Als Referenzjahr wie gut oder schlecht die Wirtschaftsentwicklung eines Unternehmens ist, wird inzwischen oft 2019 herangezogen – aus gutem Grund: Da war noch alles in "Ordnung". Es gab kein Corona, es herrschte kein Mangel an Produkten und Materialien und die Lieferketten funktionierten. Übertragen auf die Bremer Logistics Group im Geschäftsbereich Automobilumschlag bedeutet das: Nach dem ersten Halbjahr 2023 ist der Logistikkonzern immer noch weit entfernt von dem, was im Vergleichszeitraum 2019 an Fahrzeugen über das Auto-Terminal Bremerhaven abgewickelt wurde. Insofern ist jeder potenziell neue Kunde willkommen: In dieser Woche hat der Auto-Carrier "Cosco Shengshi" für eine Testverschiffung in der Seestadt festgemacht.
Weitere Anläufe der chinesischen Reederei Cosco sind offenbar im nächsten Jahr möglich. Darauf deutet die Aussage von Vincent Xu hin: „Bremerhaven wird ein wichtiger Eingangshafen für Cosco Shipping Car Carriers für Europa, und wir freuen uns auf eine gute Zusammenarbeit mit unseren lokalen Partnern wie der BLG, um unseren Kunden umfassende und effiziente Logistiklösungen anbieten zu können.“ Vincent Xu war bei der Textverschiffung mit anwesend, er ist bei Cosco Direktor für Spezialtransporte in Europa. "Wir sind mit Cosco in Gesprächen bezüglich eines Ausbaus der Zusammenarbeit", sagt die BLG auf Nachfrage. Die Reederei plane, bis 2026 insgesamt 24 neue RoRo-Schiffe in den Dienst zu stellen. "Bremerhaven soll dabei einer der Hub-Ports werden. Bislang haben wir im Containerbereich zusammengearbeitet."
Dass die aktuellen Umschlagszahlen am Bremerhavener Autoterminal die Vor-Corona-Zahlen nicht erreicht haben, ist die eine Sache. Die andere Sache ist, dass die Entwicklung seit Corona insgesamt bezogen auf die vergangenen drei Halbjahresvergleiche nach unten zeigt: 2021 lag der Auto-Umschlag bei 934.000 Fahrzeugen in den ersten sechs Monaten, 2022 fiel er auf 821.000 Autos, und in diesem Jahr sind es 780.000 Einheiten. Nur im ersten Coronajahr war der Umschlag noch geringer, da waren es von Januar bis Juni 695.000 Autos – ein Zeitraum, der besonders von Lieferkettenproblemen, von Produktionsausfällen bei den Autoherstellern und gestörten Absatzwegen geprägt war.
Deutlicher Abstand zum Mitbewerber
Die Autodrehscheibe in Bremerhaven ist in Europa die Nummer zwei. Dass es einen deutlichen Abstand zur Nummer eins gibt, liegt daran, dass in Belgien ein neuer Marktführer entstanden ist: Vor zwei Jahren wurde der Zusammenschluss der beiden Häfen Antwerpen und Zeebrügge auf den Weg gebracht. Allerdings gibt es im neuen Port of Antwerp-Bruges auch einen Zuwachs beim Auto-Umschlag: 2022 wurden nach eigenen Angaben 3,26 Millionen Neuwagen umgeschlagen, was einem Zuwachs von 10,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. In Bremerhaven ging bei diesem Jahresvergleich der Umschlag von Fahrzeugen um 3,89 Prozent zurück – 1,719 Millionen Autos waren es 2021 und 2022 wurden 1,652 Millionen Fahrzeuge umgeschlagen.
Zur allgemeinen Entwicklung heißt es vonseiten der BLG, dass es zu Beginn dieses Jahres in Bremerhaven Einbrüche in den Umschlagszahlen gegeben habe. "Seit März verzeichnen wir im Auto-Umschlag einen spürbaren Anstieg. Mittlerweile bewegen wir uns auf einem stabilen Niveau." Herausforderungen bestünden weiterhin durch die Folgen der Corona-Pandemie, des Ukraine-Kriegs, des knappen Laderaums auf den Schiffen sowie des landseitigen Fahrermangels. "Der Füllgrad ist in unserem – wie in anderen europäischen Häfen auch – hoch. Daher haben die Themen Produktivität, Effizienz sowie die Entlastung unserer Kernflächen eine so hohe Bedeutung."
Die BLG Logistics Group stellt sich nach eigenen Angaben auf steigende Mengen ein. "Allerdings gehen wir von einer weiteren Veränderung der Warenströme aus." Der Import von Fahrzeugen aus Asien werde zunehmen. Chinesische Hersteller würden immer mehr an Bedeutung gewinnen. "Daher freuen wir uns, dass die Reederei Cosco Shipping Car Carriers Bremerhaven für einen Testanlauf ausgesucht hat." Beim Testlauf war das Mitarbeiter-Team der BLG für das Entladen, den Umschlag und die Bereitstellung zur Weiterleitung von 530 Import-Fahrzeugen zuständig. Beladen wurde die "Cosco Shengshi" mit etwa 1.000 Fahrzeugen und Projektladung – ein Bereich, in dem die BLG großes Potenzial sieht: "Das Geschäft mit High- und Heavy-Ladung werden wir sukzessive ausbauen." Dabei spiele der richtige Kunden- und Ladungsmix eine wichtige Rolle, "um einerseits Produktivitätsverbesserungen nicht durch Terminalüberlastung zu gefährden und gleichermaßen unserem Anspruch als offener und für alle Marktteilnehmer frei zugänglicher Autoterminal gerecht zu werden."
Grundsätzlich gelte für alle deutschen Häfen, dass die Hafeninfrastruktur sich verbessern und der Bund sich finanziell mehr involvieren müsse, so der Logistik-Dienstleister. "Wir benötigen einen schnelleren und effizienteren Ausbau der Hinterlandanbindungen – etwa im Bereich des Bahnnetzes." Es müsse dafür eine gemeinsame Strategie von Bund und Ländern geben.