30 Lkw schickt Peter Bassen in jeder Nacht auf Tour. Die Brummis der Spedition Bassen fahren Strecken zwischen 400 und 700 Kilometer. Sie liefern Maschinenteile, transportieren Palettenfracht und Pakete. Im Moment, so rechnet der Bremer Unternehmer dem WESER-KURIER vor, verliere er zwischen 90 und 120 Euro. Pro Tour. Und pro Nacht. Macht unterm Strich ein Minus von rund 3000 Euro allein im täglichen Nachtverkehr.
Der Grund dafür sind die rapide gestiegenen Dieselpreise in diesem Jahr. „Der Diesel steht uns bis zum Hals“, sagt Bassen in Abwandlung einer altbekannten Redensart über die aktuelle Situation in der Transport- und Logistikbranche.
„Die Versorgung von Bevölkerung und Wirtschaft mit allen Gütern des täglichen Bedarfs ist in Gefahr“ – mit diesen dramatischen Worten hatte der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) am Donnerstag kurzfristig zu einer Pressekonferenz eingeladen. Die Veranstaltung entwickelte sich zu einem SOS-Ruf einer ganzen Branche.
„Ohne Hilfe der Politik stehen wir vor einer unlösbaren Aufgabe“, sagte Vorstandssprecher Dirk Engelhardt. Schon in wenigen Tagen könnten viele Unternehmen gezwungen sein, ihre Transporter auf den Höfen stehen zu lassen, anstatt sie auf Tour zu schicken, um Supermärkte und Industriebetriebe zu beliefern oder für Versandhändler unterwegs zu sein.
In manchen Betrieben ist es offenbar schon so weit: Unter den mehr als 100 Teilnehmern der Pressekonferenz waren auch Firmeninhaber. Teils mit tränenerstickter Stimme berichteten sie von der aktuellen Lage. „Unseren Betrieb gibt es seit 1937“, sagte Annette Weiß aus dem schwäbischen Pfullingen, „wir haben sieben Fahrzeuge, lassen zurzeit aber nur vier fahren. Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern zehn nach zwölf.“
Spediteur Bassen lässt im Moment noch alle Lkw rollen, aber dafür hat er sich seit zwei Wochen vorübergehend aus dem Fernverkehrsgeschäft zurückgezogen, um Kilometer zu sparen. „Im Moment sind wir nur noch regional unterwegs“, sagt Bassen.
Olaf Mittelmann ist Geschäftsführer des Landesverbandes Verkehrsgewerbe Bremen. Er hat sein Büro am Hansator. „Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich nebenan die Preistafel der Tankstelle“, sagt er, „bei 2,32 Euro pro Liter Diesel stehen wir im Moment.“ Und für die nächsten Tage rechne man mit weiteren Anstiegen. Es ist eine beispiellose Entwicklung. Im Januar kostete der Liter Diesel schon 1,55 Euro. 1,64 Euro waren es dann im Februar.
„Die Geschwindigkeit, mit der die Preise in die Höhe schießen, ist das Problem“, sagt Mittelmann. Tatsächlich gibt es Möglichkeiten, mit denen sich die Fuhrunternehmen gegen Preisschwankungen beim Kraftstoff absichern können. In vielen langfristigen Verträgen mit dem Auftraggeber ist zum Beispiel der sogenannte Dieselfloater vereinbart. Er orientiert sich an der Entwicklung des Spritpreises. Das heißt, dass Preissteigerungen beim Diesel im Nachhinein bei der Bezahlung berücksichtigt werden. Ein bewährtes Verfahren zwischen Verlader und Fuhrunternehmer, aber aktuell keine Hilfe. Denn in der Regel muss das Fuhrunternehmen vorfinanzieren. Den Ausgleich gibt es zeitversetzt erst mehrere Wochen später. „Ihre Liquidität fließt ab“, sagt Mittelmann, „es nützt Ihnen in der aktuell dramatischen Lage also nichts, auch wenn Sie wissen, dass Sie Ihr Geld in zwei, drei Monaten bekommen. Diese Zeit haben wir nicht mehr.“
Kleine und mittelständische Unternehmen, die über weniger finanziellen Spielraum verfügen, trifft es deshalb oft besonders hart. Und sie machen die Mehrheit in der Branche aus. Von den rund 47.000 Unternehmen im Güterkraftverkehr in Deutschland verfügen 21.000 über ein bis drei Fahrzeuge. Der Fuhrpark von 15.000 Betrieben ist zwischen vier und zehn Lkw groß. Zwei Drittel der Beschäftigten arbeiten in Firmen mit weniger als zehn Angestellten.
Der BGL verlangt jetzt Soforthilfen, etwa einen deutlich verbilligten Gewerbediesel für Lkw. Finanzieren müsste ihn der Staat. In einigen Nachbarländern gibt es steuerbegünstigten Dieselkraftstoff schon, wenn er gewerblich genutzt wird. In Deutschland sollte er zeitlich befristet sein, „aber er muss nicht erst morgen, sondern schon heute kommen“, sagt BGL-Vorstand Engelhardt.
Die Branche hat es auch abseits der hohen Dieselpreise schon seit Längerem schwer. Auch die Preise für Reifen sind extrem gestiegen. Neue Sattelzugmaschinen kosten bis zu 12.000 Euro mehr als noch vor einem Jahr. Schon länger herrscht ein akuter Fahrermangel. Europaweit droht laut BGL nun der Ausfall von mehr als 100.000 ukrainischen Lkw-Fahrern. Die ersten von ihnen seien für den Krieg zur ukrainischen Armee einberufen worden. Sie stehen vor allem polnischen und litauischen Transportfirmen nicht mehr zur Verfügung. Aber auch einzelne deutsche Betriebe in den östlichen Bundesländern sind betroffen.
In Existenznot, so BGL-Chef Engelhardt weiter, seien auch die Betriebe, die auf neue Technologien gesetzt haben, ganz so, wie es sich die Politik wünscht. „Für diese Unternehmen brauchen wir jetzt einen Rettungsschirm.“ Beispiel LNG-Technologie: Von 91 Cent pro Kilo Flüssiggas im Januar 2021 stieg der Preis auf 2,35 Euro im Januar 2022, wie eine Umfrage unter BGL-Mitgliedern ergeben hat; ein Plus von 258 Prozent. Der Preis für den Diesel-Zusatz AdBlue hat sich innerhalb eines Jahres vervierfacht.
„Wir sind schockiert und verärgert, dass das Wirtschaftsministerium bisher nichts unternimmt“, sagt Engelhardt. Wenn nicht sofort etwas passiere, „droht schlicht und ergreifend eine Insolvenzwelle.“