Immer mehr Unternehmen nutzen freie Kapazitäten, verändern aufgrund der Corona-Krise ihr Betätigungsfeld oder bringen ihr Know-how in die Produktion von medizinischen Geräten und Zubehör ein, die wegen des Coronavirus dringend benötigt werden. Großkonzerne und mittelständische Unternehmen in Deutschland und der Region zeigen, wie kreativ und innovativ sie sind, wenn es darum geht, Lieferengpässe zu vermeiden oder neue Geschäftsfelder zu erschließen.
Eines von ihnen ist die Testia GmbH. Eigentlich ist das Bremer Unternehmen vornehmlich als Dienstleister für die sogenannte zerstörungsfreie und zerstörende Prüfung in der Luft- und Raumfahrt, in der Windenergie, der Automobilbranche und anderer Industrien tätig. Doch in diesen Zeiten will die Testia GmbH, die zum Airbus-Konzern gehört, ihre Kenntnisse auch für den Bau von medizinischen Geräten zur Verfügung stellen – etwa für Beatmungsgeräte.
„Wir entwickeln auch Prüfgeräte und bauen elektronische Komponenten im Alltag nach individuellen Wünschen und Vorgaben“, so Geschäftsführer Holger Speckmann. „Es ist klar, dass wir uns nicht einfach hinstellen und nun Beatmungsgeräte bauen.“ Da gebe es Zertifizierungsvorgaben ähnlich wie in der Luft- und Raumfahrt, die nicht mal eben so umzusetzen seien. Dennoch könne man Teile fertigen, die für Beatmungsgeräte notwendig seien. „Wir sehen uns da in erster Linie als Partner in einem Team, die technischen Möglichkeiten als Zulieferer für relevante Komponenten haben wir auf jeden Fall.“
Konkret produziert wird bereits bei der Marahrens Gruppe, die ihren Sitz in Bremen-Nord hat. Hergestellt werden dort Gesichtsschutz, Schilder, die auf zwei Meter Abstand hinweisen, sowie Spuck- und Niesschutzwände, ein aus Acryl gefertigtes Produkt, das sich laut Geschäftsführer Jan-Christian Hashagen unter anderem zur Verwendung in Apotheken, Praxen und Geschäften eignet. Der Gesichtsschutz reduziere das Risiko einer Krankheitsübertragung durch Tröpfcheninfektion und sei besonders wirksam mit zusätzlicher Mundschutzmaske.
„Aufgrund der aktuellen gesamtwirtschaftlichen Situation blicken auch wir als Unternehmen in eine unsichere Zukunft, in der man sich täglich auf neue Gegebenheiten einstellen muss“, so Hashagen. „Aus genau diesem Grund haben wir als Unternehmen zusätzliche Produkte entwickelt, die die Gesellschaft, aber auch bestimmte Berufsgruppen besonders schützen sollen.“ Bei den neuen Produkten, die zum Teil keine Verbindung zu den eigentlichen Produkten – in erster Linie Beschilderung für Kreuzfahrtschiffe, Hotel- und Ladenketten sowie Sicherheitsbeschilderung – hätten, seien lediglich die Fertigungsmethoden vergleichbar.
Auch Atlas Elektronik bietet Hilfe an
„Atlas Elektronik bietet gerne seine Hilfe an, bei der Herstellung von derzeit dringend benötigten Produkten zu unterstützen“, sagt der Sprecher des Bremer Unternehmens, Stefan Ettwig. Konkrete Vereinbarungen gebe es noch nicht, aber man sei in Gesprächen. Unter anderem bei der Produktion von medizinischen Geräten könne Atlas Elektronik seinen Beitrag leisten, Engpässe bei relevanten Teilen zu kompensieren etwa bei der Produktion elektronischer Baugruppen oder auch der Herstellung von Kunststoffteilen im 3D-Druckverfahren.“
Auch der Wolfsburger Autohersteller VW prüft derzeit, mit 3D-Druckern Medizintechnik-Teile etwa für Beatmungsgeräte zu fertigen. Dabei könnten möglicherweise Kunststoff-Elemente zum Einsatz kommen. Auch hierzu gebe es Anfragen von Behörden, so VW. Das Fraunhofer IFAM in Bremen ist aktuell ebenso in Diskussionen eingebunden, um für die Herstellung dringend benötigter medizinischer Geräte 3D-Druck-Kapazitäten zur Verfügung zu stellen, sagte eine Sprecherin: „Wir verändern damit nicht unser Betätigungsfeld, möchten jedoch bei Bedarf unsere Hilfe anbieten und unser Know-how zur Additiven Fertigung soweit möglich einbringen.“
Die Standorte des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt – darunter auch Bremen, Hannover und Göttingen – widmen sich ebenfalls dem Thema. Wo normalerweise Modelle für die Luft- und Raumfahrtforschung hergestellt werden, kann in Zeiten der Corona-Krise medizinische Schutzausrüstung gefertigt werden: Das DLR hat nach eigenen Angaben erfolgreich die Umstellung seiner 3D-Drucker getestet. Anlass der Prüfung war eine Anfrage der Europäischen Kommission. In dieser geht es konkret um die Herstellung von Schutzmasken und Ventilen für Beatmungsgeräte im 3D-Druckverfahren. Trotz nicht vorhandener technischer Spezifikationen (CAD-Daten) sei es dem DLR gelungen, Tests mit Bauteilen auf Basis frei verfügbarer Vorlagen und mit für den Medizinbereich zugelassenen Kunststoffen durchzuführen, heißt es.
Momentan würden die 3D-Druckerkapazitäten im DLR erfasst. Die leistungsfähigsten Drucker im DLR können nach eigenen Angaben bis zu zehn Schutzmasken oder 15 Ventile für Beatmungsgeräte pro Tag herstellen. Durch eine Vernetzung der Institute und Einrichtungen sei es möglich, größere Mengen zu produzieren. Die Zertifizierung und Zulassung der vom DLR produzierten Produkte für den medizinischen Gebrauch sei bereits in Arbeit. Die Erfahrungen bei der Umrüstung von 3D-Druckern will das Systemhaus Technik des DLR anderen wissenschaftlichen Einrichtungen zur Verfügung stellen. Koordiniert wird dieses Projekt vom DLR in Braunschweig. „In Bremen arbeiten wir auch direkt mit dem Krisenstab der Feuerwehr zusammen, um den speziellen Anforderungen entsprechend Schutzvisire zu entwickeln“, so eine Sprecherin.
In ganz Deutschland wird fieberhaft daran gearbeitet, Engpässe zu vermeiden, die im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie stehen. In Krefeld produziert beispielsweise die Eismanufaktur Glyklich Nudeln für den lokalen Edeka-Supermarkt , der Maschinenbauer Reifenhäuser aus Troisdorf stellt seit ein paar Tagen Vlies her, das Ausgangsmaterial für alle Arten von medizinischen Atemschutzmasken ist. Und an der Philipps-Universität Marburg haben Physiker herkömmliche Geräte zur Behandlung von Schlafapnoe technisch so weiterentwickelt, dass die sogenannten CPAP-Geräte (Continuous Positive Airway Pressure) auch als Beatmungsgeräte eingesetzt werden können. Diese CPAP-Geräte gibt es laut Wissenschaftsministerium in rund zwei Millionen deutschen Haushalten und in Kliniken.