Kennet Twachtmann hat sich fein gemacht: teerschwarze Hose, blütenweißes Hemd, blank polierte Schuhe. Am Vormittag war er im Rathaus, wo Polizeibeamte zu Hauptkommissaren ernannt wurden. Jetzt sitzt er in einer Turnhalle und schaut jungen Leuten zu, die alles geben, um Polizeibeamter und irgendwann vielleicht Hauptkommissar zu werden.
Jungen Leuten wie Anna Gutstein und Felix Brinkmann – er 18, sie 17, und beide in der ersten Runde von Bewerbern, die Twachtmann und andere Prüfer für das nächste Ausbildungsjahr testen. Am Morgen sind es 34, am Nachmittag nur noch 16, die wiederkommen dürfen. Zur nächsten Auswahlrunde, zur mündlichen Prüfung.
Dass Anna Gutstein und Felix Brinkmann beim Sport dabei sind, hat ihnen nicht Twachtmann, sondern Walter Krause gesagt. Der Hauptkommissar steht vorne am Podium in der Aula des Ausbildungsgebäudes der Polizei am Niedersachsendamm und liest Namen vor: Er nennt nur die, die weiterkommen – die das Lückendiktat und andere schriftliche Aufgaben bestanden haben. So geht es den ganzen Tag: Wer raus ist, hört seinen Namen einfach nicht mehr.
Aufgaben unter Zeitdruck lösen
Bevor Krause die Liste vorträgt, ist es mucksmäuschenstill in der Aula, die an diesem Montag wie ein Hörsaal an der Uni wirkt. Anna Gutmann sitzt eine Reihe vor Felix Brinkmann. Beide schauen starr geradeaus. Seit halb neun haben sie geschrieben, gerechnet, Zahlen zugeordnet und Wortpaare gebildet. „Intelligenzstrukturtest“ nennt Twachtmann das. Für den Leiter des Einstellungsverfahrens steht dabei weniger das Abfragen von Wissen im Vordergrund als vielmehr die geistige Fähigkeit, Aufgaben zu lösen. Unter Zeitdruck.

Am Seil hoch aufs Podest: die erste Hürde von zehn Hindernissen.
15 Bewerber scheitern daran. Entweder haben sie zu viele Fehler bei den 50 Wörtern des Lückendiktats gemacht oder zu viele beim Intelligenztest. Was genau, sagt ihnen Kruse nicht. Er sagt nur, dass es ihm leid tut. Berat Özer gehört zu denen, deren Name nicht fällt. Er sitzt neben Felix Brinkmann und hat seine Sporttasche, die er gar nicht erst auspacken muss, auf dem Schoß. Özer, 17, aus Gröpelingen und durchtrainiert wie ein Ausdauerathlet, schaut ernst, aber nicht verbittert. „Ich werde es noch mal versuchen. Ich will Polizist werden.“ Wie sein Onkel. Özer sagt, dass der jetzt enttäuscht sein wird. „Das nächste Mal werde ich mich besser vorbereiten.“ Noch mehr Sport treiben, noch mehr lernen.
Felix Brinkmann weiß, wie sich Özer fühlt. Im Vorjahr hat er sich in fünf Bundesländern für die Polizistenausbildung beworben – und fünfmal beim Aufnahmetest schlecht abgeschnitten. Das beste Ergebnis, sagt Brinkmann, der aus Nordrhein-Westfalen kommt, war ein Platz auf einer Nachrückerliste. Für Anna Gutstein, die aus dem Saarland angereist ist, ist es der erste Bewerbungsmarathon. Sie kommt auf sechs Bundesländer, in denen sie sich um eine Ausbildung als Polizistin bemüht.
2016 gibt es 120 Plätze in Bremen
Twachtmann nennt sie typische Bewerber. „Viele haben mehrere Eisen im Feuer und versuchen es über mehrere Jahre hinweg.“ Dass Polizisten im Dienst getreten, bespuckt und beleidigt werden, schreckt nach seinen Worten die meisten nicht. Genauso wenig, dass sie in Bremen, dem Haushaltsnotlageland, weniger verdienen als in anderen Bundesländern – „über die Jahre gerechnet 200 bis 300 Euro im Monat“. Der Chef-Nachwuchswerber bezeichnet den Wunsch, Polizist zu werden, bei 17- und 18-Jährigen, bei Frauen wie Männern, als ungebrochen groß. Und daran, sagt er, ändern auch Meldungen nichts wie in der vergangenen Woche über einen Polizisten, der in Wohnungen eingebrochen sein soll.

Anna Gutstein beim Aufwärmen: Die Saarländerin wird den Sprint nicht schaffen.
Allein im vergangenen Jahr kamen nach seiner Rechnung auf 80 Ausbildungsstellen fast 1700 junge Leute, die zum Test angetreten sind. Im kommenden Jahr gibt es 120 Plätze in Bremen und schon jetzt, wie Twachtmann sagt, mehr Bewerber als im Vergleichszeitraum des Vorjahres – 600 in zwei Monaten. Die Bewerbungsfrist endet im Dezember, die Testphase der potenziellen Auszubildenden im April. Twachtmann und seine Prüfungshelfer werden bis dahin 80 Auswahlverfahren wie an diesem Montag haben.
Zu seinem Team gehört auch Jörg Turbanisch. Der Mann hat zwar graues Haar, aber in der Turnhalle macht dem Leiter der Sportbildungsstätte am Niedersachsendamm so schnell keiner etwas vor. „Tempo“, brüllt er, „noch mal das Ganze“ und „Nimm’ das Knie hoch“. Turbanisch zeigt die Übungen, ohne aus der Puste zu kommen. Es sind 19 Frauen und Männer, die jetzt noch mal alles geben sollen und müssen. Manche, sagt Hauptkommissar Walter Krause, finden den Sporttest schwieriger als die Aufnahmeprüfung der Sporthochschule Köln.
Sprint, Parcours, Ausdauerlauf, alles gegen die Zeit. Wer das Rennen gegen sie nur in einer einzigen Disziplin verliert, ist raus. Am Ende wird es drei treffen, unter ihnen Anna Gutstein. Dass sie es schwer haben wird – die Saarländerin misst einen Meter und 61 Zentimeter und ist damit die Kleinste im Feld – hat Krause geahnt. Dass sie aber gleich beim Sprint die vorgegebene Zeit nicht schafft, überrascht auch ihn. Frauen müssen die 35-Meter-Strecke in 6,1 Sekunden zurücklegen. Gutstein liegt zweimal darüber. Am Rand der Halle schaut sie den anderen zu. Ihr Gesicht ist rot, ihre Stimme leise. Dann sagt sie, was Berat Özer, der schon vorher gehen musste, ähnlich gesagt hat: „Ich gebe nicht auf. Ich werde es noch mal versuchen, wenn es in diesem Jahr nirgendwo klappen sollte.“
Felix Brinkmann meistert den Sprint in der Zeit, die verlangt wird. Genauso wie den Parcours, der zehn Hindernisse vorsieht: darunter ein Podest, das er mit einem Seil erklimmen, Holzkästen, durch die er kriechen und Hürden, über die er springen muss. Und genauso wie den 1,7-Kilometer-Ausdauerlauf. Später, am Abend, sitzt er in seinem Zimmer in der Jugendherberge und isst. Er hat Appetit, er hat’s geschafft. Brinkmann ist eine Runde weiter. Heute wird er Twachtmann, dem obersten Nachwuchswerber gegenübersitzen. Die allerletzte Prüfung: die mündliche.