Bremen ist schöner als Berlin, findet Jens-Peter Kohl. So mancher an der Weser mag ihm da sofort recht geben. Allerdings meint der Unternehmer gar nicht die Städte selbst. Es geht ihm um die gleichnamigen Teppichmuster. "Bremen" in den Farben Natur, Rot, Schwarz und Braun gefällt Kohl einfach besser. Das mag auch daran liegen, dass das Muster in seiner Bremer Kokosweberei damals entworfen und exklusiv gewebt wurde. Viele überzeugte Hanseaten der Stadt ließen einst in ihren Häusern "Bremen" verlegen.
Seit fast hundert Jahren wird an der Ritter-Raschen-Straße in Walle mit Bodenbelägen aus Naturfasern gehandelt. Das Unternehmen überdauerte wechselnde Moden bis in die heutige Zeit, in der Nachhaltigkeit und klassisches Handwerk wieder hochgeschätzt werden. Während das Muster „Charlottenburg“ noch immer zu haben ist, wird das Bremer Muster aber schon lange nicht mehr produziert. Doch wenn es der Bremer Kundschaft gefällt, könnte sich auch das wieder ändern.
Webstühle stehen still
Jens-Peter Kohl, Jahrgang 1967, ist in dem großen Haus an der Ritter-Raschen-Straße aufgewachsen und führt das Unternehmen in der dritten Generation. Die riesigen Webstühle stehen schon seit mehr als 20 Jahren still, doch Kohl erinnert sich noch an die Zeit, als der Betrieb in der Werkstatt und auf dem Hof brummte und es für mehr als ein Dutzend Mitarbeiter viel zu tun gab. „Wir haben als Kinder zwischen den Kokosrollen Verstecken gespielt“, erzählt er.
Im Erdgeschoss des Haupthauses befand sich der Bürotrakt, daneben ein Waschraum mit Duschen für die Mitarbeiter – zunächst Luxus. Das rund hundert Jahre alte Werkstattgebäude dahinter war für die Zeit sehr fortschrittlich: Die beiden Etagen waren riesig, wie noch heute zu sehen ist, große Fenster sorgten für viel Licht und Luft.
Die Kokosfasern wurden damals in Form loser Knäuel dicker Fäden vom Hafen angeliefert. In der hauseigenen Färberei bekamen sie die unterschiedlichen Farben, wurden auf dem Hausdach zum Trocknen aufgehängt und anschließend auf Spulen gedreht. In der Werkstatt wurde das Garn zu Matten, Läufern und Teppichen in Fischgrat, Panama, Diagonal- oder Ripsmuster weiterverarbeitet. In den 1950er-Jahren beschäftigte das Familienunternehmen noch vier Weber. Dazu kamen die „Mädchen“, wie man hier sagte. Sie gingen den Männern zur Hand, holten Nachschub, richteten Spindeln und Schützen, färbten, machten Ordnung.
Die Bremer Kokosweberei wurde Mitte der 1920er-Jahre gegründet. Die beiden Kompagnons Anton Mascher und Felix Scheiniak übernahmen Haus und Werkstatt, wo sich ursprünglich die Theatermalerei der Gebrüder von Cassel befunden hatte. 1936 verkaufte Felix Scheiniak, inzwischen Alleininhaber, Gebäude und Betrieb an die Brüder Fritz und Rudolf Kohl. Der jüdische Unternehmer flüchtete mit seiner Familie vor den Nazis nach Palästina. Die Geschäftsübernahme sei „korrekt“ verlaufen, sagt Kohl. In den Archiven der Firma findet sich noch ein Brief aus dem Jahr 1938, in dem sich die Kohls persönlich – aber letztendlich erfolglos – beim Bremer Bürgermeister für einen jüdischen Mitarbeiter einsetzten. Mitte der 1990er-Jahre kam der Sohn der Scheiniaks nach Bremen und stattete dabei auch der Kokosweberei einen Besuch ab. Ein freundliches Gespräch sei das gewesen, erinnert sich Kohl.
Nachfrage ging zurück
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es in Deutschland noch viele solcher Kokoswebereien. Doch als Ende der 1950er-Jahre synthetische Bodenbeläge in allen möglichen Farben und Mustern auf den Markt kamen, ging die Nachfrage dramatisch zurück. Die vergleichsweise rustikal wirkenden Naturfaserprodukte galten plötzlich als altmodische „Arme-Leute“-Teppiche, sagt Kohl. Nachdem der letzte Weber der Stadt Ende der 1990er-Jahre in den Ruhestand ging, stellten auch die Kohls ihre Produktion ein, konzentrierten sich fortan auf das Verlegen von Auslegeware, Teppichen und Treppenläufern aus Kokos und Sisal und firmieren seitdem unter dem Kürzel „Brekowe“.
Der Umgang mit dem störrischen Material sei ein anspruchsvolles Metier, das viel handwerkliches Know-how und Erfahrung verlange und mit dem Verlegen herkömmlicher Auslegeware nicht vergleichbar sei, sagt Kohl, der die Unternehmensleitung vor zehn Jahren von seinem Vater übernahm. Seine Kokosware bezieht er von der Kokosweberei Schär aus der Eifel, der letzten deutschen Kokosweberei, in der noch auf traditionelle mechanische Weise gearbeitet wird. Die Sisal-Varianten werden von einer österreichischen Traditionsweberei geliefert. In der Waller Werkstatt wird die Ware zugeschnitten und auf Wunsch eingefasst. Die Treppenläufer bekommen ihre Abnäher an der alten Adler-Sattlernähmaschine. Besonders spezialisiert ist das Unternehmen auf Treppenläufer, die klassisch mit Stangen und Ösen oder passgenau vollflächig verlegt werden.
Dass die Kokos- und Sisalfasern nachwachsende Rohstoffe sind und nach einer langen Lebensspanne auch unbedenklich entsorgt werden können, spricht schon längst wieder umweltbewusste Verbraucher an. Die grafische Optik trifft zudem den Geschmack designinteressierter Kunden.
Die letzten Meter "Bremer Muster"
Auf Wunsch statten die Waller auch Autos mit passgenauen Fußmatten aus. Vor allem Besitzer klassischer Oldtimer machen von dieser Möglichkeit gerne Gebrauch, erzählt Kohl. Die Brekowe besteht heute aus Kohl selbst und seinem syrischen Mitarbeiter – „ein super Handwerker“, lobt der Chef. Aktiv sind sie für den Betrieb in einem Umkreis von gut 100 Kilometern. Die Pandemie, in der viele Menschen ihre Häuslichkeit entdeckten, habe auch in Walle für einen Auftragsboom gesorgt, erzählt Kohl.
In einem Lagerraum des Firmengebäudes befinden sich die kostbaren letzten Resterollen des „Bremer Musters“, das noch vor Ort gewebt wurde. „Dafür gibt es noch immer Fans“, sagt Jens-Peter Kohl. Und wer weiß, ob das Design bei genug Nachfrage nicht doch wieder ein Comeback erlebt.