Heinz Becker sitzt da auf der Bühne im Kuba, vor der Tapete, und gibt seine Weltanschauung zum Besten. Kabarettist Gerd Dudenhöffer, der seit 30 Jahren mit dieser Figur auf Tour geht, konnte sich über einen fast vollen Saal freuen.
Wenn ein aus Funk und Fernsehen bekannter Kabarettist (oder neu: Comedian) im Bremer Norden gastiert, ist ein volles Haus fast schon garantiert. Entsprechend gut gefüllt zeigte sich am Mittwoch auch der Kulturbahnhof, als der Kabarettist Gerd Dudenhöffer dort die neuesten Ansichten seiner Parade-Figur Heinz Becker präsentierte.
Seit über dreißig Jahren steht Dudenhöffer als Heinz Becker auf der Bühne und vor der Kamera. Abgesehen davon, dass die Figur naturgemäß gemeinsam mit ihrem Schöpfer alterte, hat seine Kunstfigur seither keine dramaturgische Entwicklung vollzogen. Denn das Konzept funktioniert damals wie heute gleichermaßen: Dudenhöffer sitzt auf einem Stuhl – diesmal nicht in einer eigens errichteten Kleingartenparzelle, sondern vor fünf kitschig tapezierten Stellwänden – und monologisiert seine Sicht auf aktuelles Tagesgeschehen in hessischer Mundart. Und mit nur vordergründiger Einfalt.
Eben jene Naivität macht die Figur schwer greifbar: Als Sympathieträger taugt dieser Heinz Becker nicht immer, als Identifikationsfigur auch nur sehr bedingt. Nach über dreißig Jahren ist Heinz Becker der naive, wenn auch gedankenvolle kleine Mann geblieben, dessen Meinungen und Ansichten laut Bühnentext oftmals dem Stammtisch entstammen.
Entsprechend tragen die Äußerungen Beckers bisweilen sexistische, mitunter auch rassistische Züge: „Sexismus ist ja quasi ein natürlicher Bestandteil des Mannes. Als Mann stehst du ja immer mit einem Bein im Gesetzbuch.“ Dudenhöffer hat den Kunstgriff perfektioniert, sich durch seine Bühnenfigur selbst von eben solchen Aussagen zu distanzieren.
Wenn Dudenhöffer als Becker beispielsweise Vergewaltigungen ebenso als „Auslegungssache“ bezeichnet wie Meinungsfreiheit, anhand des Inhalts seines Werkzeugkastens über „Engländer“ und „Franzosen“ polemisiert oder sogar sexuelle Übergriffe innerhalb der katholischen Kirche vordergründig bagatellisiert, tut er dies auf eine Art und Weise, die die eigene Figur der Lächerlichkeit preisgibt. Dabei ist Heinz Becker kein polterndes Ekel wie Alfred Tetzlaff, sondern ein stiller Hesse, der aus der eingeschränkten Perspektive seines kleinen Wohnzimmers heraus naiv über das große Weltgeschehen philosophiert.
Eine weitere Doppelbödigkeit der Figur des Heinz Becker entsteht durch Dudenhöffers Hang zu Wortspielen. Beispiel gefällig? „Die Engländer betreiben innerhalb der EU jetzt ja Agrarpolitik: Die machen sich vom Acker. Die haben schon die Schotten dichtgemacht.“ Auf diese Weise relativiert sich auch Beckers Kritik an der Einwanderungspolitik, beispielsweise durch seine Angst vor „den ganzen Rumänen, die da aus Bulgarien kommen“.
Und wenn die Aussagen doch beizeiten so ausfallen, dass sie für ernsthafte Missverständnisse zwischen Künstler und Zuhörern sorgen könnten, relativiert Becker selbst: „So schwätzen wir halt am Stammtisch.“ Man kann über Heinz Becker lachen, weil man ihn nicht ernst nehmen muss, bisweilen sogar Sympathien für ihn hegen kann. Hiervon macht das Publikum im nahezu ausverkauften Kulturbahnhof auch reichlich Gebrauch.
Dass Beckers Aussagen zu kontroversen Themen oftmals jenseits der Grenze der politischen Korrektheit angesiedelt sind, ist Absicht seines Schöpfers Dudenhöffer. Er distanziert sich von den Aussagen und Meinungen eben genau dadurch, dass er sie seiner Kunstfigur in den Mund legt.
Dass es zwischen Kabarettist und Kunstfigur eine deutliche Trennung gibt, verdeutlicht Dudenhöffer diesmal sogar selbst: Für die Zugabe betritt er ohne Kappe, dafür mit seriöser Brille die Bühne, interagiert zur Abwechslung sogar mit seinem Publikum, ist quasi ein völlig anderer Mensch, als er vier kurze Gedichte und Essays aus seinem aktuellen Buch „Gerd Dudenhöffer liest Dudenhöffer“ vorträgt, deren Duktus so rein gar nicht mit dem eines Heinz Becker übereinstimmt.