Wer das ehemalige Schulgebäude der Berufsschule für Groß- und Außenhandel (GAV) in Walle betritt, der stellt fest: Es sieht hier aus wie in einer Welt aus einer anderen Zeit. Die Teppiche sind alt, es gibt sogar noch ein winziges schallgedämmtes Telefonierzimmer. Auf einigen Fluren des Baus von 1968 mieft es. Aber die Heizung läuft, es gibt Tische und Stühle, Lehrerpulte und Tafeln. Die Berufsschule GAV zog zuletzt um in einen Neubau in der Überseestadt. Seitdem steht das Gebäude in der Ellmersstraße überwiegend leer, nur einzelne Institute nutzen noch ein paar Räume.
In diesem Altbau sollen demnächst bis zu 400 geflüchtete Kinder und Jugendliche unterrichtet werden: Eine neue Willkommensschule entsteht. Ein größerer Teil der Schülerinnen und Schüler werden unbegleitete minderjährige Ausländer sein, die allein die Flucht antraten. Aber auch Kinder und Jugendliche, die mit ihrer Familie gekommen sind und derzeit noch in Zelten in der Überseestadt leben, könnten hier zur Schule gehen, schildert Esra Basha, Referentin für Interkulturalität und Migration bei der Bildungsbehörde.
Bei ihr laufen die Fäden für den Aufbau der neuen Schule zusammen. Kinder aus verschiedenen Ländern sollen an der Ellmersstraße gemeinsam Deutsch lernen. Auf dem Stundenplan soll auch mehrsprachiger Mathe- und Englisch-Unterricht stehen. "Die Kinder werden hier fit gemacht, um nach einem Jahr dem Regelunterricht an einer normalen Schule folgen zu können", sagt Basha. Eine weitere Willkommensschule wird derzeit an der Helsinkistraße in Bremen-Nord aufgebaut.
400 Schulplätze für Kinder, die in diesem Jahr ankommen, fehlen noch. Wie dringend die Schulplätze gebraucht werden, zeigt sich insbesondere in den Erstaufnahmen: Allein in der Zeltstadt in der Überseestadt leben Basha zufolge mindestens 160 schulpflichtige Kinder und Jugendliche. Und in einem Zelt in Kattenturm sind 40 unbegleitete minderjährige Geflüchtete untergebracht. "Keiner von den Jugendlichen hier bei uns geht zur Schule", sagt Detlev Busche vom Vorstand des Vereins Fluchtraum Bremen, der für die AWO den Zeltstandort in Kattenturm betreut. „Die Jugendlichen fragen uns täglich, wann die Schule losgeht, die sitzen vor ihren Handys und gucken Youtube-Videos, um so schon mal ein bisschen Deutsch zu lernen".
Die fehlenden Schulplätze seien derzeit "das drängendste Problem", sagt Busche: "Wir müssen ständig vertrösten." Die Jugendlichen seien sehr motiviert: „Ich glaube, sie würden für einen Schulplatz überall hinfahren, auch nach Bremen-Nord.“ Der Fluchtraum-Vorstand stellt klar: „Alles, was nach Schule riecht und ansatzweise professionelle Standards bieten kann, ist jetzt gefragt.“
2400 Schulkinder kamen in diesem Jahr an
Bremen muss derzeit mehr und schneller Schulplätze für geflüchtete Kinder und Jugendliche schaffen als in den Jahren 2015 und 2016 in der Zeit des großen Zuzugs von Flüchtenden. 2015 und 2016 wurden laut Bildungsressort insgesamt 2490 Kinder und Jugendliche in Bremen, die neu hier ankamen, an die Schulen gebracht. 2022 wurden bisher etwa geflüchtete 2400 Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter gezählt. Es kam also in nur knapp einem Jahr eine ähnlich große Zahl von geflüchteten Schulkindern an wie zuvor im Verlauf von zwei Jahren.
Spätestens im ersten Quartal 2023 soll die Willkommensschule an der Ellmersstraße den Betrieb aufnehmen – die Planung begann nach den Herbstferien. Der neue Standort wird also im Eiltempo aufgebaut. Zwanzig Lehrkräfte sollen hier arbeiten, zehn sind bereits gefunden. Eingestellt werden Sprachförderkräfte, die ihr Lehramtsstudium im Ausland gemacht haben und Deutsch mindestens auf dem Niveau von C1 sprechen, schildert Basha. Die 34-Jährige ist zuversichtlich, bis Ende des Jahres alle Stellen besetzen zu können. Gesucht werden auch noch zwei Personen, die die Schule zusammen leiten.
Großteil der Geflüchteten besucht Vorkurse
Der Großteil der geflüchteten Kinder – etwa zwei Drittel – wurde in Bremen bisher an Vorkursen an normalen Schulen in der ganzen Stadt aufgenommen. Dort besuchen sie zuerst ein Jahr lang an einen Deutschkurs. "Die Schulen in den Stadtteilen leisten da Großartiges", sagt Basha. Etwa ein Drittel der Kinder besuche Willkommensschulen, an denen ausschließlich Geflüchtete lernen.
Im Bildungsressort rechnet man damit, dass die 2400 in diesem Jahr angekommenen Kinder nach einem Jahr Deutschkurs dauerhaft an den Bremer Schulen aufgenommen werden. Vorstellbar ist, dass das GAV-Gebäude an der Ellmersstraße nicht nur kurzfristig als Willkommensschule, sondern auch längerfristig als normale Schule gebraucht wird. "Utbremen braucht ohnehin eine neue Oberschule", sagt Basha. Für eine dauerhafte Nutzung als Oberschule müsste hier aber erst einmal saniert werden. Der Bau an der Ellmersstraße gilt als marode. Hier regnete es in der Vergangenheit durch, Fenster waren undicht, im Treppenhaus lösten sich Fliesen von den Wänden. Schülersprecher berichteten, dass man im Winter frieren müsse und es im Sommer zu heiß sei. Für eine befristete Nutzung als Willkommensschule seien aber Teile des Gebäudes nutzbar, sagt Esra Basha. Fürs Erste müssten nur kleinere Reparaturen durchgeführt werden.