Mit ein wenig Fantasie könnte die Baustelle als Kunstprojekt durchgehen. So, wie die aufgerollten Kabel alle paar Meter in Dreierreihen von den Decken baumeln. Achtung, Kopf einziehen! Größere Besucher könnten gegen eines der Kabel-Kunstwerke stoßen. Auf den unverputzten Wänden haben Handwerker vor allem Rechenkünste hinterlassen. Am Ende des Flurs flackert kunstvoll das Licht einer Neonröhre.
Martin Claßen zieht den Kopf ein. „Das hier wird der Haupteingang zum neuen Kinderkrankenhaus“, sagt der Chefarzt der Prof.-Hess-Kinderklinik und der Kinderklinik am Krankenhaus Links der Weser (LDW)
und zeigt auf die beiden Glastüren, die jetzt noch mit Absperrbändern beklebt sind. „An den Haupteingang schließt sich ein langer Flur an, die sogenannte Magistrale. Von dort geht es auf der rechten Seite in den Anmeldebereich, geradeaus immer weiter zu Ambulanzen und in die oberen Etagen mit den Stationen.“

Das Kinderkrankenhaus, in dem jetzt noch die Bauarbeiter das Geschehen bestimmen, gehört zum Teilersatzneubau auf dem Gelände des Klinikums Bremen-Mitte. Bauherr ist der kommunale Klinikverbund Gesundheit Nord (Geno). Mit der Frühgeborenen-Versorgung (Neonatologie), einer Geburtshilfe plus Wöchnerinnenstation, der Kinderchirurgie und -intensivmedizin sowie der Pädiatrie (Kinderheilkunde) werde künftig das gesamte Spektrum der Kindermedizin unter einem Dach angeboten, sagt Claßen. Dazu komme die direkte räumliche Nähe zur Erwachsenenmedizin und deren Spezialisten. „Und damit entsteht hier eines der größten und modernsten Kinderkrankenhäuser Deutschlands“, betont der Chefarzt. Mit 10.000 stationären Patienten im Jahr rechnet der Klinikverbund. Dazu kommen laut Claßen noch einmal 30.000 Notfälle, 5000 Kontakte in der Tagesklinik und 6000 bis 7000 Patienten pro Jahr in den Spezialambulanzen. Über insgesamt 129 Betten – 24 davon in der Neonatologie – soll das neue Kinderkrankenhaus verfügen.
Umzug startet ab Oktober
Die erste Phase des Umzugs ist laut Claßen für Oktober dieses Jahres geplant, nach den Herbstferien zum Ende des Monats soll es losgehen – mit der Kinderchirurgie und der Kinderheilkunde (Pädiatrie). Der Einzug der Frühgeborenen-Versorgung in den vierten Stock des Gebäudes sei allerdings erst frühestens im ersten Quartal 2021 geplant – den Anfang soll dann die Neonatologie aus dem LDW machen. Später soll außerdem ein Teil der Frühgeborenen-Versorgung aus dem Klinikum Bremen-Nord abgezogen und ebenfalls in der neuen Klinik im Hulsberg-Viertel untergebracht werden.
Wann dies sein wird und ob der geplante Teilabzug überhaupt kommt, ist allerdings noch unklar. Fest steht jedoch: Nach dem Keimausbruch vor etwas mehr als sieben Jahren, bei dem drei Kinder starben, wird es erstmals wieder eine Frühgeborenen-Versorgung am Klinikum Mitte geben. Und auch die Geburtshilfe, die im Zuge der Infektionswelle kurze Zeit später geschlossen werden musste, steht dort vor einem Neustart. Mit der Konzentration will das Klinikum Mitte seine Stellung als Oberzentrum in der Kindermedizin und der Versorgung von Risikoschwangerschaften ausbauen.
Widerstand gegen die Zentralisierung, insbesondere der Neonatologie, kommt allerdings aus dem Bremer Norden: Eltern, Mediziner und Pflegekräfte wehren sich gegen den Teilabzug der Frühgeborenen-Versorgung aus dem Klinikum Nord, sie fordern den Erhalt der Abteilung in ihrer jetzigen Form – die Initiative „Kindgerecht“ hatte dafür im vergangenen Jahr in nur vier Wochen 10.000 Unterschriften für eine Petition zusammengetragen. Mit Erfolg: Im November kündigte die neue Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke) an, die Situation für Frühgeborene in Bremen erneut wissenschaftlich bewerten zu lassen. Im Gespräch mit dem WESER-KURIER schloss Bernhard nicht aus, zusätzlich zur sogenannten Level-III- auch die Level-II-Versorgung von Frühchen im Klinikum Bremen-Nord zu belassen – wenn die Gutachter dies empfehlen sollten. „Eine Zentralisierung an einem Standort bietet sehr viele Vorteile, was die Qualität der Versorgung betrifft. Allerdings setzt dies auch entsprechend Personal voraus“, räumt Claßen ein. Stichwort sei der bundesweite Fachkräftemangel, vor allem in der Pflege. Für die Neonatologie sollen laut Krankenhausdirektorin Juliane Schulze zusätzlich zum bereits vorhandenen Personal weitere 30 Pflege-Vollzeitkräfte eingestellt werden. „Wir planen eine große Bewerbungskampagne. Gesucht werden außerdem Hebammen, Physiotherapeuten und andere Berufsgruppen“, so Schulze. „Bei der Suche setzen wir vor allem auch darauf, dass ein solch großes Zentrum Anziehungskraft auf Ärzte und Pflegekräfte ausübt.“
Zimmer mit eigenem Bad
Claßen steht im ersten Stock des Neubaus, in seinem Lieblingsraum, wie er sagt. Die Sonne scheint in das Eckzimmer. Kabel hängen hier nicht mehr von der Decke. Die Wände sind weiß gestrichen, der Bodenbelag strahlt in Sonnengelb. Zwei Betten für Patienten haben künftig in dem Zimmer Platz, außerdem kann jeweils ein Bett für ein Elternteil dazu gestellt werden. Zu jedem Einzel- oder Doppelzimmer gehört ein eigenes Bad. In der Kinderklinik im LDW müssten sich teilweise bis zu sechs Patienten eine Nasszelle teilen. Schulze: „Die Gebäude sind bis zu 50 Jahre alt, ohne den Neubau hätte man dort und auch in der Prof.-Hess-Kinderklinik viel investieren müssen – allerdings wäre es dann bei der Verteilung auf mehrere Standorte geblieben. Genau das wollen wir nicht mehr.“ Die Wand am Kopfende der Betten ist jeweils in einer anderen Farbe gestrichen, sie wiederholen sich an den Schranktüren. An die Station mit den regulären Patientenzimmern schließt sich der Intensivbereich an, dort werden künftig Kinder behandelt, die per Monitor überwacht werden müssen.
Auch im Erdgeschoss sind die Bauarbeiten in einigen Bereichen schon weiter gediehen: Die Räume, in die der Kinderärztliche Notdienst einziehen wird, strahlen ebenfalls in Sonnengelb. Genauso wie die Notaufnahme. Aufgeklebte Schuhabdrücke – in Kindergröße – weisen den künftigen Patienten den Weg. Die Notaufnahme für Kinder ist mit dem Pendant für Erwachsene verbunden. Mehrere solcher „Spangen“, wie der Klinikleiter diese Übergänge nennt, gibt es zwischen Kinderklinik und Erwachsenen-Medizin. Möglichst kurze Wege sollen Zeit und auch Ressourcen sparen bei Diagnostik und Behandlung. „Das ist der große Vorteil der Konzentration an einem Standort“, sagt der Arzt.
Eine besondere Baustelle ist allerdings noch offen, wie Claßen einräumt. „Es gibt noch keinen endgültigen Namen für die neue Klinik.“ Eltern-Kind-Zentrum (Elki), wie das Bauprojekt bislang in Plänen und Behördenpapieren bezeichnet wurde, sei nur ein Arbeitstitel gewesen. Prof.-Hess-Kinderklinik scheide ebenfalls aus, weil mit dem neuen Krankenhaus eine andere Zeitrechnung beginne, auch für das Personal, das aus den anderen Standorten in den Neubau wechsle. „Wahrscheinlich läuft es auf Kinderkrankenhaus Bremen hinaus“, vermutet Claßen. „Spätestens im Oktober sollte aber auch diese Baustelle geschlossen sein.“
4 Kliniken
werden in dem neuen Kinderkrankenhaus vertreten sein: die Neonatologie (Frühgeborenen-Versorgung), die Kinderchirurgie sowie die Kinderurologie- und –orthopädie als zweiter Bereich, die Kinderintensivmedizin und die Pädiatrie (Kinderheilkunde). Außerdem wird es eine Geburtshilfe geben. Dazu kommen eine Tagesklinik und Diagnostikbereiche sowie eine Kindernotaufnahme im Erdgeschoss.
8 Stationen
bietet die Klinik Platz. Neben den vier Regelstationen gibt es eine Intensivstation und eine neonatologische Intensivstation. Beiden Intensivstationen ist jeweils eine sogenannte Intermediate Care-Station angeschlossen. Es gibt vier Stockwerke: Im Erdgeschoss befinden sich die Kinder-Notaufnahme, der Anmeldebereich, die Tagesklinik sowie die Diagnostik. In den oberen Stockwerken liegen die Krankenhausstationen, in der obersten Etage Neonatologie und Kreißsäle plus Wöchnerinnenstation.
400 Beschäftigte
arbeiten in dem neuen Kinderkrankenhaus.
4500 Quadratmeter
beträgt die Grundfläche. Die Bruttogeschossfläche aller vier Ebenen liegt bei etwa 20.000 Quadratmetern, die Nutzfläche aller Ebenen bei 9400 Quadratmetern.
1000 Räume
gibt es insgesamt. Dazu gehören neben den Patientenzimmern auch Stationsräume, Diagnostik- und Behandlungszimmer, Kaiserschnitt-OP, Aufenthaltsräume, Büros und Technikbereiche. (Neben Einzelzimmern für das Isolieren bestimmter Patienten bei Ansteckungs- und Übertragungsgefahr handelt es sich vorwiegend um Zweibettzimmer.)
350 Millionen Euro
kostet der Teilersatzneubau am Klinikum Mitte, etwa 70 Millionen Euro das neue Kinderkrankenhaus.