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Hersteller wollen Milliarden einsparen Auto-Zulieferer in schwierigen Zeiten

Bremen. VW hat angekündigt, dass die Rendite der Kernmarke in vier Jahren von 1,8 Prozent auf sechs Prozent erhöht werden soll. Welche Auswirkungen haben die Einsparungen auf die Zulieferer?
01.08.2014, 00:00 Uhr
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Von Corinna Tonner

Wenn Autobauer ihre Sparprogramme verkünden, geraten meistens auch die Zulieferer unter Druck. Jetzt hat VW angekündigt, dass die Rendite der Kernmarke in vier Jahren von 1,8 Prozent auf sechs Prozent erhöht werden soll. Welche Auswirkungen haben die Einsparungen auf die Zulieferer? Vielleicht nicht nur negative, denn Analysten glauben, dass eine höhere Rendite auch dadurch erreicht werden könnte, dass mehr Komponenten bei Zulieferern eingekauft werden.

Dass über Preise verhandelt werde, sei keine Angelegenheit punktueller Gespräche zwischen Autobauern und Zulieferern, sondern ein kontinuierlicher Prozess, sagt Matthias Brucke vom Netzwerk Automotive Nordwest. „KVP“ heißen die nahezu permanenten Preisverhandlungen branchenintern. Die drei Buchstaben stehen als Kürzel für „Kontinuierliche Verbesserungs-Prozesse“. „Das ist gelebter Arbeitsalltag in der Automobilindustrie“, sagt Brucke, der als Clustermanager des Branchenverbands die Automobilwirtschaft in Bremen und im nordwestlichen Niedersachsen vertritt.

Ein teilweise unerbittlicher Geschäftsalltag, der manchmal Arbeitsplätze kostet. So unlängst geschehen beim Modell-Wechsel der C-Klasse von Mercedes-Benz in Sebaldsbrück. Die Aufträge für Zulieferer wurden neu ausgeschrieben. Die im Angebotsverfahren unterlegenen Firmen Magna und Faurecia, ein kanadisch-österreichischer und ein französischer Automobilzulieferer, müssen ihre Standorte in Bremen und Lilienthal schließen. Nach Angaben der IG Metall werden bis Anfang 2015 rund 250 Beschäftigte ihre Jobs verlieren.

Permanente Preisverhandlungen

Stattdessen kommt der weltweit tätige, in Bayern ansässige Autozulieferer Brose zum Zug, der sich im Gewerbepark Hansalinie in Hemelingen angesiedelt hat. Das Unternehmen, das auf Mechatronik spezialisiert ist, will nach eigenen Angaben pro Tag bis zu 600 Fahrzeuge mit Türen ausstatten. 60 Arbeitsplätze sollen am Standort Hansalinie entstehen.

Der zweite Gewinner der Ausschreibung, Boysen-Abgassysteme mit Stammsitz in Baden-Württemberg, hat im Gewerbegebiet in Achim gebaut und soll in Zukunft komplette Abgassysteme nach Sebaldsbrück liefern. Die IG Metall hofft, dass möglichst viele der Arbeitnehmer, die bei Magna und Faurecia ihren Hut nehmen müssen, einen neuen Job bei den neuen Zulieferern bekommen.

Auch wenn die Zulieferer häufig wie ein Spielball der mächtigen Autobauer erscheinen, geht ohne sie doch gar nichts, erklärt der Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg. „70 Prozent eines Autos stammen aus der Produktion der Zulieferer, nur 30 Prozent produzieren die Autobauer selbst“, erläutert Dudenhöffer. „Ein Auto ohne Zulieferer – das wäre so, als würde man das Auto nicht mit vier Reifen, sondern nur mit einem bauen.“

Es sei auch in Zukunft unwahrscheinlich, dass die Arbeitsplätze ins Ausland abwandern. „Es geht um die Modulmontage vor Ort“, so Dudenhöffer. Um flexibel auf Kundenwünsche eingehen zu können, bleibe die Modulmontage in Werksnähe für die „Just-in-time-Produktion“ unerlässlich: „Es würde zu lange dauern, Komplett-Türen aus Mexiko oder China anzuliefern.“ Dudenhöffer erläutert am Beispiel Autotüren, wie sie Brose baut: „Die Zulieferer vor Ort bekommen Gestänge, Gummidichtungen und Elektromotoren für die Türmontage geliefert und installieren die Module vor Ort, so dass die Fahrzeugtür zügig am Band komplettiert werden kann.“

In Deutschland arbeiten laut Dudenhöffer rund 400 000 Beschäftigte in der Automobilindustrie und 300 000 bei den Zulieferern. Für die Zulieferungen aus dem Ausland gebe es nur Schätzzahlen, aber international gesehen seien vermutlich mehr Arbeitnehmer bei den Zulieferern tätig als bei den Autobauern selbst.

Deutschlandweit sieht der Autoexperte einen deutlichen Unterschied zwischen Norden und Süden: „Im Süden sind die Zulieferer näher an der Zentrale und werden anders aufgefangen, wenn ein Vertrag ausläuft.“ Von Stuttgart aus seien Audi und BMW in Bayern mit mehreren Werken oder Opel in Hessen nicht weit. Im Norden gebe es dagegen oft wenig Alternativen und Standorte. Wenn dann zum Beispiel ein Mercedes-Auftrag für ein Modell wegfällt, ist wenig Ersatz da.

Matthias Brucke vom Zulieferer-Netzwerk Automotive Nordwest erklärt, dass die Zulieferer bei Volkswagen in Emden und bei Mercedes-Benz in Bremen von kurzfristigen Einsparungen nicht betroffen sein dürften. „Die Verträge für die C-Klasse und den Passat wurden gerade geschlossen. Wenn sie für den gesamten Modell-Zyklus gelten, sind das etwa fünf bis sieben Jahre.“ Es könnten aber auch nur drei Jahre sein.

Verträge wurden gerade geschlossen

Falls die Autobauer in Zukunft tatsächlich mehr Komponenten bei den Zulieferern kaufen sollten, könnte das durchaus positiv sein, glaubt Brucke. Er erläutert: „Es gibt in einem Modell-Zyklus zwei Phasen: Die Innovationsphase und die Produktionsphase. In der Innovationsphase muss ein Zulieferer der Kreativste sein, um zum Zug zu kommen, in der Produktionsphase der Billigste.“ Zum Beispiel würde einem Bremer Hersteller wie der Firma Hella Fahrzeugkomponenten, die Sensoren produziert, eine erhöhte Nachfrage in der Innovationsphase zugute kommen.

Dass eine Firmenpolitik mit einem stärkeren Fokus auf den Zulieferern, die womöglich bei den Autobauern selbst Arbeitsplätze kosten könnte, sich allerdings ausgerechnet bei VW etablieren könnte, hält Autoexperte Dudenhöffer für „extrem unwahrscheinlich“.

Matthias Brucke

FOTO: FR

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