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Radio Bremen Alles nett am Set?

Fernsehproduktionen des Senders Radio Bremen werden von der Tochterfirma Bremedia umgesetzt. Ob das ein rentables Geschäftsmodell ist, darüber gehen die Meinungen auseinander.
14.07.2016, 00:00 Uhr
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Alles nett am Set?
Von Philipp Jaklin

Fernsehproduktionen des Senders Radio Bremen werden von der Tochterfirma Bremedia umgesetzt. Ob das ein rentables Geschäftsmodell ist, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Er ist rotzfrech, faul, und er quält gerne Tiere. Nils Holgersson macht seinen Eltern nicht sonderlich viel Freude. Erst ein Hauskobold bringt die Wendung: Er verzaubert Nils in einen kleinen Wicht. Und schon ist der Bauernjunge zusammen mit Gans Martin auf dem Weg nach Lappland – der Beginn einer wunderbaren Reise.

Weihnachten 2011 läuft die Verfilmung des Kinderbuchklassikers von Selma Lagerlöf im Ersten, doch für Radio Bremen ist sie eher ein Horrortrip; jedenfalls wirtschaftlich. Denn bei dem TV-Projekt der Tochtergesellschaft Bremedia, nach Darstellung des Unternehmens eine "mit aufwendigen Special Effects aufwartende Event-Produktion", sind die Kosten aus dem Ruder gelaufen. Die kostspieligen Videoeffekte sprengen das Budget des Mehrteilers.

Die Fachpresse spricht damals vom "Holgersson-Debakel" bei Radio Bremen. Es bleibt nicht folgenlos: Eine Geschäftsführerin wird abgesetzt, die beiden Bremedia-Gesellschafter – neben Radio Bremen die Münchner Bavaria Film – müssen auf ihre Ausschüttungen verzichten, um den Verlust auszugleichen. Schließlich verordnen sie der Produktionstochter eine neue Bescheidenheit: In Zukunft, so lautet die Vorgabe, soll sie keine riskanten Großprojekte über zwei Millionen Euro mehr machen.

Joint-Venture mit Bavaria Film

Das "Holgersson-Debakel" setzt dem Sender auch deswegen so zu, weil die Bremedia eigentlich als Sparmodell gedacht ist. In die Tochtergesellschaft lagert Radio Bremen 2006 die aus Sicht des Senders überteuerte und nicht genügend ausgelastete Fernsehproduktion aus, Cutter, Kameraleute, Sendetechniker, auch die Hörfunkproduktion. Das Haus ist damals mitten in einer Phase der brachialen Kostensenkung: Rund ein Drittel des Budgets sind dem damaligen Intendanten Heinz Glässgen wegen herber Einschnitte im Finanzausgleich der ARD-Anstalten weggebrochen.

Also gründet der Sender das Joint-Venture mit Bavaria; 49 Prozent halten zunächst die Bremer, den Rest als Mehrheitsgesellschafter die Bayern. Ein so weitgehendes Outsourcing hat es bis dato in der ARD noch nicht gegeben, denn die gesamte Produktion – auch für das aktuelle Programm – wird ausgegliedert. Knapp 150 Mitarbeiter wechseln in die Bremedia, sie können ihre gut dotierten Radio-Bremen-Verträge mitnehmen. Für alle Neueinstellungen gilt ab sofort ein eigener Haustarif – mit ungefähr einem Drittel weniger Gehalt.

In den ersten Jahren zahlt Radio Bremen dennoch drauf. Zwar hat der Sender weniger Personalkosten, dafür muss die neu gegründete GmbH nun Mehrwertsteuer abführen. Eine hohe Konzernumlage für den Partner Bavaria wird fällig, außerdem 20 Prozent Garantiezins auf das Startkapital der Münchner. Glässgens Nachfolger Jan Metzger, seit 2009 Intendant, verhandelt daher nach.

2012 übernimmt seine Anstalt schließlich die Mehrheit an der Produktionsfirma – um "die Bremedia nun besser im Sinne Radio Bremens zu steuern", wie er damals dem WESER-KURIER sagt. Der Sender bekommt vom Mitgesellschafter Bavaria bessere Konditionen eingeräumt. Es müsse auch mehr abspringen, wenn die Bremedia im sogenannten Drittgeschäft Spielfilme oder Serien für externe Auftraggeber produziere, so Metzger in dem Interview. "Wir waren in der Vergangenheit unzufrieden, wie wenig Gewinn dabei hängengeblieben ist."

Preise aus der Luft gegriffen

Und heute? Nach wie vor ist die Bremedia zum weit überwiegenden Teil für Radio Bremen tätig – rund 85 Prozent des Geschäfts der Tochterfirma machen Aufträge des Senders aus. Sie produziert für die kleinste öffentlich-rechtliche Anstalt in Deutschland im Fernsehen das Regionalmagazin "buten un binnen", die Talkshow "3 nach 9", den Bremer Tatort, Dokumentationen und Märchenfilme; die Bremedia betreut den Sendebetrieb im Hörfunk und ist für den Internet-Auftritt zuständig. Von den mehr als 200 Mitarbeitern arbeitet die Mehrheit weiterhin zu alten Radio-Bremen-Konditionen.

Einige Kritik gab es in der Vergangenheit im Sender; dass die Preise, die Bremedia dem Mehrheitseigner Radio Bremen in Rechnung stellt, aus der Luft gegriffen seien, dass teures Studio-Equipment viel zu wenig genutzt werde; dass manche Techniker teurer seien als Redakteure. "Bremedia müsste eigentlich eine 'Cash Cow' für den Sender sein", wie es ein ehemaliges Mitglied der Aufsichtsgremien von Radio Bremen wenig schmeichelhaft formuliert. "Aber manchmal hat man eher den Eindruck eines hoch subventionierten Altenheims. Bremedia ist einfach nicht am Markt orientiert."

Die Direktion von Radio Bremen widerspricht vehement. "Die Bremedia produziert größtenteils günstiger als die großen Produktionsbetriebe in der ARD", sagt Brigitta Nickelsen, Direktorin für Unternehmensentwicklung und Betrieb und zugleich stellvertretende Aufsichtsratschefin von Bremedia. "Die Preise sind absolut marktüblich – es sei denn, man vergleicht sie mit einem Anderthalb-Personen-Unternehmen, das ohne tarifliche Regelung unterwegs ist."

Auch mit den Gewinnen des Tochterunternehmens sei Radio Bremen zufrieden, das Personal sei "komplett ausgelastet", sagt Nickelsen. "Wir haben jedes Jahr Ausschüttungen. Wenn wir die Bremedia nicht hätten, hätten wir eine Hauptabteilung Produktion/Technik – und gar keine Ausschüttung." Daher sei "jede Ausschüttung eine gute Ausschüttung", die auch zum überwiegenden Teil ins Programm zurückfließe. "Die Bremedia ist für uns ein Gewinn."

Verschachtelte Beteiligungsverhältnisse

Der allerdings finanziell mehr als bescheiden ausfällt. Gerade einmal knapp 50.000 Euro flossen nach Angaben des Senders im Jahr 2014 von der Bremedia an Radio Bremen. Der Mitgesellschafter Bavaria will sich auf Anfrage des WESER-KURIER nicht dazu äußern, wie zufrieden er mit der Zusammenarbeit bei Bremedia sowie mit dem erwirtschafteten Gewinn ist – und wie er die Zukunft der Kooperation sieht.

Es sei 2012 gar nicht darum gegangen, weiteres Drittgeschäft an Land zu ziehen oder mehr Geld mit der Produktionstochter zu verdienen, heißt es bei Radio Bremen. "Ziel der Mehrheitsübernahme vor vier Jahren ist es gewesen, die Bremedia enger an Radio Bremen heranzuführen, alte Wunden zu heilen und eine konstruktive Zusammenarbeit so zu gestalten, dass wir im Tagesgeschäft wenig Reibungsverluste haben", sagt Direktorin Nickelsen. "Und wir sind sehr zufrieden mit dem, was wir erreicht haben."

Kritiker monieren am System der öffentlich-rechtlichen Film- und Fernsehproduktion insgesamt, dass es wegen oftmals verschachtelter Beteiligungsverhältnisse schwer durchschaubar sei – und dass immer wieder intransparente Quersubventionierungen aus Gebührengeldern stattfänden. Welche Leistung zu welchen Preisen in Rechnung gestellt wird, bleibt im Geflecht der Rundfunkanstalten und ihrer kommerziellen Tochterfirmen häufig im Dunkeln.

"Das System der TV-Produktion für die öffentlich-rechtlichen Sender ist überholt", sagt etwa der Medienökonom Harald Rau von der Ostfalia-Hochschule in Salzgitter, der die Verflechtungen der Rundfunkanstalten untersucht hat. "Rechtlich ist alles korrekt, die Sender erfüllen alle Gesetze." Es sei aber "nicht mehr zeitgemäß, dass die Anstalten im Bereich der fiktionalen Produktion so stark unterwegs sind. Das kann der Markt besser." Aus seiner Sicht wäre es sinnvoll, wenn die Sender die Eckdaten ihrer Produktionsaufträge öffentlich zugänglich machen würden. "Ich wünsche mir eine transparente Plattform, die zeigt, mit wem was produziert wird und wie teuer es ist."

"Marktkonformes Verhalten"

Die Wettbewerbsaufsicht in Brüssel hat die Fernsehproduktion bereits ins Visier genommen. Vor elf Jahren eröffnete die EU-Kommission sogar ein formelles Beihilfeverfahren. Der Vorwurf damals: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland subventioniere rein kommerzielle Tätigkeiten aus den Beitragsmilliarden. Die Länder reagierten mit einer Änderung des Rundfunkstaatsvertrags: Seitdem prüfen die jeweiligen Rechnungshöfe, ob sich die Beteiligungsfirmen der Sendeanstalten "marktkonform" verhalten; also ob sie für ihre Auftraggeber zu Konditionen arbeiten, die ebenso im freien Wettbewerb gelten würden.

Auch der Rechnungshof Bremen hat das bei seiner Rundfunkanstalt geprüft. In seinem Jahresbericht 2015 kam er zum Ergebnis, dass "beim Leistungsaustausch und den gesellschaftsrechtlichen Beziehungen" zwischen Radio Bremen und den Beteiligungen "die aus dem Gebot marktkonformen Verhaltens resultierenden Anforderungen nahezu vollständig erfüllt worden" seien.

Einen Punkt bemängelten die Kontrolleure indes: Dass die Berichte der von Radio Bremen eingesetzten Wirtschaftsprüfer – auch sie sollen das marktkonforme Verhalten untersuchen – "nicht den Anforderungen" entsprachen. Zentrale Themen seien "teilweise offen" geblieben, es gebe "erheblichen Verbesserungsbedarf". Mit Brüssel müsse erst noch geklärt werden, worauf die Prüfer bei der Beurteilung "marktkonformen Verhaltens" überhaupt achten müssten, sagt Rechnungshof-Vizepräsident Detlef Meyer-Stender. "Einige grundsätzliche Fragen sind noch ungelöst."

Die Bremedia arbeitet indes am nächsten Märchen: "Prinz Himmelblau und Fee Lupine" ist so gut wie abgedreht, die Aufnahmen entstanden unter anderem im Brundorfer Forst und in Bremen. Ein junger, schöner Adelsspross soll eine Prinzessin aus reichem Hause heiraten, bevorzugt aber das schüchterne und liebreizende Zauberwesen. Sendetermin: Weihnachten im Ersten. Und zumindest hier ist das Happy End garantiert.

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