Der Raketenbauer Ariane hat erstmals ein komplettes Testmodell seiner neuen Trägerrakete Ariane 6 am Startplatz in Kourou (Französisch-Guyana) zusammengebaut. Die Arbeiten gelten als einer von zwei wichtigen Bodentests, die die Rakete bestehen muss, bevor sie zum ersten Mal abheben kann. In diesem Jahr wird daraus jedoch nichts mehr werden: Die europäische Weltraumbehörde Esa hat eingeräumt, dass Ariane 6 erst 2023 zu ihrem Erstflug starten wird – ein weiterer Rückschlag für das Projekt. Dabei werden Trägerraketen gerade dringend benötigt.
Man befinde sich "im Schlussspurt", heißt es bei Ariane. In der Montagehalle des Weltraumbahnhofs Kourou wurden in den vergangenen Wochen erstmals die in Frankreich gebaute Hauptstufe der Ariane 6 und die aus Bremen zugelieferte Oberstufe zusammengesetzt. "Für uns ist das ein wichtiger Schritt, weil wir jetzt testen können, wie die beiden Teile zusammen funktionieren", sagt Jens Schröter, Sprecher der Ariane Group. "Combined Test Model" (CTM) nennen die Ingenieure ihr Modell. Das CTM ist ein kompletter Raketenprototyp, der von der Montage über die Betankung bis zur Triebwerkszündung durchgetestet werden kann – nur abheben soll er nie. Das bleibt dem nächsten Modell der Serie vorbehalten, unternehmensintern als Flight Model 1 bezeichnet.
Das Besondere an dem Montageverfahren bei Ariane 6: Im Gegensatz zum Vorgängermodell Ariane 5 wird die neu entwickelte Rakete im Liegen montiert, was die Arbeiten vereinfachten soll. Auch der Transport zur Startrampe erfolgt liegend; erst dort wird die Rakete aufgerichtet und mit ihren Hilfstriebwerken (Boostern) ausgerüstet. Bislang ist das alles Theorie – ein Plan, den die Ingenieure am Computer entwickelt haben. In der Praxis erprobt werden die Abläufe in den kommenden Wochen am CTM.
Bevor Ariane 6 zum ersten Mal abheben kann, ist neben den Montagetests in Kourou ein weiterer Probelauf im württembergischen Lampoldshausen erforderlich: Auf dem dortigen Teststand des Deutschen Instituts für Luft- und Raumfahrttechnik (DLR) soll das Triebwerk der Oberstufe unter simulierten Weltraum-Bedingungen gezündet werden – in einem künstlichen Vakuum. Vor anderthalb Jahren bereits hatte ein dafür vorgesehenes Testmodell die Produktionshalle in Bremen in Richtung Lampoldshausen verlassen. Doch es gebe technische Schwierigkeiten, die zu Verzögerungen führten, räumte die Esa erst kürzlich wieder ein. Denn neben der Oberstufe wird auch der Teststand des DLR neu entwickelt. Nun soll die Erprobung des Vinci-Triebwerks in Lampoldshausen Mitte Juli beginnen.
"Irgendwann nächstes Jahr"
Dann will die Esa sich auch zum weiteren Zeitplan für Ariane 6 äußern. Dass die Verzögerungen bei den Tests das Gesamtprojekt erneut zurückwerfen, hatte Esa-Chef Josef Aschbacher Mitte Juni in einem BBC-Interview eher beiläufig fallen lassen. Die Rakete werde "irgendwann nächstes Jahr" fliegen, sagte er dem britischen Fernsehsender. Kurz darauf bestätigte die Esa in einer Telefonkonferenz, ein Termin für den Erstflug gegen Ende dieses Jahres sei definitiv nicht mehr zu halten. Bislang war das der Plan, was gegenüber dem ursprünglich anvisierten Termin Mitte 2020 bereits eine Verspätung von zweieinhalb Jahren gewesen wäre. Nun kommen offenbar noch einige Monate dazu.
Dabei werden Trägerraketen für Satellitenstarts gerade händeringend gesucht. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine Ende Februar hatte die Esa die Zusammenarbeit mit der russischen Weltraumbehörde auf unabsehbare Zeit beendet; russische Techniker verließen umgehend den Startplatz in Kourou. Seitdem stehen die bewährten Sojus-Raketen nicht mehr für europäische oder amerikanische Weltraumprojekte zur Verfügung; mehrere Satellitenstarts mussten bereits abgesagt werden. Die Hoffnungen ruhen nun unter anderem auf der Ariane 6, die einen Teil der Lücke füllen soll. "Das ist für uns Fluch und Segen zugleich", sagt Ariane-Sprecher Schröter. Die Kunden stehen bereit, aber sie warten nun auch, dass es losgeht. Knapp 30 Starts mit der europäischen Rakete sind bereits gebucht. Größter Kunde ist Amazon: Der US-Internetkonzern will mit 18 Ariane-Raketen mehrere hundert Kleinstsatelliten für das "Kuiper"-Netzwerk ins All schießen, das das schnelle Internet in alle Teile der Erde bringen soll.