"Das ist Cruisen auf ganz hohem Niveau", sagt Olaf Ruprecht, "ein Superauto, fährt sich wie ein Schiff."
Stimmt. Der Wagen ist behäbig, er schwingt ein wenig und schwangt, strahlt Ruhe aus, Stolz und Komfort. Tiefschwarz, die Farbe, auf Hochglanz poliert. Die Polster bequem, etwas weich zwar, aber das passt zum Gesamteindruck: ein Elder Statesman, vornehm und kultiviert. Der Wagen, kurzum, des Bürgermeisters. Das Auto von Wilhelm Kaisen.
Raus nach Borgfeld
Es geht raus nach Borgfeld, wohin auch sonst, denn dort hat er gelebt. Eine Fahrt mit seinem Mercedes 220 S, Baureihe W 111, den Kaisen, Bremens legendärer Nachkriegsbürgermeister, drei Jahre lang in Gebrauch hatte – von 1962, als der Wagen zugelassen wurde, bis 1965, als Kaisen nach 20 Jahren aus dem Senat ausschied. Das Auto ist eine Ikone und wird mittlerweile auch so behandelt. Es steht in einer Vitrine vor dem Focke-Museum, ein Exponat, wie es prominenter nicht ausgestellt werden kann. Einmal im Monat wird der Wagen bewegt, damit er in Schuss bleibt. Die Gelegenheit, in Historie zu schwelgen, mitzufahren – das Focke-Museum hat es möglich gemacht.
Ruprecht braucht zwei Anläufe, bis der Motor läuft. Kaltstart, dann passiert das, ist normal. Einmal in Bewegung, gibt es kein Mucken mehr. Der Wagen erfüllt die Erwartungen, sein Fahrer ist zufrieden. Ruprecht arbeitet im Museum als Restaurator, er kümmert sich um sämtliches technisches Gerät, zu dem seit acht Jahren als Dauerleihgabe auch der Kaisen-Mercedes gehört.
Lange in Privatbesitz
Viele Jahre war der markante "Heckflosser" in Privatbesitz. Bis zu dem Tag, als er zurück in seine Heimat kam und bei der "Bremen Classic Motorshow" von einem Oldtimer-Sammler aus Bad Pyrmont zum Verkauf angeboten wurde. Der WESER-KURIER hatte darüber berichtet, und sofort meldeten sich daraufhin Interessenten. Sie wollten den Wagen nicht für sich, sondern für Bremen. Es wurden Spendengelder gesammelt, genug am Ende, um den Handel perfekt zu machen und den Mercedes dem Museum zu überlassen. Seinen Paradeplatz in der klimatisierten und alarmgesicherten Glasvitrine hat er seit einem guten halben Jahr.
Die Fahrt führt im Stadttempo die Heerstraßen hinunter, durch Schwachhausen, Horn und Lehe, über den Langen Jammer Richtung Borgfeld, und dann hinein in die Bürgermeister-Kaisen-Allee. "Für eine Allee sind das aber wenig Bäume", bemerkt Ruprecht, da hat er recht.
Bis auf ein paar Probleme mit dem Getriebe geht alles glatt. Die Gänge werden per Lenkradschaltung eingelegt, und dann knirscht es manchmal, knarrt und knackt – nichts Schlimmes, auch normal. Der Wagen ist zurück, angekommen am ehemaligen Wohnsitz der Familie Kaisen, mit Haus, Scheune und Gewächshaus.
Der Bürgermeister hatte einen Fahrer, Herrn Magera. "Papa Kaisen saß nie hinten im Auto", erinnerte sich vor Jahren der ehemalige Protokollchef im Rathaus, "er zog den Beifahrersitz vor und verräucherte die Frontscheibe." Schlechte Sicht für den Fahrer, doch Magera hielt durch. Kaisen rauchte mit Vorliebe dicke Küperzigarren, von Hand gefertigt und aus Bremen. "Der ,Smog' schreckte alle Senatsmitglieder ab, wenn der Bürgermeister ihnen anbot, bei ihm einzusteigen", erzählte der Protokollchef.
Vieles noch im Original
Ein Raucherauto also, doch heute ist davon nichts mehr zu spüren. Es riecht nach altem Wagen, aber nicht nach Rauch. Die alten Polster sind längst ausgetauscht, vieles andere, das allermeiste, gibt es dagegen noch im Original: den Zigarettenanzünder, die Aschenbecher hinten und vorne, den Mercedes-Stern auf der Kühlerhaube, die hölzernen Zierleisten, das verschließbare Handschuhfach, Uhr, Tachometer, die kleinen Ausstellfenster vorne, Antenne, Schiebedach, die ausklappbare Armlehnbank auf der Rückbank und das Röhrenradio mit dem Inventurstempel der Senatskanzlei.
Da kommt der Bürgermeister – zu sehen war das nicht nur an der Nobelkarosse und dem Rauch im Auto, auch das Nummernschild wies darauf hin: HB 3-4. Heute ist das Kennzeichen ein anderes, denn erstens ist der Mercedes kein Dienstwagen der Behörden mehr. Und zweitens würde die Ausfahrt mit dem alten Nummernschild jäh gestoppt, sollte die Polizei darauf aufmerksam werden. "Ohne das H-Kennzeichen für Oldtimer dürften wir nirgendwohin", erklärt Ruprecht. Die ganze Stadt eine Umweltzone. So ist das nun mal.
Ruprecht parkt die Limousine im kleinen Hof des Museums. Demnächst wird sie noch einmal gebraucht, in Borgfeld, als Attraktion beim Tag der Offenen Tür: Kaffee und Kuchen bei Kaisen. Danach nimmt der Wagen wieder in der Vitrine Platz, schwarz funkelnd hinter Glas.