Walle. Mit winzigen Hämmerchen, Häkchen und Drähten legten Ingrid Noack-Kirchner und Winold van der Putten kürzlich letzte Hand an die Orgelpfeifen an. Das musste sein, denn in den vergangenen Jahren war der Wohlklang flöten gegangen. Die Restaurierung der Orgel in der Waller Kirche war nicht einmal 20 Jahre nach ihrer Herstellung fällig geworden – wahrlich kein Alter für ein Instrument wie dieses. Doch das liegt vor allem daran, dass sowieso weit und breit nichts Vergleichbares zu finden ist.
In den beiden Wochen zuvor waren die betroffenen Klangkörper zur Reparatur in der Werkstatt der „Orgelmakerij“ im ostfriesischen Städtchen Weener nahe der niederländischen Grenze. Musikliebhaber mit feinen Ohren hatten bereits seit längerem wahrgenommen, dass sich manche Töne nicht anhörten, wie sie es eigentlich sollten. Irgendwann „kam aus manchen Pfeifen nur noch Luft“, erzählt Werkstattleiterin Noack. Ursache für den Missklang: Das Metall der Orgelpfeifen hatte dem Druck der Schwerkraft nachgegeben, und musste dringend verstärkt werden. Die Orgel, die den Namen der Werkstatt Van der Putten trägt, war Anfang des Jahrtausends nach fast 500 Jahre alten Vorbildern gebaut worden. Und wie die alten Orgelbauer es machten: Dafür gab es eben kein Rezept mit Geling-Garantie.
Eine besondere Entstehungsgeschichte
Die Entstehungsgeschichte der Waller Orgel ist eine ganz Besondere – und Werkstattgründer und Namensgeber van der Putten ist kaum zu stoppen, wenn er davon erzählt: Als das Vorgängermodell aus der Nachkriegszeit seinen Geist aufgab, hatte sich der Orgelausschuss der Gemeinde nämlich in den Kopf gesetzt, dass die Waller Kirche eine neue Orgel bekommen sollte, die wirklich zu ihr passt: Ein Instrument, wie es im 17. Jahrhundert zu Zeiten des Ritter Raschen gespielt wurde. Seitdem haben sich nämlich Orgelbau und Hörgewohnheiten messbar verändert. Die Waller ließen sich von historischen Originalen in ganz Norddeutschland und den Niederlanden inspirieren, nahmen Kontakt auf mit Orgelforschern aus ganz Europa und fanden schließlich in Finsterwolde einen jungen Orgelbauer namens Winold van der Putten, der sich mit ihnen auf diesen ambitionierten Weg machte.
In der Orgelwerkstatt nahe Groningen wurde ganz konsequent und akribisch nach Art der alten Meister vorgegangen. „Spitz Flött“, „Principall“ oder „Vogelgeschrey“ steht auf den Schildern an den Registerzügen: Vorbild war die Orgel von St. Marien in Stralsund. Das Modell für den „Zimbelstern“ ist in einer ostfriesischen Arp-Schnitger-Orgel zu finden. Für die kleine Waller Gemeinde war das Projekt eigentlich ein paar Nummern zu groß – doch mit Hilfe von vielen Spenden gelang es, die Kosten in Höhe von einer halben Million D-Mark zusammenzusparen. Heute, sagt Heinz-Dieter Beushausen, ehemaliger Pastor und einer der Gründer des „Freundeskreises der Van der Putten“-Orgel, müsste man mindestens mit dem Doppelten rechnen.
Die Orgelpfeifen selbst wurden in der überlieferten Blei-Zinn-Legierung nach alter Art in Sand gegossen. Was man heute weiß: „Das Blei von Heute ist viel reiner, und damit auch weicher als das Metall der Frühzeiten“, erklärt Ingrid Noack. „Daher sind manche Pfeifen zusammengesackt“.
Den Orgelbauern hatte der Auftrag von den ersten Plänen bis zur Endmontage gute drei Jahre zu schaffen gemacht, erzählt Winold van der Putten. Und doch, sagt Ingrid Noack: „Wir würden es jederzeit wieder machen. Die Stimmung einer mitteltönigen Orgel ist einfach zu schön“, schwärmt die Orgelbauerin, die seit 25 Jahren in der Van der Putten-Werkstatt arbeitet und 2002 die Leitung übernahm.
Ganz in ihrem Element ist die Waller Orgel, wenn sie Werke der alten norddeutschen Komponisten wie Matthias Weckmann, Heinrich Scheidemann oder Dieterich Buxtehude spielen darf. Die mitteltönige Stimmung war für Tasteninstrumente gebräuchlich bis in die Zeiten von Johann Sebastian Bach, wurde später aber zunehmend unüblich. Die perfekte Harmonie mit anderen historischen Instrumenten ist ein Alleinstellungsmerkmal, das von Studierenden der Hochschule für Künste ebenso wie von renommierten Ensembles der Alten Musik gerne genutzt wird. „Es ist ein solch friedlicher Klang“, sagt die Orgelbauerin.
Er war in den vergangenen Monaten viel zu selten zu hören, bedauert Heinz-Dieter Beushausen. In normalen Zeiten lädt der Freundeskreis regelmäßig zu Konzerten ein. In Zeiten der Pandemie musste darauf verzichtet werden. „Das tut in der Seele weh. Die letzten Konzerte, die im vergangenen Sommer möglich waren, haben wir mitunter doppelt gespielt, weil die Nachfrage nach Karten so groß war“, erzählt der Waller. „Die Menschen haben eine starke Sehnsucht nach Livemusik.“