Franka Teubel lächelt. „Warnemünde gehört schon zu Rostock, aber es ist eben anders“, sagt die Leiterin des Ortsamtes Nordwest 1. Warnemünde fällt in ihre Zuständigkeit. Doch de facto, so scheint es, hat sich dort ein ortspolitisches Eigenleben entwickelt.
Warnemünde ist das Aushängeschild Rostocks. Tausende von Touristen kommen Jahr für Jahr, um das Flair am Alten Strom mit seinen Schiffen und den Ostseestrand zu genießen. Oder an Deutschlands größtem Kreuzfahrtterminal eines der Schiffe zu besteigen. Und wenn Rostock zur „Hansesail“ einlädt, spielt sich der größte Teil des Geschehens vor Warnemünde ab. Das ist es, was dieses „anders“ ausmacht. „Warnemünde ist nicht Rostock“, urteilt beispielsweise ein junger Mann, „das ist wie mit Vegesack und Bremen.“ Er kennt beide Verhältnisse, er ist vor knapp zehn Jahren von der Weser an die Warnow gezogen.
Das Verhältnis der beiden Stadtteile zum jeweils Großen ist ein Antrieb dafür gewesen, dass Vegesack und Warnemünde im Jahr 1993 eine Stadtteilpartnerschaft beschlossen haben. Viele gleichartige Problemlagen erschienen für ein Zusammenrücken auf unterschiedlichen Ebenen ideal – insbesondere die maritime Tradition, die sowohl in Warnemünde als auch in Vegesack schon immer eine große Rolle gespielt hat.
Am 22. August 1993 setzten der damalige Vegesacker Beiratssprecher Paul Schmidt und Eckhard Spillmann, Sprecher des Ortsbeirates Warnemünde / Diedrichshagen, ihre Unterschriften unter das Dokument. Zwei Mal fand die Zeremonie statt: in Warnemünde und in Vegesack. Es herrschte so etwas wie Aufbruchstimmung. Der Beitritt der ehemaligen DDR zum Grundgesetz, allgemein als Wiedervereinigung bezeichnet, war knapp drei Jahre zuvor erfolgt. In den neuen Ländern gab es eine Menge zu tun: Die öffentliche Verwaltung musste an moderne Standards angepasst, Strukturen aufgebaut und ganz handfest zum Beispiel Straßen saniert werden. Vor allem aber mussten Arbeitsplätze her, war doch fast die komplette ostdeutsche Industrie zusammengebrochen.
Da Bremen und Rostock im Jahr 1987 eine Städtepartnerschaft geschlossen hatten, leisteten die Hansestädter West bei den Hansestädtern Ost finanzielle und personelle Aufbauhilfe. Rund fünf Millionen D-Mark überwies Bremen von 1990 bis 1992 nach Rostock. Darüber hinaus wurden Beamte und Angestellte verschiedener Ressorts und stadteigener Unternehmen gegen Zahlung einer Sondervergütung, „Buschzulage“ genannt, an die Warnow abgeordnet.
Im Windschatten der Bremer Hilfe intensivierten sich die Kontakte zwischen Vertretern des Stadtteils Vegesack und des Ortsteils Warnemünde, die schließlich in der Unterzeichnung der Partnerschaftserklärung mündeten. Die Erklärung beschließt engere Kontakte auf „kulturellem, sportlichem und sozialem Gebiet“. Auch von „regelmäßigem Erfahrungsaustausch und ergänzenden Veranstaltungen“ angesichts „wachsender Aufgaben und der dazu erforderliche Ausbau der Kompetenzen und Funktionen der Beiräte und Ortsämter“ ist die Rede. „Zur Lösung gesellschaftlicher und kommunaler Probleme in den jeweiligen Beiratsgebieten werden Vertreter der beiden Beiräte und Ortsämter Hilfestellung leisten“, lautet ein weiterer Kern der Vereinbarung.
Anfangs sei es eine Einbahnstraße gewesen, erinnern sich beteiligte Vegesacker Beiratsmitglieder wie die damaligen CDU-Fraktionsmitglieder Silvia Neumeyer und Rainer W. Buchholz. Beide sitzen inzwischen in der Bremischen Bürgerschaft, Buchholz für die FDP. Vegesacks Ortsamtsleiter Heiko Dornstedt stimmt in diesen Kanon mit ein. Er macht aber auch darauf aufmerksam, dass die Warnemünder die Vegesacker inzwischen „in einigen Bereichen um Längen überholt“ hätten. Beispiele dafür seien die maritime Tradition und der Tourismus.
Aus heutiger Sicht spricht Dornstedt von einem „Geben und Nehmen“. Das kann Alexander Prechtel (CDU), seit 14 Jahren Sprecher des Beirates Warnemünde/Diedrichshagen, nur unterschreiben. „Es ist wichtig, über den Tellerrand zu blicken und zu schauen, wie andere Probleme lösen“, sagt Prechtel.
Vor Ort komme es ihm darauf an, „die Parteipolitik herauszuhalten“, wenn es auch nicht immer gelinge. Prechtel sagt: „Es geht um Warnemünde.“ Damit punktet er nicht nur an der Warnow, sondern auch an der Weser. „Das wünsche ich mir auch wieder mehr für Bremen-Nord“, meint etwa die CDU-Politikerin Neumeyer. Dem schließen sich ihre beiden Kollegen Buchholz und Heike Sprehe (SPD) an. Letztere war bis Ende der vergangenen Wahlperiode Vegesacker Beiratssprecherin und ist jetzt ebenfalls Bürgerschaftsabgeordnete.
Die Vegesacker und ihr Warnemünder Kollege sind der Überzeugung, dass eine derartige Partnerschaft nicht nur von den ortspolitischen Themen lebt, sondern in erster Linien von persönlichen Kontakten sowie vom Engagement jedes einzelnen Beiratsmitglieds. Genau dort hakt es vielfach, so auch bei den Kontakten zwischen Warnow und Unterweser. Denn nicht allzu lange nach der Unterzeichnung der Urkunde drohte das Vorhaben einzuschlafen.
Davon ist indes überhaupt keine Rede mehr. Spätestens mit dem 20. Jahrestag des DDR-Beitritts zum Grundgesetz im Oktober 2010 machten Warnemünder und Vegesacker in einer gemeinsamen Beiratssitzung klar, dass sie ihre Kontakte auch in der Zukunft pflegen möchten.
Beide Gremien treffen sich in diesem Jahr wieder. Am 3. Oktober um 14 Uhr tagen die Ortspolitiker im Conference Room der Jacobs University. Klaus Sondergeld, Chef der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Bremen (WFB), stellt das Freizeit- und Naherholungskonzept vor. Bei den Warnemündern geht es um die „Versorgung mit öffentlichen Toiletten“ sowie „Pflege und Unterhaltung der öffentlichen Grünanlagen“.
Für Prechtel sind beide Themen ideal, um auf den Partner-Stadtteil zu schauen. „Bei uns gibt es überhaupt keine öffentlichen Toiletten“, beschreibt er das Dilemma. Auf der anderen Seite könnten die Vegesacker angesichts der Personalknappheit der Umweltbetriebe kreative Ideen für das Grün im Stadtteil mit auf den Weg bekommen.