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1953 eskaliert Tarifkonflikt Werftarbeiter streikten mehr als sechs Wochen

Vom Boom im Schiffsbau wollten auch die Werftarbeiter ihren Anteil haben: Am 25. April 1953 begann der Streik der Schiffbauer. Schon wenige Tage später eskalierte der Tarifkonflikt.
25.04.2023, 06:00 Uhr
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Von Dieter Reinken

"14.000 Beschäftigte entlassen – überraschende Maßnahme auf den Werften“ lautet die Schlagzeile im WESER-KURIER am 1. Mai 1953. Pünktlich zum gewerkschaftlichen Kampftag des 1. Mai werden alle Arbeiter auf den Werften ausgesperrt. Damals eine Kündigung – das Arbeitsverhältnis ist damit beendet. Die Aussperrung eskaliert den Arbeitskampf, der am 25. April auf den Werften begonnen hat und bis in den Juni dauern wird. Streikerfahrungen mit großen Flächenstreiks gab es zuletzt vor 1933 – danach kamen Verbot, Diktatur und Weltkrieg. „Aussperrung“ ruft bei den Beschäftigten Erinnerungen an das Ende der ersten demokratischen Republik wach.

Die IG Metall hatte den Lohntarifvertrag gekündigt und eine Erhöhung der Facharbeiter-Ecklöhne um acht Pfennig von 1,49 auf 1,57 Mark gefordert. Erste Verhandlungen scheiterten, es gab kein Angebot. Daran änderten auch Vermittlungsversuche durch den Arbeitssenator Gerhard van Heukelum nichts, der von Bürgermeister Wilhelm Kaisen beauftragt wurde, sich einzuschalten. Die IG Metall rief zur Urabstimmung. Das Ergebnis: Von den 12.343 Gewerkschaftsmitgliedern stimmten 91,9 Prozent für einen Streik, der am Sonnabend, 25. April, um 10 Uhr begann.

Keine Verhandlungslösung in Sicht

Die Arbeitgeber auf den Werften sind nicht allein mit der Ablehnung von Lohnforderungen. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) beschloss bereits 1951: „Auch in Deutschland kann der Lebensstandard nicht gehalten oder gar erhöht werden." Daher entspreche der Entschluss, einer Lohnwelle entschiedenen Widerstand entgegenzusetzen, auch zugleich einem wahrhaft sozialen Gebot.

Doch im Schiffbau ist die wirtschaftliche Lage hervorragend. Im April 1951 wurde von der Alliierten Hohen Kommission der Neubau von Schiffen in ganz Norddeutschland freigegeben. Die Werften erwarteten einen Boom. Gleich nach der uneingeschränkten Freigabe des Schiffbaus hatte der Norddeutsche Lloyd (NDL) zusammen mit der Hamburg-Amerika-Linie (HAPAG) 14 Frachtschiffe in Auftrag gegeben. Von diesen baute der Bremer Vulkan alleine sechs. Den bundesdeutschen wie auch den bremischen Schiffbaubetrieben gelang es bereits 1953, die höchste bis zu diesem Zeitpunkt abgelieferte Jahrestonnage zu übertreffen.  „Rekordjahr in der Werftindustrie“ lautete eine Schlagzeile des Industriekurier am 19. Mai zutreffend.

Volle Auftragsbücher sind gut, um Lohnerhöhungen durchzusetzen, zumal der Lebensstandard im Nachkriegsdeutschland eher bescheiden ist. Das wissen auch die Beschäftigten.

Erst drei Wochen nach Streikbeginn treten Arbeitgeber und IG Metall am 13. Mai wieder zu einer Verhandlung zusammen – erneut auf Initiative und unter Vorsitz des Arbeitssenators van Heukelum im Bremer Rathaus. Die Arbeitgeber machen ein erstes Angebot: Erhöhung des Ecklohnes um drei Pfennig je Stunde. "Völlig ungenügend und deshalb indiskutabel", kommentiert die IG Metall. Der Streik geht weiter.

Die Streikenden bekommen von ihrer Gewerkschaft Streikgeld. Wer allerdings noch keine 14 Wochen Mitglied ist, bekommt zunächst keine Unterstützung. Materielle Not und Streikbruch will die IG Metall verhindern und beschließt deshalb ab der dritten Streikwoche die Zahlung einer „Sonderunterstützung“ von zwölf Mark in der Woche und die Übernahme der Krankenversicherungsbeiträge. Auch für „Neumitglieder“ wird eine Unterstützung gezahlt. In der vierten Streikwoche wird die Unterstützung noch einmal ausgeweitet. Die IG Metall gibt Gutscheine aus, die im Einzelhandel gegen Lebensmittel eingelöst werden können. Zusätzlich beschließt der Vorstand der IG Metall Ende Mai einmalige Mietzuschüsse: 30 Mark für Verheiratete, 20 Mark für Ledige.

Kampf um die öffentliche Meinung

Die Streikauseinandersetzung wird auch in der Öffentlichkeit geführt. In großformatigen Anzeigen in den Tageszeitungen stellen der Arbeitgeberverband und die IG Metall ihre Positionen klar. Bei Radio Bremen haben sowohl IG Metall als auch Arbeitgeberverband eigene Sendungen, in denen sie ihre Sicht den Hörerinnen und Hörern darlegen.

Unterstützung und Einbeziehung der Familien werden für die IG Metall immer wichtiger. Im UT am Bahnhof, im Roland-Kino in der Lindenhofstraße, in Bremen-Nord werden kostenlose Filmvorführungen organisiert, Ausflüge mit den Familien an den Lankenauer Strand, Kaffeetafeln für die Ehefrauen gehören ebenso dazu. „Der Streik steht und fällt mit den Frauen“, sagt Karl Wastl, Gewerkschaftssekretär in Bremen-Nord in einer internen Besprechung.

Streik und Politik

Von Beginn an gibt es heftige Angriffe auf die IG Metall auch von links. Die KPD hatte in ihrer „These 37“ festgelegt, dass die Gewerkschaften „im Auftrage und Interesse des amerikanischen Imperialismus und im Einklang mit den deutschen Monopolisten die Gewerkschaftsorganisation in den Dienst der Kriegsvorbereitung“ stellen wollen. „Der Streik demaskiert die Verräter", beschimpft folgerichtig KPD-Sekretär Hermann Gautier die örtliche Streikleitung in der Zeitung. Die IG Metall verwahrt sich gegen die Einflussnahme und sieht „Spalter am Werk“, die aus der DDR gesteuert würden.

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Die KPD bringt am 6. Mai in die Bremische Bürgerschaft den Antrag ein, die Streikenden aus dem Landeshaushalt mit 20 Mark zu unterstützen. Der KPD-Abgeordnete Willi Meyer-Buer begründet: „Den Lohnkampf zu führen, ist Aufgabe der Gewerkschaften." Die Bürgerschaft habe die Aufgabe und die Pflicht, die Unternehmer zu zügeln. Für die SPD entgegnet der Abgeordnete Richard Boljahn: „Wahrheit ist, dass die Arbeitnehmer Westdeutschlands für ihre Interessen kämpfen können." Die Grundrechte und Freiheiten sollten die Kommunisten erst einmal den Menschen in der DDR zukommen lassen. Der Antrag wird abgelehnt.  Wenige Wochen vor dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 ein Vorgeschmack auf kommende Auseinandersetzungen.

Verhandlungen gehen weiter

Am 20. Mai wird erneut verhandelt, die Arbeitgeber bieten nun vier Pfennige. Ein besonderer Knackpunkt wird die Frage der Wiedereinstellung der ausgesperrten – und somit entlassenen – Werftarbeiter. 80 Prozent sollen nach Ablauf von sieben Arbeitstagen eingestellt werden – die übrigen 20 Prozent „sobald die betrieblichen Voraussetzungen dafür geschaffen sind“, so die Formulierung des Arbeitgeberverbandes. Die IG Metall lehnt die vier Pfennig ab und besteht auf vollständiger Wiedereinstellung aller ausgesperrten Arbeiter: „Wenn dieser Kampf zu Ende ist, darf kein Werftarbeiter auf der Straße bleiben“, schreiben die „Streik-Nachrichten“ der IG Metall. In einer Vertrauensmänner-Versammlung aller Werften wird auch dieses Angebot abgelehnt und die Fortsetzung des Streiks beschlossen. Ab der sechsten Streikwoche gibt die IG Metall erneut Lebensmittelgutscheine aus.

Dann gibt es ein Ergebnis: Die Ecklöhne sollen um fünf Pfennig auf 1,54 Mark erhöht werden. Zum Streitpunkt Wiedereinstellung gibt es einen Durchbruch. Festgeschrieben wird: „Die Arbeit ist unverzüglich wieder aufzunehmen. Alle Arbeiter (werden) innerhalb von 9 Tagen wieder eingestellt. Das Arbeitsverhältnis gilt als nicht unterbrochen.“

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Zu Beginn der siebten Streikwoche stellt die IG Metall für sich fest: „Das Lohndiktat ist durchbrochen“ – und ruft zur Urabstimmung auf. Die findet am 5. Juni 1953 statt. 12.300 Stimmen werden abgegeben. 6668 lehnen ab und stimmen für die Fortsetzung des Streiks, 5587 entscheiden für die Annahme. Der Streik wird aber dennoch beendet. Denn die Satzung der IG Metall schreibt vor, das für eine Fortsetzung eine 75-prozentige Ablehnung des Ergebnisses nötig ist. 

Doch die hohe Zahl der Nein-Stimmen zeigt Unzufriedenheit. Das erkennt auch die IG Metall so an. Der Bezirksleiter der IG Metall, Heinrich Bohnsack, erklärt bei Radio Bremen: „Der materielle Inhalt bleibt hinter unseren berechtigten Forderungen zurück. Wenn aber überlegt wird, dass die Arbeitgeberverbände von Anfang an erklärt haben, dass sie keinen Pfennig Lohnerhöhung gewähren würden, dann ist dieses Ergebnis ein unbestreitbarer Erfolg.“

Nach über sechs Wochen endet eine harte Auseinandersetzung in einem Kernbereich der damaligen Bremer Wirtschaft. Der nächste große Arbeitskampf in der Metallindustrie an der Unterweser sollte erste 1974 stattfinden.

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Zur Person

Dieter Reinken (70) war bei der IG Metall Bremen aktiv, SPD-Abgeordneter der Bürgerschaft und Landesvorsitzender der Partei.  

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