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Kommentar zur Bremer Martinistraße Verkehrter Versuch

Durch den Verkehrsversuch verzögert sich der eigentliche Rückbau der Bremer Martinistraße. Die Grünen konterkarieren damit ihr eigenes Ziel. Und das ist ziemlich verrückt, meint Jürgen Hinrichs.
29.07.2021, 20:29 Uhr
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Verkehrter Versuch
Von Jürgen Hinrichs

Was ist das auf der Martinistraße? Was nur? Ein sommerliches Happening mit Wasserspielen, Liegewiese und Sandgrube? Oder mehr? Will man die Verhältnisse zum Tanzen bringen, getreu dem Motto der Sponti-Szene von früher, die unter dem Pflaster den Strand wähnte? Tja, man weiß es nicht. Ein Rätsel.

Die Erklärung kommt von den Behörden: Das 800 Meter lange Asphaltband in der Bremer Innenstadt soll neu interpretiert werden – als städtischer Raum, den die Menschen sich zurückerobern. Kein tosender Durchgangsverkehr mehr, keine Poser und Raser am Wochenende. Stattdessen zum Beispiel eine Surfwelle mitten auf der Straße, die zwar etwas mickrig ausgefallen ist, den paar jungen Leuten aber trotzdem gefällt. Mal was anderes, sagen sie, irgendwie cool. In zwei Wochen ist der Spaß wieder vorbei, dann wird die Sperrung aufgehoben und mit dem eigentlichen Verkehrsversuch begonnen.

Dass die Martinistraße eine Zeit lang dicht ist, okay, kann man machen. Man kann es genauso gut aber auch lassen, denn wo, bitteschön, ist der Erkenntnisgewinn? 70 Meter zwischen den Absperrungen, die mit Aktionen bespielt werden, haben absolut nicht die Dimension, um den knappen Kilometer Häuserschlucht grundlegend anders wahrzunehmen und sein Potenzial besser einzuschätzen. Ebenso wenig gelingt das mit den Türmen am Straßenrand, dafür sind sie nicht hoch genug.

Nichts dagegen, mal die Perspektive zu wechseln, das herkömmliche Muster zu unterbrechen, damit sich für mögliche Nutzungen in der Stadt der Horizont weitet. Gut gelungen ist das vor Jahren auf dem Rembertikreisel und auf der Hochstraße am Hauptbahnhof: Die Autos raus, und schauen, was das für einen Effekt erzielt. Auf dem Grün der Verkehrsinsel grasten Kühe. Die Menschen flanierten, ließen sich unterhalten und beköstigen, sie begriffen die Umgebung plötzlich ganz anders als sonst. Das hatte was, auch wenn es ohne Folgen blieb. Kein Vergleich jedenfalls zu dem bisschen Budenzauber auf der Martinistraße.

Die Podeste an der Straße bleiben stehen, bis der Verkehrsversuch beendet ist. Das wird nicht morgen sein, auch nicht übermorgen, sondern zieht sich bis April hin – ein acht Monate langes Provisorium mit wechselnden Varianten. Die Kosten: 1,3 Millionen Euro. Für so viel Geld soll herausgefunden werden, was in mindestens einem Punkt schon lange unstrittig ist: Die Martinistraße wird zweispurig, das steht fest. Offen ist nur noch, ob auf einem Teil der Verbindung eine Einbahnstraßenregelung in Kraft tritt.

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Dafür der ganze Aufwand. Wer soll das verstehen? Zumal eine andere Herangehensweise politisch und von der Sache her klüger gewesen wäre. Verkehrssenatorin Maike Schaefer von den Grünen will den Rückbau der breiten Schneise, die sich durch die Innenstadt zieht und sie von Schlachte und Weser abschneidet. Ihre Partei kämpft seit Jahrzehnten dafür, und sie hat recht damit. Der Widerstand aus der Wirtschaft und von der Handelskammer war aber stets so vehement, dass dagegen nichts ankam. Von der SPD konnten die Grünen an dem Punkt nicht viel erwarten, von den anderen Parteien auch nicht.

Diese Ausgangslage hat sich verändert. Die Grünen stehen zwar noch allein, wenn sie eine autofreie Innenstadt fordern. Dass die City autoarm werden soll und dazu unter anderem eine verkehrsberuhigte  Martinistraße gehört, ist aber zum Allgemeingut geworden. Auch die Handelskammer stellt sich mittlerweile nicht mehr quer. Schaefer, die generell mit wenig Erfolg regiert, hat die große Chance verpasst, diesen Sinneswandel auszunutzen. Sie hätte sich bereits vor Monaten hinstellen sollen, um einen Erfolg zu verkünden: Alle sind dafür, und ich setze es durch. Die Barriere wird geschleift, endgültig. Rückbau der Martinistraße!

Sofort hätte mit der Planung angefangen werden können. Doch nun verzögert sich das um mindestens ein Jahr, weil zunächst der Verkehrsversuch abgewartet wird und er ja auch noch ausgewertet werden muss. Schaefer und die Grünen konterkarieren damit ihr eigenes Ziel. Und das ist ziemlich verrückt.

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