung der mächtigen Getreideverkehrsanlage.

Ein Symbolbau bremischer Wirtschaftskraft

Im Gegensatz zu den beiden letztgenannten Großbauten wirkte der neue Speicher I am Europahafen, an dem seit Frühjahr 1948 gebaut wurde, wie ein kompletter Neubau. Doch korrekt gesehen handelte es sich um den Wiederaufbau des alten Speichers I, denn er erhob sich mit seiner Länge von 226 Metern und seiner Breite von 30 Metern genau auf den Umrissen des Altbaus. Nur blieb von dem historischen Speicher aus dem Jahr 1888, der mit seinen Dachaufbauten ein wenig an die Hamburger Speicherstadt erinnerte, nichts übrig. Selbst die Fundamente mussten mit 970 Betonpfählen, die zehn Meter tief versenkt wurden, aufwendig ertüchtigt werden.

Der Neubau hatte wie sein Vorgänger sechs Geschosse. Hinzu kam ein Kellergeschoss. Bei dem Altbau waren die Dachgeschosse aber nur schlecht nutzbar. Dagegen sollte der schnörkellos gestaltete Neubau, der von einem sehr flach geneigten Satteldach abgeschlossen wurde, nach den neuesten Erkenntnissen einer funktionalen Speicherarchitektur konzipiert werden. Konstruktiv lag dem Bau ein Stahlbetonskelett zugrunde, das nach außen hin, mit Ziegelsteinen ausgefacht, sichtbar blieb – ein Gestaltungsprinzip, das auch bei späteren bremischen Hafengebäuden übernommen wurde. Man denke an das Weinkontor, die Tabakbörse oder die Speicher II und III.

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Beim neuen Speicher I hatten sich die Architekten Säume und Hafemann eine gestalterische Besonderheit ausgedacht: An den vier Gebäudeecken verschwindet das konstruktive Gerüst hinter der Ziegelverkleidung, sodass sie wie überdimensionale Pfeiler wirken, die die Monumentalität des Bauwerks weiter steigern und den Giebelseiten eine besondere Betonung verleihen. Ansonsten gab es keine gestalterischen Extras.

Rolf Kirsch von der Bremer Denkmalbehörde charakterisierte den Bau im Jahr 2007, kurz nachdem er unter Denkmalschutz gestellt wurde: „Er gewann seinen Reiz aus der Monumentalität der Baumasse und dem Rhythmus des Rasters. Die Funktionalität wurde nicht mehr durch Dekor verborgen, sondern selbst zum Thema der Architektur. Der riesige Bau verkörpert eindrucksvoll die Rationalisierung und Schnelligkeit des modernen Hafenumschlags- und Speditionswesens.“

Apropos Schnelligkeit: Sie betraf auch den Bau des Speichers, bei dem ständig rund 300 Arbeiter tätig waren. Als im April 1950 der Richtkranz über dem Rohbau hing, wurden in der westlichen Hälfte des Speichers bereits seit fast einem halben Jahr Waren gelagert und umgeschlagen. Im Winter 1950 war dann der ganze Speicher gebrauchsfertig. Da die Trümmerflächen des Bremer Westens damals abgeräumt waren, konnte man das neue, 28 Meter aufragende Bauwerk schon im Rohbauzustand als Blickfang und Hoffnungsträger für den Neuaufbau der Stadt kilometerweit sehen – was auch die Fantasie beflügelte. So war in einer in der Lokalpresse veröffentlichten Anzeige zum Richtfest zu lesen, der Baukomplex erinnere an „ein riesiges Schiff im Trockendock“. Es war zu diesem Zeitpunkt Bremens größtes Gebäude.

Das zweite Leben des Speicher I

Insgesamt bot der Speicher I eine Fläche von 38.000 Quadratmetern. Unterteilt war er in 16 Abteilungen, die jeweils paarweise über acht Querflure mit zwei Lastenaufzügen erschlossen wurden. An den Längsseiten gingen im Hochparterre die Flure in durchlaufende breite Rampen über. Die Rampe an der Nordseite, wo heute die Konsul-Smidt-Straße verläuft, schloss an die Gleisfelder der Hafenbahn an. Dies war die „Bahnseite“ des Speichers. Die Konsul-Smidt-Straße verlief damals noch an der Südseite, der „Straßenseite“ des Speichers.

Mit dem Siegeszug des Containers in den 1970er-Jahren verloren die auf Stückgutumschlag ausgelegten bremischen Häfen, vor allem der Europa- und der Überseehafen, kontinuierlich an Bedeutung. Ab den späten 1980er-Jahren wurde – analog zu weltweiten Entwicklungen in zahlreichen Hafenstädten, die unter ähnlichen Strukturproblemen litten – über eine städtebauliche Neuordnung des innenstadtnahen Hafenareals diskutiert. Doch in Bremen tat man sich mit dem Abschied von der traditionellen Nutzung der Häfen lange Zeit schwer. Die Wende brachte schließlich erst der „Masterplan Überseestadt“ im Jahr 2003.

Nun stellte sich die Frage, was mit den nicht mehr genutzten alten Hafenbauten, vor allem den Schuppen und großen Speichern, geschehen sollte. Da eine Nutzung in der bisherigen Funktion schwierig schien, war zu entscheiden, ob eine – meist mit einem notwendigen Umbau verbundene – Umnutzung oder ein Abriss die bessere Lösung sei. Ein Abriss schien in vielen Fällen, auch beim Speicher I, zunächst die einfachere und pragmatische Lösung.

Dagegen sprachen neben ökologischen auch symbolische Gründe – stellten doch die historischen Großbauten so etwas wie identifikatorische Kerne in einem überwiegend durch Neubauten geprägten Quartier dar. Hinzu kam ein Einstellungswandel in der Denkmalpflege, die nicht mehr auf den ausschließlichen Erhalt der Originalsubstanz eines Baudenkmals setzte, und damit für Umnutzungen notwendige Umbauten erleichterte. Der 2003 abgeschlossene Umbau des Speichers XI wurde zum Vorbild. Drei Jahre später folgte der Umbau des Speicher I zu einem Büroloft-Gebäude.

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