Ein Missverständnis sorgte am Donnerstagmorgen dafür, dass der Berufsverkehr die Martinistraße bis fast halb neun ungehindert in alle Richtungen passieren konnte. Mit der Folge, dass das ganz große Verkehrschaos ausblieb. Eigentlich war die Sperrung für den Aufbau des groß angelegten mehrmonatigen Verkehrsversuchs mit sommerlichem Auftakt-Event vom Amt für Straßen und Verkehr (ASV) ab sechs Uhr angekündigt. Doch bei der damit beauftragten Firma lag die Information vor, dass bis acht Uhr zunächst noch die Buslinie 25 durchfahren soll. Tatsächlich war der Bus laut BSAG-Sprecher Andreas Holling aber ab Betriebsbeginn auf der Umleitungsstrecke über Wall-, Bürgermeister Smidt- und Westerstraße unterwegs. "Das ist auch die Information, die wir übermittelt haben."
Wie es zu dem Missverständnis kam, konnte auch Susanne von Essen nicht aufklären. Die Geschäftsführerin der Firma Sternkultur, die im Auftrag der Verkehrssenatorin das Kultur- und Rahmenprogramm auf der für drei Wochen gesperrten Straßenfläche zwischen Pieperstraße und Parkhaus Pressehaus organisiert, sorgte kurzerhand persönlich für Verkehrsberuhigung. Sie stellte sich auf die Straße und erklärte den Autofahrern, wie die aktuelle Verkehrsregelung aussieht. "Auch wenn die Sperrung noch nicht aufgebaut ist, gilt sie ja bereits. Die notwendige Beschilderung steht."
Die Sperrung war aus ihrer Sicht auch deshalb notwendig, weil die verschiedenen Unternehmen bereits angerückt waren, die dort ab sieben Uhr mit dem Aufbau eines aufblasbaren Keilkissens für eine künstliche Surfwelle sowie von zunächst zwei jeweils 3,5 Meter hohen Aussichtsplattformen beginnen wollten. Ihre Fahrzeuge und Materialien brauchten den Platz auf der Straße.
Autofahrer reagieren gelassen
Als die Absperrung ab 8.30 Uhr offiziell errichtet war, blieb das Verkehrsaufkommen am ersten Ferientag indes überschaubar. Die Mitarbeiter von Sternkultur, die vor der Absperrung bereitstanden, um Fragen der Autofahrer zu klären, hatten wenig zu tun. "Ja, manchmal regt sich schon mal jemand auf", sagt einer der Helfer. Aber die meisten nähmen die Sperrung wohl einfach als weitere Baustelle der Sommerferienzeit wahr, deren Einrichtung sie übersehen hätten. "Jede Sperrung braucht immer ein paar Tage, bis die Verkehrsteilnehmer die Veränderung verinnerlicht haben", bewertet Andrea Voth, Sprecherin des ASV, den Vorgang als normales Geschäft ihrer Behörde. Behördenleiter Sebastian Mannl gesteht aber, dass die dreiwöchige Vollsperrung tatsächlich nur in den Ferien gut verkraftbar sei. "Bei normalem Verkehrsaufkommen außerhalb der Urlaubszeit zeigen unsere Berechnungen schon einige Engpässe auf den Ausweichstrecken."
Wladi Wagner, der seit 24 Jahren eine Änderungsschneiderei an der Martinistraße führt, sieht vor allem Engpässe für sein Geschäft. Sorgen machen ihm die neuen Poller direkt vor der Tür, die zwei Arbeiter gerade auf der Fahrbahn verdübeln. Sie grenzen einen Fahrstreifen für Radfahrer ab, sodass der Bürgersteig jetzt viel breiter wird. Allerdings können so auch die Parkplätze am Fahrbahnrand nicht mehr genutzt werden – und das wird für die gesamte Dauer des Verkehrsversuchs bis April kommenden Jahres auch so bleiben. "Die Hälfte meiner Kundschaft hält hier kurz mit dem Auto, um eben was zu holen oder zu bringen", sagt Wagner. Den kommenden Monaten schaut er skeptisch entgegen, ebenso wie Kollegin Birgit Kammann, die im gleichen Ladengeschäft eine Reinigung betreibt. "Wir sind ohnehin schon durch Corona gebeutelt, weil die Kundschaft aus den umliegenden Büros fehlt, die alle im Homeoffice sitzen", sagt sie. Die mal eben mit dem Auto vorfahrenden Kunden wären daher wichtig geworden.
Schräg gegenüber in der Jeans Disco ist man optimistischer. "Alles, was kommt, kann nur besser sein, als die jetzige Rennstrecke", sagt Geschäftsführer Reinhard Kügel. Seine Kunden kämen ohnehin per Rad oder Bus und wenn durch die geplanten Aktionen mehr Menschen aus der Obernstraße in die Martinistraße angelockt würden, sei das doch eine gute Sache.
Das betont auch Verkehrssenatorin Maike Schaefer (Grüne), die anlässlich des Aufbaus noch einmal die langfristigen Ziele betont. Das ist vor allem der Rückbau der Martinistraße auf zwei Spuren, um der Strecke den Charakter einer trennenden Schneise zwischen Innenstadt und Weserufer zu nehmen.
Bei dem kommenden Verkehrsversuch sollen zudem mögliche Varianten der Verkehrsführung ausprobiert werden. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob aus der Martinistraße eine Einbahnstraße werden kann. Ab September soll das getestet werden, zeitgleich zu einer ersten Umgestaltung der Straße Am Wall, die dann vom Herdentorsteinweg bis zum Tiefer zur einspurigen Einbahnstraße wird. "Das Ergebnis ist ein Ring um die Innenstadt, für dieses Konzept bekommen wir dann realistische Zahlen zur Verkehrsbelastung", sagt ASV-Chef Mannl. Aus Sicht der Verkehrssenatorin ein wichtiger Schritt zur anvisierten autofreien Innenstadt.