Die Schulnote 3 gilt im Allgemeinen als „befriedigend“. Im Mittelfeld der Notenskala bleibt sowohl Luft nach oben als auch ein gewisser Sicherheitsabstand zum unteren Ende des schulischen Leistungsbereichs, an dem die Versetzung gefährdet ist und blöde Fragen aufgeworfen werden. Ob eine 3 also tatsächlich „befriedigend“ ist, liegt ganz im Auge des Betrachters – Lehrer, Eltern und die benoteten Schüler kommen in diesem Punkt mitunter zu abweichenden Einschätzungen.
Eduard Dubbers-Albrecht hatte nach eigenem Bekunden auch die eine oder andere 3 in der Schule und war in manchen Fächern ganz zufrieden damit. Jedenfalls hat ihn die eher durchschnittliche Note nicht davon abgehalten, ein erfolgreicher Unternehmer und Präses der ehrwürdigen Bremer Handelskammer zu werden. Diese hat der Bremer Politik am Ende der Legislaturperiode und kurz vor der Bürgerschaftswahl ein Zeugnis ausgestellt. Gesamtnote: 3. Doch zufrieden wirkte der Kammerpräses damit ganz und gar nicht. Die Zeugnisübergabe geriet zur Generalabrechnung mit der rot-grün-roten Landesregierung.
Gestützt hat die Kammer ihre Bewertung auf eine Befragung ihrer Mitgliedsunternehmen. Fast 900 große und kleine Betriebe im Land Bremen konnten ihren Wirtschaftsstandort anhand von gut 40 Kriterien benoten – von der „Verfügbarkeit von Gewerbeflächen“ bis zu „Naherholungsmöglichkeiten im Umland“. Das Zeugnis hat also offensichtlich eine solide methodische Basis. Und es fällt in weiten Teilen nicht gut aus: Eine 4,5 im Fach „Attraktivität der Innenstadt“ oder „Digitale Verwaltungsverfahren“ ergibt nach den mathematischen Rundungsregeln eine 5 plus.
Für die Verwaltung sieht es auch in anderen Fächern nicht gut aus: Unternehmensorientierung, Bearbeitungsdauer von Anträgen und Genehmigungen, Service und Beratungsqualität – alles im Bereich 4 bis 4 minus. Ebenso die Schulen, die Verfügbarkeit von Fachkräften und Auszubildenden und die Ladeinfrastruktur für E-Mobilität. Sogar die gerade noch ausreichende Leistung im Fach „Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit“ sehen die Unternehmen als versetzungsgefährdend an.
Darüber wird also zu reden sein, und es ist das gute Recht der Handelskammer und ihrer Mitgliedsunternehmen, auf Verbesserungen zu pochen. Klagen über mangelhafte staatliche Serviceleistungen hört man schließlich nicht nur aus der Wirtschaft. Aber der Kammerpräses leitet aus dem durchschnittlichen Zeugnis eine Grundsatzdebatte über Politik und Wirtschaft ab: Er fordert „mehr Gestaltungsfreiheit“ und weniger Bürokratie; Leistungsdenken, Pragmatismus und „weniger Ideologie“, beklagt „verpasste Chancen“, mangelndes Vertrauen und einen Staat, der sich immer wieder und viel zu sehr in das unternehmerische Handeln einmische.
Man hat das alles schon einmal gehört und könnte es im bekannten Zitatenschatz des Unternehmertums ablegen. Aber angesichts der Großkrisen der vergangenen drei Jahre kann man sich auch ein wenig wundern über die forschen Töne, die da aus dem Schütting zur anderen Seite des Marktplatzes hinüberschallen. War es nicht genau dieser Staat, der vielen Unternehmen gerade erst in zwei aufeinanderfolgenden Großkrisen mit Milliardensummen aus der Patsche geholfen hat? Zuerst in der Pandemie, dann in den Turbulenzen auf den Energiemärkten nach dem russischen Überfall auf die Ukraine? Wenn die Kundschaft ausbleibt oder die Gasrechnung unbezahlbar wird, war und ist Hilfe vom Staat willkommen.
Oder nehmen wir die Energiewende: Große Chancen rechnet sich die Kammer durch den Aufbau einer norddeutschen Wasserstoffwirtschaft aus. Grüne Energie von der Küste soll die Industrie in den Norden locken. Ohne staatliche Förderung aber – aus rein unternehmerischem Handeln heraus – würde so schnell kein einziger Kubikmeter Wasserstoff in Bremen erzeugt werden; es wäre schlicht zu teuer.
Das weiß im Übrigen auch die Kammer sehr genau. Doch der Streit um die Ausbildungsabgabe, der bald vor Gericht landen könnte, scheint die Streitlust der Nachbarn vom Marktplatz gerade anzuheizen. Im Zeugnis stünde unter Arbeits- und Sozialverhalten dazu wohl: „erfüllt die Erwartungen mit Einschränkungen“.