Ein kompletter Tag, an dem alle Busse und Bahnen in der Stadt stillstehen, das hat es lange nicht gegeben. Bei der Bremer Straßenbahn AG (BSAG) erinnert man sich an einen Warnstreik im Jahr 2004, der allerdings sei nach ein paar Stunden zu Ende gewesen. Die Warnstreiks, die die Gewerkschaft Verdi nun für den kommenden Dienstag angekündigt hat, gehen weit darüber hinaus: Von Dienstbeginn bis Dienstschluss, also von 3 Uhr am Dienstag bis 3 Uhr am Mittwoch, sollen die gut 2000 BSAG-Beschäftigten ihre Arbeit niederlegen. Das Unternehmen reagiert mit einer kompletten Betriebsstilllegung. Kurz: Am Dienstag wird bei dem kommunalen Verkehrsunternehmen gar nichts mehr gehen, Busse und Bahnen werden nicht fahren, die Kundenzentren geschlossen bleiben, die Leitstelle nicht besetzt sein.
„Anders geht es nicht, unter diesen Voraussetzungen ist ein Regelbetrieb ausgeschlossen“, sagt BSAG-Sprecher Jens-Christian Meyer. Warum, macht er an einem praktischen Beispiel fest: Nach Ende der Schicht ist es üblich, dass ein Straßenbahnfahrer sein Fahrzeug an einer Haltestelle an den nachfolgenden Fahrer übergibt; würde ein nicht-streikender Fahrer seine Bahn nach Dienstende übergeben wollen und ein streikender Kollege würde das Fahrzeug entsprechend nicht übernehmen, würden am Ende des Tages überall in der Stadt Straßenbahnen stehen. Meyer sagt auch: „Die Gewerkschaft muss wissen, ob das der richtige Zeitpunkt für einen Streik ist. Von unserer Seite würde ich da ein Fragezeichen setzen.“ Was er meint, ist, dass die BSAG nach dem Lockdown derzeit bei 70 Prozent ihrer sonst üblichen Auslastung steht und das Vertrauen in den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) gerade erst wieder zurückgekehrt ist.
Verdi hat für Dienstag nicht nur bei der BSAG, sondern bundesweit zu Warnstreiks im ÖPNV aufgerufen. Betroffen sind im Verdi-Landesbezirk Niedersachsen-Bremen gut 6000 Beschäftigte, neben der BSAG auch die kommunalen Verkehrsbetriebe in Hannover, Braunschweig, Wolfsburg, Göttingen, Goslar und Osnabrück. Hintergrund für die Entscheidung von Verdi ist, dass sich die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber am vergangenen Wochenende dafür ausgesprochen hatte, nicht in Verhandlungen für einen bundesweit gültigen Tarifvertrag einsteigen zu wollen.
In den vergangenen Jahren hatte jede Kommune mit ihrem jeweiligen Verkehrsbetrieb eigene Verträge abgeschlossen. Insgesamt geht es um 130 ÖPNV-Unternehmen mit 87.000 Mitarbeitern. Verdi fordert für sie unter anderem deutschlandweit zentrale Regelungen zu Urlaubstagen oder Sonderzahlungen.
Geringschätzung gegenüber den Beschäftigten und den Fahrgästen
„Die Arbeitgeber wollen nicht mit uns über bundeseinheitliche Verbesserungen der Beschäftigten reden. Diese offensichtliche Geringschätzung gegenüber den Beschäftigten und auch gegenüber den Fahrgästen, die täglich mit Bussen und Bahnen fahren, ist unverschämt und verlangt eine klare Antwort“, sagt der Bremer Verdi-Gewerkschaftssekretär Franz Hartmann.
Verkehrssenatorin und BSAG-Aufsichtsratsvorsitzende Maike Schaefer (Grüne) sagt, es handele sich um bundesweite Verhandlungen, sie werde sich nicht in die Tarifautonomie einmischen. „Allerdings kommt der Streik zu einem Zeitpunkt, in dem der ÖPNV dringend Vertrauen nach der Corona-Krise zurückgewinnen muss.“ Sie hoffe daher, dass die Tarifverhandlungen ohne weitere Streiks auskommen. Für Dienstag appelliert Schaefer an alle Pendler, diese mögen – soweit wie möglich – das Homeoffice oder das Fahrrad für den Arbeitsweg nutzen, damit die entlastet würden, die auf ein Auto angewiesen seien.
Beim Verkehrsverbund Bremen/Niedersachsen (VBN) geht man davon aus, dass die Busse und Bahnen der Mitgliedsunternehmen im Umland am Dienstag fahrplangemäß fahren werden. Der VBN versammelt etwa 30 Verkehrsunternehmen zwischen Bremerhaven und Diepholz, Rotenburg (Wümme) und Bad Zwischenahn. Laut VBN-Sprecher Eckhard Spliethoff hat der Verbund nach der Warnstreik-Ankündigung einen Rundruf gestartet, um ganz sicher zu gehen. Die Ergebnisse dieser Umfrage sollen bis Montag vorliegen. „Wir gehen bislang aber davon aus, dass die Unternehmen rund um Bremen vom Streik nicht betroffen sind“, sagt Spliethoff.
Zusätzliche Angebote dieser Unternehmen wird es aber wohl nicht geben. Die VBN-Mitglieder dürften nach Spliethoffs Einschätzung kaum in der Lage sein, kurzfristig Extra-Fahrten mit ihren Fahrzeugen zu organisieren, um auf diese Weise den Totalausfall bei der BSAG in Bremen zu kompensieren. Vielmehr sei damit zu rechnen, dass beispielsweise die Regionalbusse, die vom Umland aus den Hauptbahnhof ansteuern, voller sein werden als gewöhnlich.