Eigentlich sollte der Sohn längst zurück sein. Am Morgen ist er mit dem Auto losgefahren, spätestens am frühen Nachmittag, so hat er gesagt, sei er wieder zu Hause. Als es an der Wohnungstür klingelt, wundert sich die Mutter. Warum benutzt er nicht einfach seinen Schlüssel, so, wie sonst auch? Sie öffnet die Tür. Zwei Polizeibeamte stehen im Flur, fragen, ob sie eintreten können. Die Polizisten teilen der Mutter mit, dass ihr Sohn einen tödlichen Autounfall hatte.
Es sind solche und andere Krisensituationen, in denen Uwe Köster von Rettungskräften, Polizei oder Notärzten verständigt wird. Wenn ein Mensch plötzlich und unerwartet gestorben ist, Angehörigen die Todesnachricht überbracht wird oder sie selbst dabei waren. Nach Unfällen, nach einem Schlaganfall, nach einem Suizid. "Wir kommen, um Trost zu spenden, um da zu sein, damit die Menschen in dieser psychischen Ausnahmesituation nicht alleine sind. Wir unterstützen bei den ersten Bewältigungsschritten." Köster ist Pastor der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) und Leiter der Notfallseelsorge in Bremen.
"Die stille Katastrophe im dritten Stock"
"Die Grundidee ist bereits vor etwa 20 Jahren entstanden", sagt Köster. Daraus ist eine feste Einrichtung geworden: Die Notfallseelsorge ist ein gemeinsames Projekt der BEK und der katholischen Kirche in Bremen, etwa 15 Mitglieder gehören dem Team an, das an allen Tagen rund um die Uhr in Bereitschaft ist. "Am häufigsten werden wir zu häuslichen Sterbefällen gerufen", sagt der Pastor. "Wir nennen es die stille Katastrophe im dritten Stock. Wenn Familien einen Angehörigen durch einen Herzinfarkt verlieren oder vom plötzlichen Kindstod betroffen sind." Schocksituationen, auf die niemand vorbereitet ist und jeder anders reagiert. Mit Trauer und Tränen, mit Verstummen und Schreien, mit Leugnen und Wut. Mit Hilflosigkeit. "In solchen Krisensituationen versagt alles, was man an geübten Verhaltensmustern hat. Hier stehen wir zur Seite."
In etwa 60 Prozent der Fälle wird die Bremer Notfallseelsorge über die Leitstelle der Feuerwehr und des Rettungsdienstes alarmiert, in 40 Prozent von der Polizei. Im vergangenen Jahr sind die Seelsorgerinnen und Seelsorger zu 127 Einsätzen gerufen worden, die Zahl sei damit konstant geblieben. "Allerdings gab es in den ersten drei Monaten dieses Jahres einen dramatischen Anstieg, sodass wir schon im April fast 50 Prozent der Gesamtsumme des Vorjahres erreicht haben", sagt der Pastor. Die Ursache dafür sei schwer einzuschätzen. "Was wir aber feststellen: Es gibt sehr viele Menschen, die nach einem solchen dramatischen Ereignis alleine sind."
Olav Meyer-Sievers hat diese Krisensituationen selbst erlebt, nach dem Tod eines Freundes und als seine zweijährige Enkelin gestorben ist. "Die Bewältigung ist unglaublich wichtig", sagt er. "Ohne Realisierung ist keine Verarbeitung möglich." Mit dieser Erfahrung aus dem eigenen Erleben begleitet auch er Menschen in seelisch belastenden Situationen. Seit 17 Jahren gehört Meyer-Sievers dem Kriseninterventionsteam des Deutschen Roten Kreuz in Hamburg an, bei Hunderten Einsätzen hat er trauernden Angehörigen zur Seite gestanden.
Bei der Messe Leben und Tod berichtet Meyer-Sievers an diesem Sonnabend in einem Vortrag (14 bis 14.45 Uhr) von der praktischen Arbeit des Teams und darüber, warum Krisenbewältigung so wichtig ist. "Ich kenne beiden Seiten genau." Seine erste Erfahrung mit dem Tod hatte er als Teenager, als seine Mutter starb. Damals habe man ihm geraten, er solle als junger Mensch nur nach vorne schauen. Das Verdrängen habe Spuren in seinem Leben hinterlassen. "Ich kann nur empfehlen, darüber zu sprechen und sich auch Hilfe zu holen. Das ist eine große Stärke, keine Schwäche", sagt er.