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Besuch im Dom-Nordturm Stufe für Stufe in eine verborgene Welt

Der Nordturm des St.-Petri-Doms in Bremen wird nur in Ausnahmefällen für Besucher geöffnet. Es ist eine geheimnisvolle Reise, die bei den Gebetskerzen im Dom beginnt.
11.10.2017, 20:33 Uhr
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Von Kristina Bellach

Hinter schweren Türen verbergen sich Schätze. Mal ist es wie auf Opas Dachboden, mal wie in der Kulisse eines Fantasy-Epos. Es ist eine geheime Welt, nostalgisch und spannend zugleich, die sich im Nordturm des St.-Petri-Doms verbirgt. Der ist, anders als sein Zwilling, der Südturm, der Öffentlichkeit so gut wie nie zugänglich.

Los geht die Reise bei einer schweren Holztür nahe den Gebetskerzen. Nur wenige können Einlass gewähren; dieses Mal ist es Bauherr Hermann Eibach, der den Schlüssel hat. Vor uns liegen rund 300 Stufen.

Schummrig ist es auf der Wendeltreppe. Zunächst geht es 36 unerwartet komfortable Stufen zum ersten Stock hinauf. Der obere Teil des Nordturms sowie der heutige Südturm existierten erst seit der großen Restaurierung, erläutert Eibach, während er voran steigt. Nach dem Entwurf des Architekten Max Salzmann und mit Baubeginn 1888 wurde das Konstrukt bis auf das dritte Geschoss abgerissen und restauriert. Fünf Jahre später waren beide Türme fertig.

Fundstücke aus romanischer Zeit

Plötzlich offenbart sich hinter einer Tür zur Linken eine Kammer. Ihren Inhalt schluckt die Dunkelheit, bis Eibach eine alte Gitterlampe anschaltet. Im Schatten der Ecken senken mit ernstem Blick christliche Skulpturen ihre Häupter. Entlang der Wände reihen sich schmuckvolle Köpfe von Säulen. Fundstücke aus romanischer Zeit sind sie, dieser Raum ist ein Zwischenlager, sie sollen in das Archiv. „Das sind Dinge, die hier Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte lagern. Die kann man nicht einfach wegtun", gibt Eibach zu bedenken. In der Mitte steht als quadratischer Käfig der Aufzug. „Falls an den Glocken etwas repariert werden muss“, bemerkt der Bauherr.

Eine kurze Holztreppe führt in eine Zwischenetage. Dort lagern haufenweise Stühle, allesamt Sitzgelegenheiten aus dem Nordschiff, das nur während der Wintermonate bestuhlt ist.

Ein Geschoss darüber öffnet Eibach eine weitere Tür. In der Mitte zieht der offene Fahrstuhlschacht den Blick in das darunterliegende Geschoss an. Aus der Vogelperspektive entdeckt man Dinge, die vorher unbeachtet blieben: alte Lüster, Kartons, ein grüner Kranz für die Weihnachtszeit. Mit abebbender Faszination dafür, gerät das eigentliche Umfeld in den Fokus. Eine alte Uhr lehnt an der Wand, daneben defekte Kirchenfenster und eine Gedenktafel für den Dompastor Johann Knüttel aus dem 17. Jahrhundert. Noch mehr stumme Zeugen befinden sich hier: „Die roten Ziegel“, deutet Eibach auf das Mauerwerk. „Hier kann man sehen, dass der Dom aus Ziegelsteinen gebaut ist. Außen ist er nur aus Sandstein ummantelt.“ Und die Uhr, die alt ist, wohl aber nicht antik. „Vor der Restaurierung hatte der Dom keine Uhren“, klärt der Bauherr auf, „erst danach.“ Über einen unscheinbaren Fliesenstapel in der Ecke verrät Eibach: „Das ist die Reserve für die Bodenfliesen unten im Kirchenschiff.“

Ein Ort, an dem Alt und Neu zusammentreffen

Etwa 60 Stufen und ein leichtes Wadenziehen später taucht der Eingang zum Gewölbe auf. „Diese Tür bitte nur anlehnen, nicht zuknallen“, warnt ein Schild. Sie ließe sich sonst nur mit einem Vorschlaghammer öffnen – natürlich nur von außen. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, betritt einen Ort, an dem Alt und Neu zusammentreffen. Eine lange Holzbrücke führt über das Gewölbe mit den typisch gotischen Kreuzrippen. Im spärlichen Licht schmaler Fenster hält Eibach inne und weist auf die Konstruktion von Ankern und Stahlseilen, die an den Außenmauern fixiert ist. „Bei einer gotischen Kathedrale gibt es einen seitlichen Schub nach außen, auch weil der Dachstuhl auf das Mauerwerk drückt“, erklärt er. Zwar gebe es ein Strebewerk, das solche Kräfte ableite. „Hier hat man mit Ankern, die die Außenmauern greifen, zusätzlich abgesichert.“

Über den mächtigen Buckeln und Tälern aus dem 16. Jahrhundert wandert man, bis die Brücke links abbiegt; dort geht es hinaus auf eine mit filigranen Türmchen, den Phialen, besetzte Balustrade. Der Marktplatz liegt weit unten, das grüne Dach direkt hinter uns. Hoch ist es, dabei haben wir nicht mal die Hälfte geschafft von der Strecke, die wir gehen werden. Möglich wäre noch mehr.

Zurück über die Holzbrücke und 19 Stufen höher, befindet sich im vierten Stock der Motor des Aufzugs. Hinter einer Fensterfront aus Bleiglasrauten und einer Tür ist das Uhrwerk samt Antriebswelle für die Zeiger. An den Wänden aber haben „Fritz, 55“, „Wolfgang, 09“ sowie andere mit Kuli und Edding ihre Spuren hinterlassen. „Eine schreckliche Sache“, findet Eibach. Besucher einer der seltenen Führungen am Kirchentag vermutet er hinter dem Gekritzel.

Auf der linken Seite des Raumes geht die Treppe weiter, erheblich schmaler als bisher. Nach wenigen Schritten ist man bereits über dem Dachfirst, doch sind es noch fast 80 weitere Stufen bis zur nächsten Station: den Glocken. Die Treppe scheint endlos, und eine Zahl wie „80“ nimmt verblüffende Dimensionen an. Endlich hält Eibach an und bittet in einen hohen Raum mit Fenstern aus Holzlamellen, der Glockenstube, in der drei der vier Domglocken hängen. Die vierte, die „Brema“, läutet bei kirchlichen Festen im Südturm. Zwischen „Hansa“ und „Felicitas“ von 1951 befindet sich mit der 4800 Kilogramm schweren „Maria gloriosa“ zwar nicht die größte, aber die älteste Glocke des Doms. 1433 fertigte sie der Erzgießer Ghert Klinghe.

Domglocke aus dem Mittelalter

Von acht Domglocken aus dem Mittelalter sei nur diese eine erhalten, berichtet Eibach. Oft seien in den Weltkriegen Glocken eingeschmolzen und von der Rüstungsindustrie verarbeitet worden. „Auch unser Dom hat so Glocken verloren." Verziert ist sie mit biblischen Szenen, die beiden Neueren wirken dagegen recht schlicht. "Eine Ebene höher könnten wir auf die Glocken herabsehen", schlägt Eibach vor.

Wie das wohl wäre, wenn jetzt die Glocken... – und dann setzt sich das Geläut auch schon in Bewegung. Die Schläge hallen durch den Turm, die Luft vibriert regelrecht, der Körper auch. Vor Schreck setzt kurz das Herz aus. Dank der schrägen Lamellenfenster schallt der Klang über 30 Meter weiter unten jedoch charmant über den Marktplatz.

Zwar sind wir weit über den Dächern der Altstadt, doch die Höhe der Aussichtsplattform im Südturm ist erst dort erreicht, wo die Mechanik der Uhrzeiger ist und der Fahrstuhl endet. Hier können die Schwindelfreien einen Blick in den Schacht wagen. Wo das Vergnügen im Südturm nach 265 Stufen in 68 Metern Höhe mit Blick über Bremen endet, beginnt es im Nordturm erst. Stufe um Stufe geht es weiter durch den Anfang des Turmhelms.

Die endlosen Stufen des Doms

Der Atem stockt da, wo der quadratische Grundriss des Turms in das Achteck des Daches übergeht. Wie eine fantastische Spirale ziehen sich schier endlose Stufen an der nackten Wand des Turmkegels bis zur Spitze. Das dünne Metallgeländer scheint im gelben Schummerlicht kaum vorhanden; mit dem spitz zulaufenden Turmdach springt auch die Treppe mit steigenden Metern weiter und weiter hervor. Ganz oben, man erahnt Tageslicht, gebe es eine Öffnung sowie eine Plattform, merkt Hermann Eibach an – für eventuelle Reparaturen am Dach. „Ich habe aber noch nie gehört, dass jemand das musste.“

Man könnte aber doch, denkt man und beginnt den Aufstieg, vorbei an einem verlassenen Taubennest. Es ist luftig, links ist nur die kahle Wand, rechts geht der Blick frei nach unten. Nach 18 Stufen reicht es. Der Magen rebelliert, eine aufsteigende Angst lähmt jeden Versuch, weiterzugehen.

Nein, dort oben sei er noch nie gewesen, gibt Eibach zu. Der Architekt Wichmann aber. „Drei oder vier Mal in meinen 22 Jahren hier“, bestätigt er. Dort oben habe man einen grandiosen Blick auf Bremen, sagt er. Eigentlich. „Es ist ein Drahtspiegelglas davor.“

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