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Folgen der Inflation Was die Preissteigerungen im Alltag für Menschen in Bremen bedeuten

Im Juni waren Lebensmittel 13 Prozent teurer als im Jahr zuvor, die Preise für Energie stiegen um 38 Prozent. Wie wirken sich die massiven Preissteigerungen im Alltag aus? Drei Bremerinnen und Bremer erzählen.
07.07.2022, 05:00 Uhr
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Was die Preissteigerungen im Alltag für Menschen in Bremen bedeuten
Von Sara Sundermann

"Urlaub ist in diesem Jahr nicht drin"

Helge Heidemann-Neitz wohnt in der Neuen Vahr und arbeitet als Integrationsmittlerin in Tenever. Sie begleitet Menschen in ihrem Stadtteil zum Beispiel bei Behördengängen und unterstützt sie mit Post vom Amt. Heidemann-Neitz ist 65 Jahre alt und hat fünf Kinder. Sie wohnt mit ihrem jüngsten Sohn zusammen. Trotz ihrer Berufstätigkeit bleibt finanziell nicht viel übrig, die Preissteigerungen machen ihr Sorgen. „Wir merken das schon an den monatlichen Kosten, allein schon beim Einkaufen“, erzählt Heidemann-Neitz. „Ich war letzte Woche in der Berliner Freiheit und bin am Eisladen vorbei gekommen. Und die wollten doch tatsächlich für eine Waffel nur mit Puderzucker 4,90 Euro haben. Da habe ich gedacht, das kann’s nicht sein, so etwas könnte ich mir zum Beispiel im Moment gar nicht leisten.“

„Urlaub ist in diesem Jahr nicht drin“, sagt sie. Und vor dem Einkaufen schaut die Bremerin vermehrt in die Prospekte mit den Sonderangeboten. „Mir graut schon vor der nächsten Heizkosten-Abrechnung“, sagt sie. „Wir heizen mit Fernwärme, ich weiß nicht, wieweit sich das noch hochschaukelt.“ Für Miete, Strom, Wasser und Heizkosten zahle sie derzeit bei knapp 800 Euro im Monat. „Wenn wir dann noch eine saftige Nachzahlung bekommen, bewege ich mich ja schon fast im Tausender-Bereich“, sagt sie. Damit wäre dann locker die Hälfte ihres Einkommens aufgebraucht. „Dazu kommen noch Versicherungen und Handyvertrag.“ Derzeit fängt sie an, etwas für höhere Heizkosten beiseite zu legen: „Ich habe so einen Umschlag, da stecke ich ab und zu schon mal 50 Euro rein, man weiß ja nicht, was kommt.“

Durch die Preissteigerungen hat Helge Heidemann-Neitz schon einiges in ihrem Alltag verändert. Wo sie anfängt zu sparen? „Man geht nicht weg, man geht nicht essen“, sagt sie. „Und ich versuche, die Friseurtermine zu strecken, ich gehe nicht mehr alle sechs Wochen zum Friseur, sondern alle acht Wochen – aber dann muss es sein.“

Die Bremerin hat lange in der Gastronomie gearbeitet. Später machte sie eine Ausbildung zur Altenpflegerin und war in der ambulanten Pflege tätig. „Dann kam noch mal eine Familienzeit, dann habe ich noch meine beiden Kinder bekommen, meine Nachzügler“, erzählt sie. Als die Arbeit in der Pflege gesundheitlich für sie nicht mehr gut möglich war, absolvierte sie eine Umschulung zur Kauffrau im Gesundheitswesen. „Allerdings hatte ich dann gar keine Chance, in diesem noch sehr neuen Beruf einen Job zu finden“, erzählt sie. Über einen In-Job im Mütterzentrum Vahr gelang ihr der Wiedereinstieg. „Dann bin ich nach Tenever abgeworben worden“, schildert sie. „Das waren erst mal geförderte Maßnahmen.“ Inzwischen arbeitet sie seit 2015 als Integrationsmittlerin im Mütterzentrum Vahr. „Im Mütterzentrum bekam man eine Chance, darauf kann man gut aufbauen.“

„Ich bin froh, dass ich noch arbeite, meine Rente wird nicht hoch sein“, stellt die Bremerin klar. „Und dann weiß man tatsächlich nicht, wie lange man sich mit der Rente seine Wohnung noch leisten kann.“

"Einschränkungen gibt es überall"

Michaela Böttcher wohnt mit ihrer Familie in Osterholz und arbeitet in einem Second-Hand-Laden, der vom Mütterzentrum Tenever betrieben wird. „Wir sind sechs Personen zu Hause, mein Mann und ich und vier Kinder, die Jüngste ist zwölf, die älteste 27 Jahre alt“, erzählt die 49-Jährige. Die Preissteigerungen beschäftigen sie: „Natürlich macht man sich da seine Gedanken. Vor allem dadurch, dass mein Mann arbeitslos geworden ist und wir jetzt auch wieder zum Jobcenter mussten“, sagt die Bremerin. Ihr Mann hat gerade einen In-Job angefangen. Zuvor, als er noch seine Arbeit hatte, stand der Familie deutlich mehr Geld zur Verfügung, sagt sie: „Man merkt jetzt schon, dass wir ganz schön knausern müssen. Wir haben gar nicht die Möglichkeit, etwas zur Seite zu packen und ein bisschen was zu sparen, das ist einfach nicht drin“, stellt sie klar.

Wenn die Lebenshaltungskosten nicht so gestiegen wären, wäre die finanzielle Situation der Familie jetzt weniger problematisch, sagt sie. „Weil jetzt alles gerade teurer wird, kann ich nichts an die Seite legen. Wenn ich dann im nächsten Jahr was für die Heizkosten nachzahlen muss, weiß ich absolut noch nicht, wie ich das machen soll.“

Michaela Böttcher hat ursprünglich eine Ausbildung zur Fleischerei-Fachverkäuferin gemacht. „Dann habe ich meinen Mann kennengelernt, und kurz danach war ich mit dem ersten Kind schwanger.“ Dann war sie 25 Jahre lang zu Hause und zog die Kinder groß – bis sie 2018 anfing, beim Mütterzen­trum zu arbeiten. Dort arbeitet sie nun 30 Stunden im Second-Hand-Laden. Eine Chance nach ihrer langen Familienzeit ohne Berufstätigkeit, sagt sie. Sie schildert auch: „Mein Verdienst reicht nicht mal ganz aus für Miete, Strom und Wasser.“

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Sparen müsse die Familie derzeit definitiv. „Einschränkungen gibt es bei uns überall“, sagt Böttcher. „Wenn die Kleine mit zum Einkaufen war und Cornflakes zum Frühstück wollte, dann durften das auch gerne mal die Teureren sein, als mein Mann noch gearbeitet hat“, schildert sie. „Das ist jetzt überhaupt nicht mehr drin, da müssen wir wirklich auf die günstigere Variante zurückgreifen, anders geht es nicht.“ Im Supermarkt muss sie genau hinschauen, was in den Einkaufswagen kommt. „Man muss ja auch sehen, dass man den ganzen Monat lang was auf dem Teller hat. Man kann nicht sagen, man kauft die ersten zwei Wochen so ein, wie man es gewohnt ist, und in der zweiten Monatshälfte ist dann nichts mehr da.“

Der Blick auf die Lebensmittelpreise barg für sie zuletzt manchen Schreckmoment: „Ich habe mich letztens so verjagt: Meine Kinder waren nur ein bisschen Brot und Auflage einkaufen und haben 60 Euro bezahlt. Ich habe gedacht, das kann doch nicht angehen, sonst hätten wir da höchstens 40 Euro bezahlt.“ Backen sei im Moment gar nicht mehr drin, allein schon wegen der hohen Preise für Butter.

In einen Freizeitpark wollten sie und ihr Mann im Sommer eigentlich mit den Kindern fahren, doch Reisen und Ausflüge kommen für die Familie derzeit nicht infrage.

"Inflation wird die Rentenerhöhung auffressen"

Seit fünf Jahren ist Rainer Conrades inzwischen in Rente, die letzten zehn Jahre vor seinem Ruhestand hat er als Hausmeister der Oberschule Sebaldsbrück gearbeitet. Er lebt mit seiner Frau in Sebaldsbrück. 50 Jahre und zehn Monate lang hat Rainer Conrades in seinem Leben gearbeitet – seit er 14 Jahre alt ist. „Nach 50 Jahren Berufstätigkeit war ich erschreckt, wie niedrig meine Rente ist“, sagt er. Vor seinem Ruhestand hat er zwischen 2800 und 3000 Euro monatlich verdient, erzählt der 70-Jährige. „Jetzt habe ich weniger als die Hälfte, man muss schon gucken, dass man seinen Verbrauch runterschraubt.“

Dabei möchte er gerne weiter am kulturellen Leben teilnehmen und mit Freunden ab und zu auswärts essen gehen. Seine Wochenendaktivitäten werde er angesichts der Preissteigerungen aber nun wohl einschränken müssen, sagt Conrades. Selbst einen Besuch beim kostenlosen Straßentheater-Festival La Strada sagte er zuletzt vorsichtshalber ab, wenn auch mit Bedauern. „Das kostet keinen Eintritt, aber wenn man da mit seinen vier- und sechsjährigen Enkeln hingeht, dann wollen die auch gerne was haben, und man kann ja nicht immer nein sagen.“ Fünf Enkelkinder hat der 70-Jährige insgesamt.

Auf die erhöhten Preise im Supermarkt stellt er sich ein: „Die Lebensmittel werden so eingekauft, dass es wirklich das ist, was man braucht“, sagt der Bremer. „Auf jeden Fall merke ich die Preiserhöhungen, die Butter hat ja so immens zugelegt, man muss überlegen, ob man sich das noch kauft.“

Beim auswärts Essen gehen beschränke er sich jetzt auf einmal im Monat. „Und ich spare zum Beispiel am Benzin, ich werde auf jeden Fall seltener Auto fahren. Sonst musste ich zweimal im Monat tanken, jetzt nur noch alle sechs Wochen.“ Im vergangenen Jahr arbeitete Rainer Conrades noch ehrenamtlich bei der „Schulschiff Deutschland“ in Bremerhaven, erzählt er. Doch die Kosten für die Fahrt nach Bremerhaven seien für ihn als Ehrenamtler zu teuer geworden. Er suchte sich eine andere, näher gelegene ehrenamtliche Tätigkeit und arbeitet jetzt in einer Bremer Recyclingwerkstatt mit, die er gut ohne Auto erreichen kann.

Auch über die höheren Heizkosten macht der Rentner sich Gedanken: „Die Heizung wird bei uns nicht so hoch gestellt, ich muss in der Wohnung ja nicht in der Badehose herumlaufen. Wenn’s kalt ist, kann man sich ja auch einen Pullover anziehen.“ Er und seine Frau gucken auf die nächste Nebenkostenrechnung. „Ich mache mir schon Sorgen, dass es mehr wird, und möchte Geld zurücklegen für eine Nachzahlung.“

Was die Entwicklung seiner Rente betrifft, macht Rainer Conrades sich keine Illusionen: „Die Inflation wird die Rentenerhöhung von fünf Prozent unterm Strich auffressen, real werde ich dann weniger Einkommen haben.“ Dennoch nimmt er die aktuelle Situation insgesamt mit Optimismus: „Ich will mich nicht beklagen, ich muss nicht hungern, ich habe eine schöne Wohnung, ich komme gut zurecht“, stellt der 70-Jährige klar.

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