Herr Bütow, nicht nur die Arbeitsmarktzahlen in Bremen zeigen, dass die übliche Frühjahrsbelebung ausgeblieben ist und in deren Folge die Arbeitslosenzahlen sinken. Was zeigen dazu die Indikatoren bei Creditreform an?
Bernd Bütow: Wir müssen anhand der allgemeinen Konjunkturzahlen feststellen, dass das Bruttoinlandsprodukt gegenüber dem Vorjahr um 0,3 Prozent gesunken ist. Das ist zwar noch keine Riesenrezession, aber wir sehen gleichzeitig, dass es immer noch massive Probleme an allen Ecken gibt.
Und zwar?
Wir hatten durch Corona und den Ukraine-Krieg das Thema der wegbrechenden Lieferketten. Unsere Analysen zeigen, dass dies weiter die industrielle Produktion beutelt aber insbesondere auch das Baugewerbe. Denn gerade dort sehen wir die größte Zahl an Insolvenzen.
Reden wir hier über eher kleinere Handwerksbetriebe?
Nein, wir reden hier inzwischen über mittelständische, gesunde Unternehmen im Handwerk, die in die Klemme geraten, weil viele Projekte aus der öffentlichen Hand, aufgekündigt wurden und nun Aufträge fehlen. Sie dürfen auch nicht vergessen, dass gerade die Baubranche im vergangenen Jahr von den Lieferkettenproblemen betroffen war – zum Beispiel gab es zu wenig Holz. Beim Blick auf das Insolvenzgeschehen insgesamt wird sich die Situation in den kommenden Monaten noch verschärfen.
Das hätte noch vor einem Jahr keiner gedacht.
Insgesamt hatten wir im ersten Quartal 20 Prozent mehr Unternehmensinsolvenzen als im Vorjahr, und da ist das Baugewerbe mit an der Spitze. Das ist eine Folge der multiplen Krisen. Die Europäische Zentralbank hat den Leitzins auf 3,75 Prozent angehoben. Gleichzeitig befinden sich die Firmen in einer Phase, in der sie gerade frisches Kapital benötigen, um zu investieren. Das läuft also gerade völlig gegeneinander.
Das stimmt.
Sonst werden Zinsen ja eigentlich dann angehoben, wenn eine Wirtschaft floriert – aber nicht, wenn sie am Boden liegt. Gleichzeitig haben neue Auflagen wie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz den bürokratischen Aufwand für die Unternehmen vielfach erhöht. Und bei der Kreditvergabe an Unternehmen wird jetzt zusätzlich auch auf die ESG-Kriterien geschaut.
Also auf die Kriterien eines Unternehmens in puncto Umwelt, Soziales und Unternehmensführung – auf englisch „Environmental, Social und Governance“, kurz ESG.
Genau. Das alles führt dazu, dass wir erst wieder 2024 für Deutschland mit einer wirtschaftlichen Belebung rechnen – so sehen es ja auch die führenden Wirtschaftsinstitute.
Für wie normal halten Sie diese Entwicklung?
Durch die Coronahilfen wurden so manche Unternehmen über Wasser gehalten. Wenn es da jetzt zu mehr Insolvenzen kommt, ist das eigentlich die Rückkehr zum Normalzustand.
Das Stichwort ist hier „Zombieunternehmen“.
Das sind Unternehmen, die vor der Pandemie nicht ausreichend in die Zukunft transformiert haben, wie denn dann ihr Geschäftsmodell aussehen soll. Und die sterben jetzt aus, nachdem sie durch die staatlichen Hilfen und die Gesetzgebung über Wasser gehalten wurden. Aus unserer Sicht sind die Insolvenzen ein normaler Prozess und sprechen für eine funktionierende Wirtschaft. Die Baubranche nehme ich da allerdings ganz klar raus.
Der Creditreform-Hauptgeschäftsführer interpretiert die zunehmende Zahl an Insolvenzen als Rückkehr zu mehr Normalität - so wie es vor der Pandemie war.
Wie lange dauert es jetzt im Durchschnitt, bis eine Rechnung beglichen wird. Das ist für Creditreform ja immer ein bedeutsamer Frühwarnindikator?
Im ersten Halbjahr 2022 waren dies knapp zehn Tage, die eine Rechnung zu spät bezahlt wird, im zweiten Halbjahr waren wir bei knapp elf Tagen. Das ist der höchste Wert seit sieben Jahren. In der Baubranche ist man inzwischen bei knapp 15 Tagen Verzug, bis eine Rechnung bezahlt wird.
Das spricht für sich.
Da sieht man nochmals, wie arg gerade diese Branche gebeutelt ist. Gerade die kleineren Handwerksbetriebe sind ja darauf angewiesen, dass zügig bezahlt wird, weil die vom schnellen Einkauf der Ware leben, dem schnellen Einbau und der zügigen Bezahlung. Wenn das ins Stocken gerät, kann das für die Betriebe schnell eng werden.
Wie wirkt sich das bei ihrem Geschäftsfeld „Forderungsmanagement“ aus?
Das Volumen an Forderungen, das wir bearbeiten, hat eindeutig zugenommen. Was man aber auch festhalten muss: Das Kaufverhalten der Konsumenten ist weiterhin sehr zurückhaltend. Sie behalten momentan lieber ihr Geld – entweder für die Nebenkostenabrechnung für Strom und Gas oder für die Urlaubsreise. Wir sehen, dass die Transaktionszahlen im Onlinehandel rückläufig sind. Das ist für uns ein Indikator, dass die Wirtschaft da nicht gut angesprungen ist. Ebenso hält der Staat seine Ausgaben zurück – zum Beispiel für den öffentlichen Wohnungsbau.
Auf welche Branchen muss man in den kommenden Monaten einen Blick haben?
Ein Beispiel: Schauen Sie auf die Otto-Tochter mytoys.de. Die stellt zum Jahresende ihren Handel ein. Dabei müsste es doch mit Spielzeug online zu guten Preisen eigentlich gut laufen. Da sieht man eine erste Auswirkung. Auch das produzierende Gewerbe wird stärker im Fokus stehen, weil dort weiterhin Lieferkettenprobleme bestehen werden. Ansonsten wird es alle Branchen irgendwie treffen. Die Konsumzurückhaltung wird auch Auswirkungen auf den Einzelhandel haben. Schauen Sie sich den Leerstand in verschiedenen Innenstädten Deutschlands an.
Welches Thema beschäftigt ansonsten gerade alle Creditreform-Partner?
Wir alle beschäftigen uns alle mit dem schon genannten Thema ESG. Bislang gibt es kaum flächendeckende ESG-Informationen über Unternehmen. Wir sind hier in Bremen und nehmen deshalb als Beispiel Kaffeelieferanten. Die müssen ja nicht nur in Afrika oder in Südamerika vor Ort nachfragen, wie der Kaffee produziert wird, die müssen ja auch bei den Unternehmen anfragen, die die Ersatzteile für eine Röstmaschine liefern. Da sehen wir einen Vorteil, weil wir als Creditreform so sehr in der Fläche verankert sind und Kontakt zu vielen Unternehmen haben. Deshalb werden wir neben den wirtschaftlichen Kennzahlen in Zukunft auch die ESG-Informationen erfragen.
Dafür sollte ein Markt vorhanden sein.
Es konvergiert durchaus mit dem, was wir schon jetzt machen. Denn wenn heute ein Kredit vergeben wird, wird ja nachgefragt, wofür der sein soll und wie nachhaltig der Zweck ist. Denn die Geldinstitute müssen auch zeigen, wie grün ihr Kreditportfolio ist. Langfristig werden also die ESG-Informationen dazu führen, dass sie auch die Bonität eines Unternehmens beeinflussen werden.
Sowas führt man ja aber nicht mal eben ein.
Vor zwei Jahren haben wir damit begonnen und können jetzt schon zu drei Millionen Unternehmen den „ESG-Score“ liefern. Da sind wir bereits im engen Dialog mit vielen Kreditinstituten, die auf diese Weise ihr Kreditportfolio bewerten. Aber zum Beispiel die Frauenquote im Management eines Unternehmens konnten wir auch vorher schon erfassen.