Die Zahl der Straßenraubdelikte ist in Bremen im ersten Halbjahr "deutlich angestiegen". Entsprechende Informationen des WESER-KURIER hat die Polizei bestätigt, ohne konkrete Zahlen zu nennen. Unterjährig würden solche Daten nicht veröffentlicht, so Polizeisprecher Nils Matthiesen.
Dass das Problem massiver geworden ist, wurde zuletzt durch eine Häufung einschlägiger Taten deutlich. So kam es in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder vor, dass Straßenräuber nichts ahnenden Passanten teure Armbanduhren vom Handgelenk rissen. Einige Beispiele: Dienstag, 31. Mai. Ein 66-jähriger Mann steht vor einem Lokal an der Bürgermeister-Smidt-Straße und schaut sich die Speisekarte an. Plötzlich spürt er, dass jemand an seiner Umhängetasche rüttelt. Als er sich umdreht, entreißt ihm ein Unbekannter seine hochwertige Armbanduhr.
Freitag, 25. März. Ein 78-Jähriger betritt in den Abendstunden das Treppenhaus eines Mehrfamilienhauses an der Martinistraße. Hinter ihm schlüpfen zwei junge Männer durch die geöffnete Tür. Sie packen den Senior, ziehen ihm die Luxusuhr der Marke Patek Philippe vom Handgelenk, rauben ihm außerdem Bargeld und rennen dann in Richtung Schlachte davon.
Zwei Tage vor dieser Tat: Ein 79-Jähriger verlässt am frühen Abend einen Schwachhauser Tennisklub und begibt sich auf den Weg nach Hause, als ihn drei junge Männer bedrängen. Sie bringen den Mann zu Fall und entreißen ihm seine Armbanduhr der Marke Tag Heuer. Das Opfer muss verletzt ins Krankenhaus.
Nicht nur hochwertige Armbanduhren wechseln auf diese Weise immer öfter den Besitzer. Auch Ketten und anderer Schmuck werden den Opfern vom Leib gerissen, Luxushandtaschen ebenso. Was steckt hinter dieser Häufung? Die Polizei hat keinen konkreten Verdacht, bestenfalls eine Vermutung. "Es sind wieder mehr Menschen auf den Straßen unterwegs. Dazu kommt: Sobald es wärmer wird und die Leute zeigen, was sie an Schmuck und Uhren am Körper tragen, werden auch öfter und gezielter diese Luxuswaren gestohlen", sagt Nils Matthiesen.
Wärme gibt es allerdings in jedem Sommer, eine vergleichbare Frequenz von Raubdelikten nicht. Einige Praktiker aus der Suchthilfe können sich vorstellen, dass eine Entwicklung auf dem Drogenmarkt zumindest einen Teil des Anstiegs erklären könnte. Das Stichwort lautet Crack. Dieses Kokain-Derivat spielte in Bremen in den vergangenen Jahren noch keine so große Rolle wie in Hamburg, Frankfurt am Main oder Hannover.
Das ändert sich zunehmend, die Droge kommt nach Wahrnehmung von Fachleuten verstärkt auch in der Hansestadt an. Sie wird in kleinen Pfeifen geraucht, wobei sich die Wirkung sehr schnell innerhalb von acht bis zehn Sekunden einstellt. Eine einzelne Konsumeinheit ist relativ günstig zu bekommen, fünf bis zehn Euro müssen die Abhängigen anlegen. Allerdings sind die Konsumintervalle recht kurz. Das Suchtpotenzial ist sehr hoch – die Notwendigkeit, sich kurzfristig Nachschub zu besorgen, ebenso. Bekannt ist außerdem, dass zu den psychischen Folgen des Crackgebrauchs eine gesteigerte Aggressivität gehört.
Zunahme des Crack-Konsums in den vergangenen Monaten
Die Leiterin der Ambulanten Suchthilfe Bremen, Beatrix Meier, kann sich vor diesem Hintergrund einen Zusammenhang zwischen steigendem Crack-Konsum und vermehrter Beschaffungskriminalität durch Straßenraub "gut vorstellen". Gerade in den vergangenen Wochen und Monaten sei eine Zunahme des Crack-Konsums zu verzeichnen. Nicht nur in der Szene rund um den Hauptbahnhof, sondern beispielsweise auch in Bremen-Nord.
Cornelia Barth leitet die Drogenhilfe-Einrichtung "Comeback" in Bahnhofsnähe. Auch nach ihrem Eindruck nimmt die Crack-Problematik zu. Für die "Comeback"-Anlaufstelle hatte das zuletzt die praktische Konsequenz, dass für den Zugang ein Sicherheitsdienst eingestellt wurde. "Wir müssen stärker als früher Grenzen setzen", ist von Barth zu erfahren. "Andere Städte hatten das Problem früher als wir, aber nun nimmt es auch in Bremen zu."
Bei der Polizei bleibt man reserviert. "Wir können derzeit nicht bestätigen, dass eine Vielzahl von Straßenraubdelikten mit Crack im Zusammenhang steht", sagt Sprecher Matthiesen. Eine Crack-Szene gebe es am Hauptbahnhof schon seit einigen Jahren. Die Polizei sei allerdings nicht untätig. Der Kampf gegen den Straßenraub werde mit "offenen und verdeckten operativen Maßnahmen" geführt, die Ermittlungen zu dem aktuellen Tatkomplex dauerten an. Wichtig ist aus Matthiesens Sicht die Präventionsarbeit. Jeder könne etwas dafür tun, nicht als lohnendes Ziel von Straßenräubern zu erscheinen. Der Ratschlag des Behördensprechers: "Ich überlege, was ich mitnehme." Soll heißen: Die Rolex oder die teure Halskette müssten nicht unbedingt immer spazieren geführt werden. Wer Wertsachen dabei habe, sollte sie stets verdeckt tragen.