Bremen. Bayern und Preußen: auf Erden getrennt, im Festzelthimmel geeint. So zeigt es die Alpenkulisse im Bayernzelt auf dem Freimarkt: Ein Zöllner in Lederhosen, streng dreinblickend, sitzt in einem weiß-blauen Kabuff, daneben zeigen die Pfeile „Bayern“ und „Preußen“ in entgegengesetzte Richtungen. Über der bajuwarischen Herrlichkeit aber, dem Dorf mit Berghütten, den saftigen Wiesen, den imposanten Bergen – darüber prosten sich Bayer und Preuße im wolkenlosen Himmel zu.
Im Alltag mögen Nord- und Süddeutsche viel übereinander frotzeln. Moin versus Grüß Gott, Fischbrötchen versus Haxn, Pils versus Weizenbier. Doch auf dem Freimarkt scheint das vergessen: Das größte Volksfest im Norden wird traditionell im Bayernzelt eröffnet. Die weiß-blaue Halle ist das größte Festzelt, hierher strömen die Bremer sonntags zum Frühschoppen. Kurz: Obwohl die Region ihre eigene Festkultur hat, dreht sich in Bremens fünfter Jahreszeit fast alles ums Bayernzelt. Warum eigentlich?
Bierzelte mit Bayern-Deko haben sich seit den 1950er Jahren auf deutschen Volksfesten verbreitet, vermutet der Deutsche Schaustellerbund (DSB). Mindestens so lange gibt es auch das Bremer Bayernzelt. Hier wurde schon 1954 der Freimarkt eröffnet. Der Ansturm damals war so groß, dass die bayerischen Wirte anerkennend „Sakra, die Preißen!“ riefen, berichtete der WESER-KURIER. Denn so ausgelassen habe man am helllichten Tage noch keinen Bremer gesehen. Und wie demonstrierte der Präsident der Bremischen Bürgerschaft seine Volkstümlichkeit? Indem er, so der WESER-KURIER, „vor dem Mikrophon ein Maß Bier leerte, anschließend den Taktstock schwang und die bayerische Alpenkapelle mit echtem Schwung dirigierte.“
Das ist sie wohl, die sprichwörtliche bayerische Gemütlichkeit. Sie stifte Identität und lade andere ein, für eine Weile dazuzugehören, so der DSB. Weniger soziologisch schwärmt Jeanette Hölzgen, die heute das Bremer Bayernzelt betreibt. „Frau, Dirndl, schönes Dekolleté“, lautet ihre Erklärung in Kurzform. „Und hören Sie mal die Musik: Dää de dää de dää. Wenn Sie jetzt Bier getrunken hätten, würden Sie von ganz alleine schunkeln.“
Hölzgen fährt auf Jahrmärkte in Bocholt und Herne, Soest und Hamburg. Sie hat in den letzten Jahren einen „Bayernzelt-Boom“ in Deutschland ausgemacht. Fast jedes Volksfest habe mittlerweile ein Bayernzelt. Manche Schausteller hätten schon ihr Festzelt auf blau-weiß umgerüstet. Ganz zu schweigen vom Oktoberfest, das es mittlerweile zwischen Konstanz und Helgoland in jeder größeren Stadt gibt.
Auf dem Freimarkt hat sich das Bayerische selbst ins erst 1996 eingeführte Hansezelt geschlichen: In einer Ecke ist ein abgezäunter Biergarten, gesponsert von der Erdinger Brauerei. Trudi Renoldi, die Betreiberin, würde aus ihrem Hansezelt sogar ein Bayernzelt machen, falls das angestammte Bayernzelt – wie in den letzten Jahren spekuliert wurde - wegfallen sollte. „Wir haben immer wieder versucht, gegen den Frühschoppen im Bayernzelt anzukommen“, sagt Renoldi. Erfolglos – die Sonntagsveranstaltung habe eben Tradition. Jetzt probiert Renoldis Tochter Nina mit ihrer Almhütte, etwas gegen Hölzgens Bayernzelt zu setzen. In Bonn gelang das schon: Dort ersetzte die Almhütte dieses Jahr Hölzgens Bayernzelt.
Auf dem Oldenburger Kramermarkt hingegen gibt es kein Bayernzelt mehr. Es wurde 2010 durch „Dat Friesenhus“ ersetzt, das „Feiern auf norddeutsch“ verspricht: mit Jever, Strandkörben und Shantychören. Der Betreiber des Friesenzeltes, Uwe Böseler, glaubt, dass auch Bayern Weißbier gegen Jever tauschen würden: „Ich bewerbe mich jedes Jahr fürs Oktoberfest. Die sagen mir aber: ‚Hallo, wir können nicht in München ein Friesenzelt hinstellen!‘“ Bayern und Preußen - nicht überall sind sie im Festzelthimmel geeint.