Sie steht jeden Morgen früh auf, sehr früh, und geht dann gerne durch die Stadt. Schauen, was los ist: Wie funktioniert der Verkehr? Wo hapert es an der Sicherheit? Wo liegt Müll herum? Was machen die Baustellen? Nicht alles ihre Zuständigkeit, aber, sagt Özlem Ünsal: „Das Bild muss komplett sein, wir brauchen einen ganzheitlichen Ansatz“. Seit bald einem Jahr ist die SPD-Frau Senatorin für Bau, Mobilität und Stadtentwicklung. Bremen war ihr neu, als sie ins Amt kam. Eines ihrer drängendsten Probleme: die Innenstadt. Was ist Ünsals Sicht darauf, welche Ideen hat sie, und was stellt sie sich zum Beispiel für die neue Stadtentwicklungsgesellschaft vor? Themen satt bei einem Rundgang durch die City.
Treffpunkt am Siemens-Hochhaus, ihrem Dienstsitz. „Eine spannende Stadt“, nimmt Ünsal das Resümee vorweg, „es gibt so viel zu entdecken.“ Spannend ist gerade der Polizeieinsatz in den angrenzenden Wallanlagen. Vier Beamte, die der Szene auf den Pelz rücken. In den Büschen und auf den Bänken halten sich Alkoholiker und Drogenabhängige auf. Ein Verdrängungsprozess: Ist der Druck der Polizei am Bahnhof groß, wird auf die nähere Umgebung ausgewichen. „Ich nehme das natürlich auch wahr“, sagt die Senatorin, „wir müssen diese öffentlichen Räume stärker in den Blick nehmen, und zwar am besten vernetzt: Soziales, Inneres, Umwelt und mein Ressort.“
Streitfall Wall
Über den Herdentorsteinweg geht es zum Wall, zu der Straße, die ein notorischer Streitapfel ist. Zum einen, weil es nach dem Brand bei „Harms am Wall“ neun Jahre gedauert hat, bis der Neubau eingeweiht werden konnte. Die Baustelle brachte mannigfache Behinderungen mit sich, zum Leidwesen der benachbarten Geschäfte. Noch mehr Aufregung verursacht aber der mittlerweile vollendete Plan, eine der beiden Fahrbahnen zu einer Fahrrad-Premiumroute umzugestalten – an einer Straße, die vorher schon mit einem breiten Radweg ausgestattet war. „Erst einmal sehe ich hier jetzt eine sehr aufgeräumte Straße mit klarer und sicherer Unterscheidung der verschiedenen Nutzungen“, lobt Ünsal.
Die Entscheidung für eine Premiumroute sei vor ihrer Zeit als Senatorin getroffen worden. Die Route sollte ein Bindeglied sein, als Fortsetzung der neuen Rad- und Fußgängerbrücke über die Weser. Doch kommt sie überhaupt noch? Die Behördenchefin sagt zwar nicht nein, schiebt das Projekt aber auf den Sankt-Nimmerleins-Tag: „Unser Schwerpunkt liegt ganz klar auf der Sanierung der großen Brücken.“
Den Wall gequert und hinein in die Herdentorswallstraße, die parallel verläuft. Stadtplaner nennen das eine C-Lage, andere sagen Hinterhof. Bemühungen, die Straße attraktiver zu machen, sind gescheitert. Immerhin: ein bisschen Gastronomie ist da, Kultur und das Bremer Zentrum für Baukultur. Ünsal zählt auf, was ihr gefällt. Sie will Licht sehen und nicht Schatten, das ist ihr Naturell. Nächste Station, ein Schweinsgalopp: Bei Petra Koch-Bodes vom Fischfachgeschäft Bodes in der Bischofsnadel holt sich die Senatorin während einer Stippvisite harsche Kritik an der Bremer Verkehrspolitik ab. „Botschaft angekommen“, sagt Ünsal.

Senatorin Ünsal erläutert bei einem Rundgang mit WESER-KURIER-Chefreporter Jürgen Hinrichs ihre Vorstellungen zur Innenstadt.
Der Domshof: Er wird nach den Protesten keine zweite Düne bekommen, eine meterhohe Erhebung neben dem Café Alex. Ist das schlecht? „Bei so etwas muss man die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen. Dass es Diskussionen gab, ist doch ein gutes Zeichen, es beweist die Verbundenheit mit diesem Ort.“ Oben auf dem großen Platz steht das Gebäude der ehemaligen Landesbank. Im Oktober zieht die Universität ein: „Mit den Studierenden bringt das richtig Leben in die Bude“, freut sich die Senatorin. So etwas und mehr Wohnen in der City – ihr Mantra für eine Innenstadt, in der nach acht am Abend nicht länger die Bürgersteige hochgeklappt werden.
Als Beispiel nimmt Ünsal beim Rundgang später den Umbau eines ehemaligen Bankgebäudes in der Martinistraße, in dem unter anderem mehr als 100 Appartements für junge Leute entstehen: „Wir müssen die Innenstadt für neue Zielgruppen erschließen.“ Und diese Menschen dürfen nach ihrer Auffassung auch gerne mit dem Auto kommen. Auf Label wie „autofrei“ oder „autoarm“ lässt sich Ünsal nicht ein. Pragmatisch sein, lautet ihr Credo.
Wer Auto fährt, muss parken. Rund 1000 Stellplätze fallen weg, wenn das Parkhaus Mitte wie geplant abgerissen wird und an der Stelle neue Gebäude und Wege entstehen. Eine Aufgabe der Stadtentwicklungsgesellschaft. „Sie wird noch in diesem Jahr starten“, kündigt die Senatorin an. Mit Wirkung auch in die Quartiere hinein. In der Innenstadt steht neben dem Parkhaus Mitte das ehemalige Sparkassengelände am Brill auf dem Zettel der Entwicklungsgesellschaft. „Ich habe für das Gelände mehrere Ideen, und es gibt schon Interessenten, über die ich öffentlich aber noch nicht reden kann.“ Das Areal ist in privaten Händen. Ünsal kann also nicht entscheiden, sondern muss moderieren und überzeugen.
Der Rundgang führt über den Marktplatz („welche Stadt hat so eine Kulisse?“), die Langenstraße („hat als neues Balgequartier großartiges Potenzial“) und Martinistraße („der Rückbau ist endlich fertig, das war mir wichtig“) hinauf zum Hanseatenhof. Die Senatorin, 50 Jahre alt und in der Türkei geboren, tauscht sich auf dem Weg kurz mit dem Dönermann von Kismet aus, ein paar Worte auf Türkisch. „Wissen Sie, was Kismet auf Deutsch heißt?“, fragt Ünsal den Reporter. „Schicksal.“
Letzte Station vor dem leeren großen Gebäude am Hanseatenhof, in dem früher C&A saß. „Der Platz schreit nach einer Öffnung des Hauses“, findet die Senatorin. Sie wünscht sich, was Stadtplaner als „dritten Ort“ bezeichnen: einen Mix aus allem Möglichen und nicht weiter die Monokultur eines Handelshauses. Das kann Kultur sein, meint Ünsal, Wohnen und öffentliche Nutzungen wie Bibliothek oder Museum: „Diese Vielfalt – das ist die Trendwende, die wir für die Innenstadt brauchen.“