Herr Grobien, warum heißt der ehrenamtliche Vorsitzende der Handelskammer eigentlich Präses und nicht Präsident?
André Grobien: Das ist aus alter Tradition. In den Hansestädten Bremen, Hamburg und Lübeck heißt es "Präses". Dies hat den Vorteil, dass es geschlechtsneutral ist. Es gab auch schon eine Frau Präses.
Sie sind bereits der zweite Präses aus dem Hause Lampe & Schwartze in den letzten 20 Jahren. Spricht das für die Bedeutung des Unternehmens oder eher für die Schwierigkeit, alle drei Jahre einen ehrenamtlichen Präses zu finden?
Letzteres definitiv nicht. Das liegt eher an der starken Verbundenheit unseres Unternehmens mit der Stadt und dem Land Bremen. Unser Headquarter ist Bremen – mit über 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sitzen wir an der Herrlichkeit und steuern von dort das Unternehmen und unsere bundesweiten Niederlassungen.
Lampe & Schwartze ist ein alteingesessener Versicherer, 1858 von Bremer Kaufleuten gegründet. Aber nicht alle Bremer kennen Ihr Unternehmen. Können Sie in drei Sätzen erklären, was Sie machen?
Wir sind kein Versicherer. Gegründet haben wir uns als Assekuradeur. Die großen Versicherungsgesellschaften saßen damals im Binnenland und hatten keinen Zugang zu den Seehandelsplätzen. Dazu brauchten sie also Agenten – Unternehmen, die für sie am Seehandelsplatz das Geschäft akquirierten, tarifierten und dann auch dokumentierten.
Also Versicherungsvermittler sozusagen.
Sehr einfach ausgedrückt, ja. Mittlerweile hat sich das geändert. Im Transportbereich findet das noch so statt, in allen anderen Sparten sind wir tatsächlich Vermittler.
Kann ich auch mit meiner Privathaftpflichtversicherung zu Ihnen kommen, oder müsste es schon ein Offshore-Windpark sein, den ich bei Ihnen versichern möchte?
Wir machen auch Haftpflichtversicherungen, wir machen Lebensversicherungen, wir machen betriebliche Altersversorgung, betriebliche Krankenversicherung. Das Privatkundengeschäft macht bei uns aber nur fünf Prozent aus.
Ihr Geld verdienen Sie also eher mit den Reedern und ihren Schiffen, mit Offshore-Windparks …
… mit Industrieanlagen – da sind wir sehr breit aufgestellt, in der Hauptsache im mittelständischen Bereich.
Ihre Familie entstammt der alten Bremer Kaufmannschaft. Der Textilhändler Baron Ludwig Knoop, Namensgeber von Knoops Park an der Lesum, ist einer Ihrer Vorfahren. Auch die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist eine Ur-Ur-Urenkelin des Barons. Sie sind also mit ihr verwandt?
Ja, sie ist meine Cousine. Nicht in erster Linie, aber entfernt verwandt.
Haben Sie Kontakt?
Es gibt in der Familie Kontakt, ja, man kennt sich. Aber die Arbeitszeit von Frau von der Leyen erlaubt es nicht, dass wir uns regelmäßig begegnen.
Wie würden Sie denn als alteingesessener Bremer einem Nicht-Bremer erklären, was Bremen ausmacht?
Erst einmal würde ich sagen, dass Bremen eine offene, sehr lebenswerte und sehenswerte Hansestadt ist, mit viel Kultur, mit ausgeprägtem Bürgersinn und einer sehr stark aufgestellten Wirtschaft – die sich anders darstellt, als das oft nach außen wirkt. Die Bremer Wirtschaft hatte immer einen starken Drang nach draußen. Das trifft für unser Unternehmen auch zu – wir gehen mit unseren Kunden nach draußen, und das weltweit.
In ihrem Jahresrückblick spricht die Handelskammer allerdings von einer tiefen Krise, in der die Bremer Wirtschaft stecke. Darüber müssen Sie jetzt mit einem SPD-Bürgermeister, einem grünen Finanzsenator, einer linken Wirtschaftssenatorin verhandeln. Wie wollen Sie das angehen?
Wir erwarten nicht, dass der Bürgermeister oder der Finanzsenator für uns die Geschäfte erledigt. Was wir erwarten, ist ein gewisser Grad an Stabilität, ein Regelwerk, auf das wir aufbauen können – um Wirtschaft diejenigen machen zu lassen, die Wirtschaft können. Wir müssen wieder zurückkommen zu einer sozialen Marktwirtschaft.
Wo sind wird denn von dieser sozialen Marktwirtschaft abgewichen?
Wir werden überreguliert. Damit ist jetzt nicht nur Bremen gemeint, das ist ein bundesweites Thema. Das prangern wir seit Jahren, seit Jahrzehnten an. Unser Bürgermeister verspricht auch Besserung – beim Neujahrsempfang war das eines seiner ersten Themen. Jetzt muss er nur noch liefern.
Wo entsteht denn aus Ihrer Sicht die Bürokratie: auf der lokalen Ebene, beim Bund oder bei der EU?
Das kommt darauf an, wen Sie fragen: Wenn Sie unseren Bürgermeister fragen, sagt er: Ich habe viele Auflagen aus Berlin. Wenn Sie Berlin fragen, heißt es, es gebe so viele Auflagen von der EU.
Darüber können Sie dann ja mit ihrer Cousine in Brüssel direkt verhandeln.
Ob sie das mit einem Präses der Handelskammer Bremen machen würde ...? Tatsache ist: In Bremen kommt immer noch was oben drauf. Ob das die Ausbildungsumlage ist, der Bremer Standard beim Bauen, die Stellplatzverordnung. Am Ende ist es das Gesamtpaket, das für die Unternehmen so erdrückend ist.
Welche anderen Probleme müssen wir vorrangig angehen in Bremen?
Wir dürfen uns nicht wegnehmen lassen, was eigentlich unser Herz ist – und das ist der Hafen. Mit all seinen Zulieferern und Zuarbeitern, wie wir es ja auch mit unserem Unternehmen sind. Wir wissen seit über zehn Jahren, dass die Hafenlasten, die wir vom Bund ersetzt bekommen, zu wenig sind. Wir haben in Teilen eine Infrastruktur, die noch aus Kaisers Zeiten stammt.
Sollte man dafür die Schuldenbremse lockern?
Ein schwieriges Thema, weil – wenn Sie das öffnen, dann machen Sie wieder Tür und Tor auf für konsumtive Ausgaben.
Aber der Bund steht in der Verantwortung, mehr zum Hafenbau beizutragen?
Definitiv, insgesamt für die Infrastruktur.
An dem Tag, an dem Sie zum Präses gewählt wurden, trat auf der anderen Seite des Atlantiks der neue amerikanische Präsident sein Amt an, von dem es heißt, seine Präsidentschaft werde die Welt verändern. Wie blicken Sie, wie blickt die bremische Wirtschaft auf die neue US-Regierung? Mehr mit Hoffnung oder mehr mit Sorge?
Jede Veränderung bietet auch eine Chance. Man muss jetzt abwägen und prüfen, was da kommt. Ich denke, bei den Zöllen wird es aller Wahrscheinlichkeit so kommen, wie Präsident Trump es angekündigt hat. Aber darauf kann man sich ja vorbereiten.
Die USA sind der wichtigste Handelspartner Bremens außerhalb der EU, mit zehn Prozent des bremischen Handelsvolumens, wobei der Großteil tatsächlich bremische Exporte sind und weniger Importe. Wir sind da also sehr verwundbar.
Das betrifft aber ganz Deutschland. Und wir haben ja gerade ein Handelsabkommen mit Südamerika schließen können. Wir sind stark in Indien und Indonesien unterwegs. Wichtig ist, dass der globale Welthandel weiter möglich ist. Am Ende wird derjenige, der den Zoll bezahlt, das ja auf die Produkte umlegen müssen, die dadurch teurer werden.
Aber deutsche Unternehmen können auf die Idee kommen, dann ihre Produktion in die USA zu verlegen, um die Zölle zu umgehen. Ist das eine Befürchtung, die Sie auch für Bremer Unternehmen haben?
Das ist ja schon passiert, auch unter Präsident Biden schon.
Es könnte sich aber verschärfen: Kann es zum Beispiel bedeuten, dass Mercedes noch größere Teile seiner Produktion in die USA verlagert und das Bremer Werk weniger auslastet?
Ich kann jetzt nicht für Mercedes sprechen, will es aber nicht hoffen. Was ich weiß, ist: Das Bremer Werk hat einen sehr hohen Stellenwert im Konzern.
Die Handelskammer Bremen und die IHK Bremerhaven sind vor ungefähr zehn Jahren fusioniert. Wann wird es den ersten Präses aus Bremerhaven geben?
Es hat sich dieses Mal kein Bewerber aus Bremerhaven gemeldet. Aber es gibt keinen Grund, warum nicht eine Bremerhavenerin oder ein Bremerhavener Präses der Handelskammer werden sollte.