Wäscheleinen, sagt Elvira Hendricks, Wäscheleinen, Handtücher und Bettlaken hätten ihr dabei geholfen, ein besseres Gefühl für den Raum zu bekommen. Noch wohnt die 66-Jährige in einer 50 Quadratmeter großen Wohnung, doch spätestens 2024 will sie ihr Zuhause verkleinert haben, auf dann 35 Quadratmeter. „Und damit ich mir besser vorstellen kann, wie viel Platz mir dann noch bleibt“, sagt sie, „habe ich in meiner jetzigen Wohnung Wäscheleinen gespannt und Handtücher und Bettlaken daran aufgehängt.“ Handtücher und Bettlaken als „Wände“, die die künftige Wohnfläche markieren.
Das Bettlaken-Experiment hat noch einmal bestätigt, was Hendricks im Prinzip längst wusste. Ihr bleibt nicht viel Platz nach dem Umzug. Sie weiß, dass sie sich ein weiteres Mal von einigen Dingen wird trennen müssen. Es ist schon das zweite Mal in ihrem Leben, dass sie sich bewusst verkleinert. Elvira Hendricks hat sich für Tiny Living entschieden, einen Lebensentwurf und ein Wohnkonzept, das den Alltag und den Wohnraum auf das Notwendigste reduziert.
Mark Christiansen kennt mehrere Menschen, die so ähnlich ticken wie Elvira Hendricks. Christiansen ist Gründer und Sprecher der Bremer Initiative Tiny-House-Kultur. Tiny Houses sind kleine Häuser, je nach Definition 20 bis maximal 50 Quadratmeter groß. „Die Nachfrage hat seit Corona noch einmal zugenommen“, sagt Christiansen. Erst die Pandemie und jetzt der Ukraine-Krieg, die Inflation und die steigenden Energiepreise lassen offenbar viele Menschen ihren Lebensstil überdenken.
Christiansen hat vor fünf Jahren gemeinsam mit Andrea Birr das Projekt gestartet. Einen Platz für zehn bis 15 Tiny Houses haben sie seitdem gesucht. Bis heute vergeblich. In Hannover ist man da schon deutlich weiter.
Elvira Hendricks wohnt im Moment noch im Stadtbezirk Döhren, im Südosten Hannovers. Ihr künftiges Zuhause muss noch gebaut werden, es wird im sogenannten Ecovillage stehen. Auf 50.000 Quadratmetern wächst in Hannover-Kronsberg eine Siedlung für 1000 Menschen heran mit über 500 Wohneinheiten, darunter auch 50 Tiny Houses. Gemeinschaftlich, bezahlbar, nachhaltig, zukunftsweisend und genügsam soll im Ecovillage gelebt werden.
Hendricks hat sich zwar gegen ein Tiny House entschieden. Vom Konzept der Reduzierung ist sie aber überzeugt. Allerdings sagt sie auch: „Man darf sich nicht selbst in die Tasche lügen. Man sollte genau wissen, auf was man sich einlässt, wenn man sich verkleinert.“

Elvira Hendricks sagt: "Man darf sich nicht selbst in die Tasche lügen. Man sollte genau wissen, auf was man sich einlässt, wenn man sich verkleinert.“
Hendricks weiß, wovon sie spricht. Sie näht zum Beispiel leidenschaftlich gern. In ihrem alten Haus hatte sie einen großen Zuschneidetisch, eine „Luxussituation“, wie sie heute sagt. In ihrer aktuellen Wohnung ist aus dem freistehenden Tisch eine Arbeitsfläche zum Wegklappen geworden.
Oder ihre Schuhe. In Schränken und in Kisten habe sie bei ihrem Auszug aus dem Haus Paar um Paar gefunden, „mir war gar nicht mehr bewusst, wie viele Schuhe ich hatte“, sagt sie. Heute kommt sie mit vier bis fünf Paaren aus. „Ich habe gelernt, dass die Dinge, die man zwei Jahre lang nicht gebraucht hat, auch die nächsten 25 Jahre nicht benötigt.“
Ein bisschen mulmig ist ihr bei diesen Einschnitten trotzdem. Ihre Mutter sei mit 92 Jahren gestorben, sagt Hendricks, „und ich habe in ihren letzten Lebensjahren festgestellt, dass ihr Dinge aus der Vergangenheit von Jahr zu Jahr wichtiger wurden.“ Jeder Gegenstand hat eine Geschichte, und so ganz ohne Erinnerungsstücke scheint es nicht zu gehen.
In Bremen stellen sich die praktischen Fragen einer Haushaltsverkleinerung für die Tiny-House-Freunde bisher nur theoretisch. Dabei wähnten sich Christiansen und seine Mitstreiter vor zwei Jahren schon fast am Ziel. Einen Standort an der Stromer Straße in Woltmershausen hatten sie ausgeguckt, die Politiker im örtlichen Beirat schon überzeugt, ehe die Baubehörde ihr Veto einlegte. Ohne Bebauungsplanänderung, so das Ressort, werde es an dieser Stelle nichts werden mit der Siedlung. Für Christiansen war diese Aussage im Mai 2022 der Zeitpunkt, das Projekt für gescheitert zu erklären.
Offenbar kommt jetzt aber wieder Bewegung in die Angelegenheit. Für Ende Oktober hat das Bauressort zu einem Gespräch mit den baupolitischen Sprechern der Regierungsfraktionen und der Initiative eingeladen. „Es gibt keinen Stillstand“, sagt Linda Neddermann, Sprecherin der Baubehörde, „es gilt weiterhin die Aussage von Senatorin Maike Schaefer.“ Die Grünen-Politikerin hatte Anfang des Jahres erklärt, dass es in einer Großstadt wie Bremen wichtig sei, unterschiedliche Wohnformen anzubieten, „der Ruf nach nachhaltigem Leben in Tiny Houses“ gehöre dazu. 17 mögliche Standorte hatte ein Stadtforschungs- und Planungsbüro damals im Auftrag der Behörde ausfindig gemacht.

Mark Christiansen sagt: „Weiter geht es nur, wenn es von Seiten der Behörde jetzt einen Durchbruch oder Befreiungsschlag gibt.“
Christiansen freut sich über die Einladung, aber er ist skeptisch. „Nur um zu reden, müssen wir nicht zusammenkommen“, sagt er. Die Positionen seien hinlänglich bekannt, die Argumente ausgetauscht. „Weiter geht es nur, wenn es von Seiten der Behörde jetzt einen Durchbruch oder Befreiungsschlag gibt.“ Dabei müssten es aus Christiansens Sicht gar nicht mehr unbedingt die zunächst angedachten 3000 Quadratmeter Fläche für bis 15 Wohneinheiten sein. Die Siedlung könne auch kleiner ausfallen, „vielleicht fünf bis sieben Häuser auf 1000 Quadratmetern“. Es müsse für die Stadt doch von Interesse sein, „ein Leuchtturmprojekt“ vorweisen zu können, meint er.
Das Ecovillage in Hannover hat seine Strahlkraft entfaltet. Elvira Hendricks freut sich am meisten auf die künftige Gemeinschaft im Dorf. Zwar gibt sie noch einmal 15 Quadratmeter Wohnfläche ab, aber dafür optimiert sie die Zuschnitte. Sie wird eine vergleichsweise große Wohnküche haben und dafür auf ein reines Wohnzimmer verzichten. In ihrer jetzigen Wohnung habe sie das noch, „mit Platz für sieben Gäste“, sagt sie, „aber ganz ehrlich, wir haben hier nie mit sieben Leuten gesessen.“