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Fehlplanung des Jobcenters Bremer Langzeitarbeitslose in Angst: "Da ist dann ein leerer Raum"

Das Jobcenter Bremen hat bei der Budgetplanung schwerwiegende Fehler gemacht. Jetzt verlieren in wenigen Wochen viele Menschen ihren Arbeitsplatz. Wie geht es den Betroffenen?
04.07.2024, 07:30 Uhr
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Bremer Langzeitarbeitslose in Angst:
Von Lisa Schröder

Für die Frauen ist es eine Katastrophe. In wenigen Wochen ist ihre Beschäftigung weg. Es geht um eine Maßnahme des Jobcenters für Langzeitarbeitslose – und zugleich um viel mehr. Viele verlieren mit dem Platz einen wichtigen Anker in ihrem Leben. Einige haben mit Depressionen oder Einsamkeit zu kämpfen. Fast alle fragen sich: Wo soll ich dann hin?

Es erwischt die Teilnehmer des Projekts hier in Gröpelingen plötzlich. Aus ihren Gesichtern spricht die Fassungslosigkeit. Es fließen Tränen. Das Jobcenter Bremen hat schwerwiegende Fehler gemacht. Viel mehr Budget als gedacht ist in diesem Jahr bereits verplant worden. Jetzt gibt es in der Folge das Geld für die Förderung nicht mehr. Insgesamt sind davon jetzt Plätze für mehr als 350 Menschen bei Trägern in der ganzen Stadt betroffen.

Das Sozialwerk der Freien Christengemeinde bietet die Beschäftigung über ihre Tochtergesellschaft Arbis an. Im Juli enden die Arbeitsgelegenheiten – kurz AGH. Die Bundesagentur für Arbeit schreibt dazu: "Mit einer Arbeitsgelegenheit fassen Sie wieder Fuß in der Arbeitswelt." Für viele fällt diese Perspektive nun weg.

In der Werkstatt in Gröpelingen sitzen die Betroffenen, um von ihren Geschichten zu erzählen. Auf dem Tisch liegen einige ihrer Arbeiten: ein Strauß Tulpen aus Papier in einer Vase, gestrickte Männchen aus Wolle, bunte Freundschaftsbänder. Viele schauen mit Angst auf das Aus der Maßnahme. Viele empfinden die Gemeinschaft als eine Art Familie. "Ich habe immer nur das Gefühl gehabt, dass ich wertlos bin", sagt eine 61-Jährige und muss wieder weinen. Hier hätten ihr alle im Team gezeigt: Wir brauchen dich! Du taugst was! "Das hat mich wieder aufgebaut." Wegen ihrer Gesundheit sei es schwer, eine Arbeit zu finden – gerade in ihrem Alter. Ihr graut davor, nicht mehr kommen zu dürfen. Die Beschäftigung gebe ihr das Gefühl, wieder "ein bisschen zur Gesellschaft zu gehören". Und jetzt wird mir das genommen. Das ist scheiße. Ich sitze wieder zu Hause." Dort sind ihr früher schon düstere Gedanken gekommen: Warum bist du eigentlich noch da? Geh doch einfach!

Aufgrund der Langzeitarbeitslosigkeit haben einige Depressionen oder Suchterkrankungen entwickelt. "Der Anteil wird höher", sagt Betriebsleiterin Miriam Ehle. Das Team hier bei Arbis ist darauf spezialisiert. Für die Teilnehmer breche nun viel weg. "Viele haben kein soziales Netzwerk. Da hilft keiner, Bewerbungen zu schreiben." Das Jobcenter wolle zwar jeden einladen. Doch ob es zeitnah Termine gebe?

Das Geschäft ist für die Träger schon immer schwierig gewesen. Eigentlich habe es vom Jobcenter positive Signale gegeben, dass es mit der Förderung ab August weitergehe. Dann habe sie in den Nachrichten gehört: Das Geld dafür ist gar nicht mehr da. "Der ganze Prozess ist sehr unglücklich", sagt Ehle. Im nächsten Jahr drohen weitere Kürzungen.

"Es ist noch nicht klar, wie es bei mir weitergeht", sagt auch Teilnehmerin Lara*. In ihrem Fall wäre die Maßnahme ohnehin ausgelaufen. Eine Ausbildung schaffe sie gerade aber nicht. Sie fragt sich: "Wenn das jetzt nicht mehr da ist, wo geht es dann hin? Da ist dann ein leerer Raum."

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Viele können nicht nachvollziehen, wie der Fehler beim Jobcenter passieren konnte – und warum es jetzt keine Absicherung in der Not gibt. Das beschäftigt auch Lara. Die Menschen seien auf die Hilfe wirklich angewiesen und kämen sonst unter die Räder. "Ich denke mir immer: Die Gesellschaft kann es sich nicht leisten, das Potenzial von Menschen zu verschenken."

Maria arbeitet in der Bäckerei vor Ort. Vor allem die Zubereitung der Sahnetorten macht ihr Spaß. Die werden zu Cafés in der ganzen Stadt geliefert. Maria hat vorher in der Gastronomie und Altenpflege gearbeitet. Schwere Depressionen machen der 63-Jährigen aber heute zu schaffen. Die Wertschätzung hier ist ihr sehr wichtig: "Ich habe in der Bäckerei eine sinnvolle Aufgabe. So fühle ich mich nicht mehr so minderwertig."

Maria ist stolze Oma von 14 Enkeln. Das sei was Schönes. Trotzdem brauche sie auch eine Arbeit. Es stört sie dabei der Blick mancher auf Menschen im Bürgergeld. Ihnen werde viel Hass entgegengebracht: Die machen sich auf Staatskosten ein tolles Leben. "Das wollen wir aber gar nicht! Wir wollen was Sinnvolles tun. Und mir macht es so viel Freude."

Arbis bietet noch andere Plätze zur Betreuung und Beschäftigung an – bis hin zur Ausbildung zum Tischler oder Bäcker. Die Angebote stützen sich finanziell. "Jetzt bricht ein wichtiger Teil weg – auch für uns als Organisation", sagt Ehle. Es mussten bereits Kündigungen ausgesprochen werden. Die Zukunft der Werkstatt in Vegesack sei bedroht: "Wenn wir nicht noch irgendeine brillante Idee haben."

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Große Sorgen gibt es auch in Hastedt. Wie geht es mit der Recyclingbörse hier weiter? Patrick Jansen ist mehr als enttäuscht. Was jetzt beim Jobcenter passiert sei, das ist aus seiner Sicht der Todesstoß für den Verein, der insgesamt vier Standorte hat. "Das kann man gar nicht anders sagen", so der Anleiter. Wenn keine andere Förderung kommt? "Dann können wir davon ausgehen, dass wir 2025 Insolvenz anmelden."

Nicolas arbeitet hier seit vergangenem Dezember in einer AGH. Ihm gefällt die Arbeit gut. Die Kunden können günstige Möbel finden, die andere vorher gespendet haben. Vorher war Nicolas in einem Bremer Museum tätig. "Mein Traumberuf", sagt er. Doch sein Arbeitsplatz fiel weg. Wegen einer Behinderung sei es für ihn schwer, wieder eine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden.

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Für Jochen fällt ebenfalls eine Perspektive weg. Der Bremer hat eine Beschäftigung beim Verein Hoppenbank. Dessen Teestube in der Nähe des Rembertirings ist eine Anlaufstelle für Haftentlassene. Jochen kümmert sich als Haustechniker um die Wohnungen im Haus. Ein Rückenleiden schränkt den 58-Jährigen etwas ein: "Deswegen ist die Arbeit hier für mich optimal." Und sie bringe ihn raus: "Ich will nicht 24 Stunden zu Hause sitzen. Da fällt mir die Decke auf den Kopf!" Er verliert nun erneut eine Stelle. Vorher war Jochen beim Möbellager der Inneren Mission tätig. Das Jobcenter stellte die Förderung der Plätze bei Allmende jedoch ein.

Viele seien hier mit "viel Herzblut" dabei, sagt Sarah Gohrbandt, die das Projekt koordiniert. Die Arbeitsgelegenheiten könnten ein Schritt zurück ins Arbeitsleben sein. Jetzt fehlt diese Aussicht. Auch hier fallen alle Plätze weg. Das sei besonders schlimm, weil die Menschen oft einsam seien: "Einige haben Suchterkrankungen."

Eine Teilnehmerin in Gröpelingen will trotz allem an eine Lösung glauben. "Ein bisschen Hoffnung muss man immer haben. Sonst geht man kaputt."

*Um die Teilnehmer zu schützen, nennen wir nur ihre Vornamen.

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Folgen für das Gemeinwohl
"Es ist ein Skandal, dass durch Kalkulationsfehler seitens des Jobcenter Bremen so vielen Menschen der Zugang zu sinnvollen Eingliederungsmaßnahmen erschwert und in Teilen unmöglich gemacht wird", sagt die Vorständin des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Bremen Birgitt Pfeiffer. Beschäftigungsmaßnahmen seien gerade angesichts der hohen Armutsquote in Bremen wichtig. Für Weiterbildungs- und Qualifizierungsträger sei die Lage existenzbedrohend. Viele Projekte und Netzwerke drohten wegzufallen – mit Folgen für das Gemeinwohl in den Quartieren. Einmal zerstörte Strukturen könnten nicht kurzfristig wieder aufgebaut werden.
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