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Net Zero Farming Wie die Landwirtschaft emissionsneutral werden soll

Die Landwirtschaft verursacht zu viel Treibhausgase. Das Deutsche Milchkontor hat ein Projekt gestartet, um das zu verändern: Net Zero Farming. Daran beteiligt ist der Hof Kück. Ein Besuch in Gnarrenburg.
22.12.2022, 05:00 Uhr
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Wie die Landwirtschaft emissionsneutral werden soll
Von Marc Hagedorn

Familie Kück könnte es bequemer haben. Die Kücks könnten einfach abwarten. Der CO2-Fußabdruck ihres Bauernhofes ist heute schon kleiner als der Fußabdruck eines vergleichbaren Betriebes in Europa. Damit Kücks Kühe einen Liter Milch geben können, werden umgerechnet unter ein Kilogramm CO2 verursacht. Europaweit liegt der Schnitt bei 1,6 Kilogramm CO2. Warum also mitmachen bei einem Projekt, das den Hof drei Jahre lang begleiten wird, und dessen Nutzen völlig offen ist?

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Juniorchef Sven Kück gibt die Antwort: „Wir Landwirte fordern von der Politik ja immer, dass sie ihre Entscheidungen auf wissenschaftlicher Basis treffen soll. Wenn wir das erwarten, müssen wir auch bereit sein, wissenschaftliche Erkenntnisse umzusetzen und in der Praxis auszuprobieren.“ Also ist der Hof Kück in Gnarrenburg im Landkreis Rotenburg bis 2025 einer von bundesweit drei Pilotbetrieben, die sich vorgenommen haben, den nächsten Schritt in Richtung emissionsneutrale Landwirtschaft zu machen. Net Zero Farming heißt das Projekt, das das Deutsche Milchkontor (DMK) gestartet hat.

Seit fast 100 Jahren sind die Kücks Milchviehhalter. Angefangen hatte die Familie 1934 mit drei Kühen und 18 Hektar Land. Heute bewirtschaften Seniorchef Wolfgang Kück, 55, und Sohnemann Sven, 29, einen Betrieb mit 250 Tieren, davon 130 Milchkühe, und 110 Hektar Fläche. Alle zwei Tage rollt ein Tanker des DMK an, um die Milch bei den Kücks abzuholen. Ein Fünftel der deutschen Milch kommt aus Niedersachsen.

Landwirtschaft als großer Verursacher von CO2

Das hat seinen Preis: Die deutsche Landwirtschaft stößt nach aktuellem Forschungsstand jährlich 65 Millionen Tonnen CO2 aus, das sind 7,3 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen. Die Landwirtschaft zählt damit laut Bundesumweltamt hinter dem Energiesektor, der Industrie und dem Verkehr zu den größten Verursachern. Bis 2030 sollen die Emissionen nach dem European Green Deal um 34 Prozent gesenkt werden.

Beim DMK, das mit rund 5200 Höfen zusammenarbeitet und die größte deutsche Molkereigenossenschaft ist, entfallen 80 Prozent der Emissionen auf die Milcherzeugung. Von der größten mittelfristigen Herausforderung für das Unternehmen und die bäuerlichen Partnerbetriebe spricht DMK-Chefstratege Philipp Inderhees mit Blick auf den Klimawandel. „Wir brauchen Lösungen für noch mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft“, sagt er.

Wie diese Lösungen aussehen können, wird bei den Kücks in Gnarrenburg erprobt. Drei Ansatzpunkte gibt es: das Futtermanagement, den Ackerfutterbau und das Energiemanagement auf dem Hof. Die Kücks und die beiden anderen Pilotbetriebe, einer in Nordrhein-Westfalen, der andere in Sachsen-Anhalt, testen Maßnahmen wie Futtermittelzusätze zur Methanreduktion, Humusspeicherung im Boden oder den Anbau heimischer Eiweißpflanzen. Beim Energiemanagement stellen sich die Kücks die Frage, was man beispielsweise mit der Wärme anfangen kann, die beim Runterkühlen der gelagerten Milch bis zur nächsten Abholung entsteht.

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Mit einfachen Lösungen ist dabei nicht unbedingt zu rechnen, denn dafür hängt in der Landwirtschaft sehr vieles mit vielem zusammen. Beispiel Futterqualität: Wenn diese schlechter wird, gibt die Kuh weniger Milch. Das könnte kompensiert werden, indem die Kücks ihren Tierbestand vergrößern. Immer mehr Tiere – das wollen die Kücks aber nicht, und das ist auch nicht das, was Politik und Gesellschaft für wünschenswert halten. Ein Spagat für die Betriebe. „Letztlich“, sagt Sven Kück, „letztlich geht es darum, etwas für den Klimaschutz zu tun, aber gleichzeitig auch dafür zu sorgen, dass wir Landwirte weiterhin von unserem Beruf leben können.“ Das ist in den vergangenen Jahren schwieriger geworden. Seit 2017 haben rund 1500 Milchviehbetriebe in Niedersachsen aufgegeben, ungefähr jeder sechste.

Die Kücks haben vor sieben Jahren entschieden, einen neuen Stall zu bauen. Groß, hell und luftig ist er. Die Tiere werden hier dreimal am Tag automatisch gemolken, 30 bis 33 Liter Milch gibt eine Kuh im Schnitt pro Tag. In 17 oder 18 Jahren sollte der Stall abbezahlt sein. Bis dahin bindet das Mittel. „Jede Investition ist wohl überlegt“, sagt Wolfgang Kück, „die Betriebe können nicht alle drei, vier Jahre etwas Neues machen, nur weil es gerade von ihnen erwartet wird.“

Milch ist ein knappes Gut

Immerhin sind die Milchpreise seit einiger Zeit wieder sehr gut. Milch ist mittlerweile ein knappes Gut. Um die 60 Cent pro Liter gibt es aktuell, fast doppelt so viel wie vor einem Jahr. „Das war damals aber auch die Untergrenze“, sagt Sven Kück. An Rücklagen fürs Altenteil oder Investitionen war in der Phase nicht zu denken. Das sieht jetzt besser aus, auch wenn gestiegene Energie- und Futterkosten einen guten Teil der Preissteigerungen wieder auffressen. Dass die Zahl der Milchviehbetriebe wieder steigt, glauben die Kücks nicht. „Die Goldgräberstimmung von früher ist nicht mehr da“, sagt Wolfgang Kück. Dafür werde den Höfen heute zu viel abverlangt.

Ein weiteres Thema, das die Familie umtreibt, ist die geplante Moorvernässung. Die Felder der Kücks liegen quasi im Moor. Wenn diese Flächen, vor vielen Jahrzehnten mühsam trockengelegt, damit sie bewirtschaftet werden konnten, jetzt wieder vernässt werden, damit der Boden als CO2-Speicher dienen kann, stellt sich die Existenzfrage: Können sie hier in Zukunft noch Landwirtschaft betreiben?

Auch dieser Frage nähern sich die Kücks wissenschaftlich. In Kooperation mit dem Thünen-Institut erproben sie gerade auf vier Hektar Fläche, was die Vernässung für den Boden und die künftige Bewirtschaftung bedeuten würde. 16 Betriebe hat es früher in ihrer Siedlung gegeben. Heute ist der Hof Kück der letzte im Vollerwerb, und das möchte er auch bleiben. Die nächste Generation, Sven Kücks Sohn, ist vor einem halben Jahr zur Welt gekommen.

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