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Deutsche Bahn und NWB Wie pünktlich sind die Regionalbahnen? Ein Selbstversuch

In den Statistiken der Bahn sind Regionalzüge zu 95 Prozent pünktlich. Aber stimmt das tatsächlich. Redakteur (und Pendler) Ralf Michel hat ein halbes Jahr lang Buch geführt.
30.06.2018, 18:34 Uhr
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Wie pünktlich sind die Regionalbahnen? Ein Selbstversuch
Von Ralf Michel

Aus der Sicht eines Pendlers haben die Züge gefühlt jeden zweiten Tag Verspätung. Mindestens. Doch die Statistik der Deutschen Bahn (DB) sagt etwas ganz anderes. Die vermeldet für ihre Regionalzüge für die ersten fünf Monaten 2018 Pünktlichkeitswerte von 95 Prozent. In derselben Größenordnung ist nach eigenen Angaben die Nordwestbahn (NWB) unterwegs. Durchschnittlich 95,16 Prozent der Regio-S-Bahnen waren 2017 pünktlich, heißt es seitens der NWB.

Was also stimmt? Die amtliche Statistik oder die gefühlte Pünktlichkeit aus Pendlers Sicht? Da hilft nur eines – selber Buch führen. Ein Jahr lang, vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2018, auf dem Weg zur Arbeit und zurück, wird aufgeschrieben, wie viel Verspätung die Züge tatsächlich haben. Jetzt, Ende Juni, ist Zeit für eine Halbzeitbilanz.

Die Rahmenbedingungen: Syke – Bremen, Bremen – Syke. Entweder mit dem RE 9 der Deutschen Bahn oder mit der RS 2 der Nordwestbahn. Die Züge fahren morgens wie abends im Halbstundentakt. Das ist – so viel Fairness muss sein – überaus angenehm für Pendler, die auf die Bahn angewiesen sind, und von daher in jedem Fall ein dicker Pluspunkt.

73 Prozent der Züge pünktlich

Ein Minuspunkt ist dagegen, dass in der Statistik der Bahn Züge erst ab sechs Minuten Verspätung als unpünktlich gelten. Und Züge, die komplett ausfallen, bei der DB ebenfalls nicht in diese Tabelle einfließen. Das schönt die Zahlen, wird aber zur besseren Vergleichbarkeit für diesen Feldversuch übernommen. Das Ergebnis vorweg: 190 Fahrten waren es von Anfang Januar bis Ende Juni und dabei hatte mehr als jeder vierte Zug Verspätung.

Pünktlich schafften es insgesamt 73 Prozent der Züge. Die DB Regio schnitt mit 76 Prozent besser ab als die Regio-S der NWB mit 70 Prozent. Allerdings war ein Großteil der Verspätungen der NWB auf der Strecke zwischen Syke und Bremen darauf zurückzuführen, dass die RS 2 warten musste, um verspätete Fernreisezüge der Deutschen Bahn passieren zu lassen.

Bemerkenswert am Rande: Anfang Januar hätten sie es fast geschafft. Eine komplette Woche ohne Verspätung. Doch dann kam der Sonntagsdienst am 14. Januar. Und die NWB mit sieben Minuten Verspätung. Das war‘s mit der pünktlichen Woche. Im März hätte es auch noch einmal fast geklappt, auch hier kam nur einer von zehn Zügen zu spät.

Demgegenüber standen im März und im Juni aber auch zwei Wochen, in denen rund die Hälfte aller Fahrten unpünktlich war. Verspätung ist nicht Verspätung. Sechs, sieben Minuten sind lästig, aber meist noch zu verschmerzen. Doch so etwa ab zehn Minuten beginnt die Wartezeit an den Nerven zu zerren. Eine Erfahrung, die von 20 solcher Erlebnisse im letzten halben Jahr her rührt.

Insgesamt summierte sich die Verspätung im ersten Halbjahr 2018 auf 586 Minuten. Doch Zahlen sind nur die eine Seite beim Thema Verspätung der Bahn. Die andere ist die Art, wie seitens der Bahngesellschaften damit umgegangen wird. Wie wird der Kunde über Verzögerungen informiert? Wird er überhaupt informiert? Man könnte diesen Bereich auch „Service“ nennen.

Auf den Punkt gebracht: Die Deutsche Bahn hatte in dieser Hinsicht wenig zu bieten. Durchsagen auf dem Bahnsteig waren selten und wenn sie denn kamen, bestanden sie meist aus nichtssagenden Floskeln wie „Aufgrund einer Störung im Betriebsablauf“ oder „Wegen Verspätung aus vorheriger Fahrt“. Das ist schon auf dem Bahnsteig wartend ärgerlich, kann aber im Zug sitzend noch überboten werden.

Es geht auch ganz anders

Wenn der RE 9 zum Beispiel am 18. März pünktlich in Syke abfährt, kurz vor Bremen sogar die Durchsage „Sie erreichen alle vorgesehenen Anschlusszüge“ kommt, der Zug dann aber unvermittelt und ohne jede Erklärung acht Minuten auf offener Strecke stehen bleibt. Oder der Regionalexpress wie am 28. April zwar wie vorgesehen im Bremer Hauptbahnhof steht, dann aber – ebenfalls ohne jede Erklärung – fast zehn Minuten lang nicht losfährt.

Dass es auch ganz anders geht, bewiesen mehrfach Mitarbeiter der Nordwestbahn. „Moin moin“, tönte es an einem Sonnabendabend im Januar aus den Lautsprechern im Zug. „Da meinte jemand, er müsse einen Einkaufswagen auf die Schienen werfen. Und wegen diesem Dösbaddel können wir nun nicht losfahren.“ Allgemeines Grinsen im Zugabteil, keiner war mehr richtig sauer, auch wenn es am Ende 17 Minuten dauerte, bis der Zug sich in Bewegung setzte.

Unvergessen auch die Durchsage Anfang Juni, direkt nach der Abfahrt, als die RS 2 abends stolze 32 Minuten zu spät losfuhr: „Wir haben 32 Minuten Verspätung. Und der Grund dafür? Tja“ – kurze Pause – „Stau vor Bremen, Stau in Bremen, Stau hinter Bremen“ – erneute Pause – „Wie auch immer, tut uns leid. Wir bitten Sie um Entschuldigung.“

Manchmal allerdings sorgte die Bahn auf den Bahnsteigen für allerlei Kurzweil. Wenn etwa die Durchsagen nicht zu den Ankündigungen auf den Tafeln passten. An einem Freitagabend Anfang März wurde der RE 9, der um 19.07 Uhr von Gleis 7 fahren sollte, per Durchsage mit 35 Minuten Verspätung angekündigt. Auf der Anzeigetafel nebenan auf Bahnsteig 8 wird dieser Zug zu diesem Zeitpunkt allerdings ebenfalls angekündigt, hier jedoch mit 44 Minuten Verspätung.

Nach einer Weile springt diese Anzeige auf 40 Minuten Verspätung um, da ist es aber auch schon 19.35 Uhr. Damit liegt dann plötzlich die RS 2 der Nordwestbahn wieder gut im Rennen. Die sollte um 19.33 Uhr fahren, hatte angekündigt aber auch schon zehn Minuten Verspätung. Als die vergangen waren, gab es allerdings auch hier weitere 25 Minuten Nachschlag. Das Rennen machte letztlich doch der RE 9 mit genau einer Stunde Verspätung.

Besonders unerfreulich ist die oft verwendete Salamitaktik. So wie zum Beispiel am 23. April, als die DB ihren Zug erst mit zehn, dann mit 15, dann mit 20 und schließlich mit 25 Minuten Verspätung ankündigte. Da war man fast schon froh, wenn man zwischendurch ein wenig Bewegung verordnet bekam. Der RE 9 nach Osnabrück um 18.07 Uhr fahre heute zehn Minuten später und auch nicht von Gleis 8, sondern abweichend von Gleis 9, tönte es am 23. Mai aus den Lautsprechern auf dem Bahnsteig. Rund 60 Menschen machten sich auf den Weg.

Entscheidende Minuten

Treppe runter bei Gleis 7/8, Treppe wieder rauf bei Gleis 9. Dort gähnende Leere. Auf dem Bahnsteig und auf der Anzeigetafel. Irgendetwas stimmte hier nicht. „Der Zug fährt von Gleis 6“, rief plötzlich einer. Ein paar Reisende zögerten, aber der Großteil der Menge machte sich erneut auf den Weg. Treppe runter, Treppe hoch. Gute Entscheidung. Der Zug fuhr tatsächlich von Gleis 6. Um 18.15 Uhr.

Wie entscheidend selbst fünf Minuten sein können, zeigte der 6. Februar. Dienstlich sollte die Fahrt diesmal nicht von Syke nach Bremen gehen, sondern weiter nach Bremerhaven zu einem Prozessauftakt im Amtsgericht. Theoretisch war die Verbindung gut. Erst von Syke nach Bremen, dort blieben fünf Minuten, um in den Anschlusszug umzusteigen, der vom Gleis direkt gegenüber fahren sollte.

Praktisch hatte der RE 9 aber sieben Minuten Verspätung. „Na, die zwei Minuten werden sie doch wohl warten“, dachte der naive Pendler. Vielleicht hätten sie‘s ja tatsächlich. War aber nicht zu klären, denn dieser Anschlusszug nach Bremerhaven fiel komplett aus (und kommt damit auch leider nicht in die Verspätungswertung).

Fortsetzung Ende Dezember.

Baustellenwelle 2019

Für die vier Linien der Regio-S-Bahn Bremen/Niedersachsen der Nordwestbahn (NWB) steht laut deren Leiter Robert Palm für 2017 insgesamt ein durchschnittlicher Pünktlichkeitswert von 95,16 Prozent zu Buche. Daran, dass einige der Züge unpünktlich kämen, habe man natürlich auch selbst einen gewissen Anteil, räumt Palm ein. Doch vor allem seien es die Rahmenbedingungen, die dem privaten Eisenbahnunternehmen in dieser Hinsicht zu schaffen machten.

„Wir sind eine S-Bahn, haben aber keinen eigenen Gleiskörper, das macht die Sache schwierig“, verweist Palm darauf, dass sein Unternehmen sich die Gleise mit dem Güterverkehr, dem Fernverkehr und anderen Regionalverkehren teilen muss. Auf der Linie der RS 2 von Bremerhaven-Lehe nach Twistringen leide man zum Beispiel extrem unter dem Seeverkehr in Bremerhaven. Durch die zahlreichen Güterzüge dort seien die Kapazitäten auf dieser Strecke fast am Limit.

Auch, dass die Fernzüge der Deutschen Bahn Vorrang hätten, trage zum Teil zu den Verspätungen der RS 2 bei, erläutert Palm. Die mit Abstand größten Probleme würde den Bahnunternehmen aber die hohe Anzahl von Baustellen bereiten. „Das ist im Moment wirklich eine Katastrophe.“ Jahrelang sei nichts in die Infrastruktur gesteckt worden, jetzt jedoch werde wie verrückt gebaut und die Zahl der Baustellen wachse stetig weiter an.

„2019 wird eine weitere kleine Baustellenwelle auf uns einprasseln“, kündigt der Regio-S-Bahn-Leiter an. Die Nordwestbahn rechne deshalb im kommenden Jahr insgesamt mit 50 Prozent mehr Schienenersatzverkehr. Dann werden in erster Linie Busse eingesetzt, um ausgefallene Züge zu ersetzen. Die Folge sind meist größere Verspätungen.

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