Führt das Neun-Euro-Ticket zu weniger Staus? Eine Untersuchung des Verkehrsdatenspezialisten Tomtom im Auftrag des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) deutet nun darauf hin. Demnach ist in vielen deutschen Großstädten das Stauniveau im Juli im Vergleich zum Mai, also dem letzten Monat ohne Neun-Euro-Ticket, gesunken. Besonders deutlich sank das Stauniveau in Stuttgart (von 36 auf 30 Prozent) und in Wiesbaden (von 49 auf 36 Prozent).
Für Bremen allerdings sind die Zahlen nicht so eindeutig. Sank das Stauniveau im Juni zunächst von 31 auf 27 Prozent, ist es im Juli wieder angestiegen – und zwar über das Niveau vor Einführung des Neun-Euro-Tickets. Bei 33 Prozent lag das Stauniveau in Bremen im vergangenen Monat. „In zwölf der 14 untersuchten Städte kamen Autofahrer im Juli besser voran als im Mai", sagt Tomtom-Verkehrsexperte Ralf-Peter Schäfer zu der Untersuchung. "Lediglich in Bremen und in Karlsruhe haben Autofahrer etwas mehr Zeit durch Stau und Verkehr verloren."
Nils Linge vom ADAC Weser-Ems überrascht das nicht. "Momentan wird gefühlt an jeder Ecke in Bremen gebuddelt. Autofahrer müssen irgendwie zusehen, wie sie dorthin kommen, wo sie hin wollen." Als Beispiele führt er die Baustellen am Brill und am Breitenweg an. "Vor Corona hatte ich eigentlich gedacht, dass das besser koordiniert wird, doch das sieht derzeit nicht so aus." Im Vergleich zu anderen Städten wie Hannover habe Bremen keine klassischen Umgehungsstraßen, die um die Stadt herum führen. Daher sei es "kein Wunder", wenn der Verkehr im Stadtbereich oft zum Stehen komme. "Wenn Ein- und Ausfallstraßen dann noch bebaut werden, gibt es nicht allzu viele Ausweichmöglichkeiten", sagt Linge.
Festivals locken auch Touristen an
Carsten-Wilm Müller hat noch eine andere Theorie. Der Professor für Verkehrswesen an der Hochschule Bremen sieht die Zahlen als Indiz, dass die Touristen nach Bremen zurückgekommen sind. "Man sieht an den Zahlen ja nicht, ob die Autofahrer Einheimische sind oder von Auswärts kommen", merkt Müller an. Bremen sei schon immer ein Magnet gewesen, wie die Touristenzahlen vor Corona gezeigt hätten. "Auch Nordsee-Urlauber, die sich die Umgebung anschauen möchten, fahren oft nach Bremen." Gerade sommerliche Aktivitäten und Festivals wie die Breminale hätten wieder mehr Leute hergelockt. "Da im Nahverkehr immer noch die Maskenpflicht gilt, ist das Auto bei langen Strecken vielleicht bequemer", mutmaßt Müller. Die Bremer selbst würden sich aufgrund der Baustellensituation wohl nicht häufiger ins Auto setzen – schließlich sei Bremen noch immer Norddeutschlands "Fahrradhauptstadt". Im Herbst würden die Touristenzahlen – und damit auch das Stauaufkommen – wieder sinken, so der Professor.
Bereits im Juni hatte Tomtom das Stauniveau in 26 deutschen Städten untersucht. Auch dort hatte sich in vielen Städten schon ein Effekt des Neun-Euro-Tickets gezeigt. Da im Juni und Juli vielerorts die Sommerferien begannen, beschränkten sich die Statistiker nun auf Städte, in denen noch eine komplette Arbeitswoche mit einbezogen werden konnte. Für die Untersuchung werteten sie anonymisierte und aggregierte Mobilfunkdaten aus dem Netz des Mobilfunkanbieters Telefónica aus.