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Bemen-Nord Ständig Plan B im Kopf: Alltag einer Alleinerziehenden

Viktoria Azhgirevich-Popek meistert ihren Alltag als Alleinerziehende mit vier Kindern und Umschulung. Das ist kompliziert genug. Noch schwieriger wird es, wenn etwas Unerwartetes passiert.
26.01.2018, 17:38 Uhr
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Von Sylvia Wörmke

Ihr Tag beginnt um 5 Uhr morgens und endet oft erst gegen Mitternacht. Zeit für sich selber hat Viktoria Azhgirevich-Popek selten, ganz selten. Als ­alleinerziehende Mutter von vier Kindern ist ihr Tag mit Aufgaben komplett ausgebucht. Zusätzlich macht sie zurzeit eine dreijährige Umschulung zur Industriekauffrau. Das alles fordert logistisches Geschick. Die 36-Jährige hat sich für die Ausstellung „Mittenmang“ zum Thema Lebensalltag von Alleinerziehenden befragen lassen. Vom 2. Februar bis zum
2. März ist die Ausstellung im Haus der ­Zukunft in Lüssum zu sehen.

Die Zwillinge Nika und Laura, sie werden im Februar vier Jahre alt, und Daniel, ­gerade sechs, sollten an diesem Tag von einer Freundin beaufsichtigt werden. Das hat nicht geklappt. Also sind die drei dabei, als ihre Mutter im Haus der Zukunft von sich erzählt. Es sind genau solche Situationen, die das ­Leben als alleinerziehende Mutter, das sowieso nicht einfach zu handeln ist, noch komplizierter machen. „Das Unerwartete wirft ­alles durcheinander“, sagt sie.

Geht nur in der Theorie

Dabei hat sie ständig Plan B im Kopf, versucht immer einzukalkulieren, was schief gehen könnte. Sie sagt, sie sei logistisch elastisch. Das geht aber nur in der Theorie. Die täglichen Unwägbarkeiten reichen von Krankheit über ‚Bus verpasst‘ bis zum Ausfall der Kinderbetreuung. „Es gibt Tage, da ist alles kompliziert, und abends bin ich dann ganz kaputt“, sagt sie über den Alltag mit vier Kindern. Vor Kurzem war das so. Erst hatten die Kleinen nacheinander Magen-Darm. Dann hatte sie selber eine schwere Bronchitis.

Die Zwillinge und der sechsjährige Daniel besuchen die Kita Fillerkamp, die 13-­jährige Tochter Alexandra geht in Vegesack zur Schule. Die Mutter hat die Kita bewusst ausgewählt, weil sie eine Frühbetreuung hat. Wenn sie die Kleinen abgeliefert hat, fährt sie mit Bus und Zug nach Bremen zur Umschulung, die bis 13 Uhr dauert.

Wenn sich die älteste Tochter oder Freundinnen oder nette Nachbarn nach der Kita um die Jüngeren kümmern, kann sie auch mal länger in der Schule bleiben, um zu lernen. Zu Hause ist das nicht möglich – oder nur spät abends, wenn alle schlafen. Dann aber hat sie noch genug zu tun, um den Haushalt in den Griff zu bekommen. Das Wochenende ist für Unternehmungen mit den Kindern verplant. Spätabends kann sie aber auch mal ins Fitness-Studio gehen. „Man muss etwas für sich machen“, weiß sie, „sonst geht man kaputt.“

Viktoria Azhgirevich-Popek kann sich auf ihre Älteste verlassen. „Ich möchte aber ­meine große Tochter nicht belasten“, sagt sie. Alexandra wird aber auch bei der neuesten Planung ab Sommer mitmachen. Dann wird ihr kleiner Bruder in die Grundschule Alt-Aumund eingeschult, eine Ganztagsschule. Die große Schwester holt ihn nach ihrem Unterricht ab und bringt ihn mit nach Hause. An Tagen, an denen er bis nachmittags bleiben kann, kommt die Mutter. Das ist schon alles genau geplant.

Viele Abstriche

Die 36-Jährige hofft, dass nun auch alles so klappt, wie sie es möchte. Ihr macht nämlich Angst, dass ihr womöglich aufgrund von Fehlzeiten die Umschulung nicht anerkannt wird. „Das ist ein großes Problem. Ich darf nicht mehr als 10 Prozent der Zeit fehlen.“ Sie sorgt sich jetzt schon wegen der bisherigen Fehlzeiten durch die Krankheiten. Sie möchte die Umschulung auf jeden Fall meistern, denn sie möchte wieder arbeiten, will selbstständig sein, nicht mehr vom Jobcenter abhängig.

Das Leben mit wenig Geld fordert Abstriche. Die Tanzschule für die Kinder kann sie sich nicht leisten und auch andere Aktivitäten müssen genau überlegt werden. Sie ist aber auch sehr dankbar, dass es überhaupt das Jobcenter und die finanzielle Unterstützung gibt. „Es ist unbezahlbar, dass es ­diese Möglichkeit gibt“, sagt sie. Viktoria Azhgirevich-Popek kennt auch andere Lebens­bedingungen.

Sie stammt aus Weißrussland, lernte dort den Vater ihrer ältesten Tochter kennen, einen Polen. Mit ihm ging die Ingenieurin für Mathematik und Informatik nach Polen. Dort fand sie Arbeit als Kauffrau in einer Firma, die aber aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Situation viele Angestellte entlassen musste. Mit der polnischen Aufenthaltsgenehmigung, Polen ist EU-Mitglied, war es ihr dann möglich, erzählt sie, nach Deutschland zu gehen und hier zu arbeiten. Die ­große Tochter blieb für ein Jahr bei den ­Eltern. Inzwischen war die Mutter nämlich von ihrem Lebenspartner getrennt.

In Deutschland lernte Viktoria Azhgirevich-Popek den Vater ihrer drei Kleinen kennen, arbeitete in vielen Jobs und flüchtete vor ihrem Mann, als die Zwillinge einen ­Monat alt waren. „Ich wollte in Hamburg bleiben“, erzählt sie. Dort aber waren die Frauenhäuser überfüllt. Sie kam darum nach Bremen und fing in dieser fremden Stadt ganz neu wieder an.

Im April 2014 bekam sie ihre Wohnung in Lüssum. Sie würde zwar gern aus dem „kriminellen Umfeld“, wie sie sagt, herauskommen und in einem anderen Stadtteil eine größere Wohnung mieten. Das scheitert aber am Geld, das Jobcenter bezahlt nur eine bestimmte Miete, und auch an anderen Gründen. Die alleinerziehende Mutter sagt, dass die nicht laut ausgesprochen werden. Sie kennt sie aber: Sie hat vier Kinder, ist alleinerziehend und Hartz-4-Empfängerin. Die Infrastruktur muss ebenfalls passen, Kita, Schule, Einkaufsmöglichkeiten und ÖPNV müssen in der Nähe der Wohnung liegen.

Bezahlbare Wohnungen würden Leben besser machen

Die 36-Jährige muss ihre Einkäufe mit dem Rad transportieren. „Das ist echt viel“, erzählt sie. Zweimal pro Woche macht sie den Einkauf, ohne Kinder. „Mit den Kindern geht das gar nicht.“ Viktoria Azhgirevich-Popek fühlt sich dann oft wie ein „bepacktes Kamel“. Darum will sie jetzt auch sparen, um ihren Führerschein zu machen, der russische wurde nicht anerkannt. Und sich ein kleines Auto zu kaufen. Sie stellt sich vor, dass ihr Alltag dann besser zu bewältigen ist.

„Das Leben ist nicht einfach als Alleinerziehende“, sagt sie. Bezahlbare Wohnungen und bessere Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder würden das Leben leichter machen. „Es ist aber besser, alleinerziehend zu sein, als mit jemanden zu leben, der keinen Respekt vor dir hat.“ Natürlich sei ihr Leben schwierig. Natürlich habe sie es sich so nicht vorgestellt. „Doch was soll man machen?“ Man lerne, stark zu sein. Viktoria Azhgirevich-Popek hofft, dass alleinerziehende Frauen, die die Ausstellung sehen, das auch als Botschaft mitnehmen. „Frauen sind die Besten“, sagt sie und lächelt.

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