Die Stadt Bremen hat eine Zukunftskommission ins Leben gerufen, in der die großen Herausforderungen der Stadt besprochen werden sollen. Während die Mitglieder dieses Gremiums noch tagen, hat die Handelskammer im Jahresverlauf ein eigenes Positionspapier auf den Weg gebracht. In Zusammenarbeit mit dem Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) und mehr als 100 externen Unterstützern haben die Wirtschaftsvertreter unter anderem fünf Bereiche ausgemacht, mit deren Hilfe Bremen nachhaltig wachsen kann: Bildung und Wissenschaft, Internationale Vernetzung, Innovation, Urbanität und Stadtentwicklung sowie Entrepreneurship, also innovative Unternehmensgründungen.
Außerdem hat die Handelskammer in diesen Meinungsbildungsprozess, der begonnen hat, als von der Zukunftskommission des Senats noch keine Rede war, auch etwa 350 Bürger über soziale Medien einbezogen.
Status Quo der Hansestadt
Zunächst einmal zeichnen Handelskammer-Hauptgeschäftsführer Matthias Fonger und -Präses Harald Emigholz im Vorwort ihres 75 Seiten starken Papiers aber ein düsteres Bild des Status Quo der Hansestadt: Die finanzielle Situation des bremischen Haushalts nennen sie „unverändert kritisch“, die Bildungspolitik „dringend verbesserungswürdig“, die Steigerung der Qualität im Service der Behörden „überfällig“. Sie fordern mehr Wohnungen oder Unterstützung für den inhabergeführten Einzelhandel. Kurz: „Die Liste kritischer Punkte ist lang und betrifft oft auch politisches Handeln.“ Es müsse sich vieles ändern, damit Bremen und Bremerhaven nachhaltig wachsen könnten.
Dabei nehmen die Vertreter der Handelskammer neben Politik und Verwaltung aber auch sich selbst in die Pflicht: Sie sprechen von „wir“ wenn es darum geht, die Voraussetzungen für das von ihnen geforderte Wachstum zu schaffen – all das auf Basis eines Leitbilds, das sich, so die Hoffnung der Wirtschaftsvertretung, bis zum Jahr 2030 erfüllt haben soll.
Demnach wären Bremen und Bremerhaven in zwölf Jahren als Zentren für Firmengründungen im Nordwesten bekannt. Existenzgründung, so stellt es sich die Kammer vor, solle als Thema fest im Unterricht an den Schulen verankert sein, am besten im eignen Schulfach Wirtschaft, in dem Lehrer die ökonomischen Zusammenhänge vermitteln. Der Kerngedanke des Positionspapiers ist laut Kammer-Präses, dass das Land Bremen wachsen muss. "Dafür benötigen wir auf jeden Fall eine Strukturreform der öffentlichen Verwaltung.“ Aber das alleine reiche nicht. "Ein neues Denken und Handeln muss überall stattfinden – in der Politik, in der Wirtschaft und in der Gesellschaft." In anderen Städten funktioniere das auch. Nur wenn nicht begonnen werde, neue Strukturen zu schaffen, werde im Land Bremen auch nichts passieren.
Als Konkurrenz zur Arbeit der Zukunftskommission sieht Emigholz das Positionspapier nicht. „Wir wollen es vielmehr dort einbringen.“ Außerdem werde man auf die Bürgerschafts-Fraktionen zugehen, mit ihnen über die Punkte diskutieren und öffentliche Veranstaltungen zu den verschiedenen Themen organisieren
Bremen muss an Außen- und Innenwahrnehmung arbeiten
Die erhofften Veränderungen macht die Handelskammer an drei Leitgedanken fest. Erstens sollten Bremen und Bremerhaven als Städte der Chance und Veränderung wahrgenommen werden. Dafür müsse an der Außen- und Innenwahrnehmung des Bundeslandes gearbeitet werden. Als zweiten Leitgedanken geben die Wirtschaftsvertreter aus, dass Bremen ein Sprungbrett für Talente sein soll. Durch eine bessere Vernetzung mit der Wissenschaft könnten die Unternehmen in Zukunft noch mehr vom Wissens- und Technologietransfer profitieren. Als Drittes werden Bremen und Bremerhaven, so der Plan, zu sogenannten Laboren für neue urbane Strukturen.

Handelskammer-Präses Harald Emigholz.
Dazu fordert die Kammer unter anderem, dass Politik und Verwaltung zusammen mit Vertretern aus Gesellschaft und Wirtschaft an neuen Ideen für die Herausforderungen arbeiten. Dazu werden im Papier unter anderem Investitionen in die Infrastruktur etwa in Verkehr oder Breitbandinternet, aber auch eine neue Ausrichtung der Verkehrspolitik zum Beispiel mit Fokus auf autonomes Fahren und Elektromobilität genannt.
Als konkrete Zielzahlen geben die Verfasser des Handelskammer-Papiers dabei vor, dass die Bevölkerungszahl von Bremen um zwölf Prozent auf dann 625.000 Einwohner steigen soll. In Bremerhaven erhoffen sie sich ein Plus von 14 Prozent auf 130.000 Bewohner. Als problematisch bewerten die Wirtschaftsexperten die Binnenwanderung: Zwar wüchsen beide Städte, allerdings basiere dieses Wachstum im wesentlichen auf der „starken Zuwanderung aus dem Ausland“. Gut verdienende Erwerbstätige verlagerten mit ihren Familien den Wohnsitz ins niedersächsische Umland.
Eine weitere Sorge
„Die Abwanderung des gesellschaftlichen Mittelbaus wirkt sich langfristig negativ auf die Sozialstruktur und Finanzkraft des Zwei-Städte-Staates aus“, heißt es in dem Papier. Eine weitere Sorge: Aus anderen Bundesländern ziehen nach Berechnungen der Handelskammer weniger Menschen in die Hansestadt als noch vor einigen Jahren. Dabei würden Fachkräfte aus anderen Regionen immer bedeutender für das Bremer Wirtschaftswachstum.
Das Land Bremen hat Stärken und Schwächen und viel Mittelmaß. Am Ende ist es durchschnittlich im Bundesvergleich. Wer damit zufrieden ist, dieses Niveau zu halten, wird mittelfristig das Nachsehen haben. Davon ist HWWI-Direktor Henning Vöpel überzeugt. Die globale Wirtschaft habe sich verändert und werde das noch viel stärker tun. „Vor allem durch digitale Prozesse befinden sich die globalen Wertschöpfungsketten im Umbruch.“ Städte und Regionen, die sich auf diesen Wandel einstellten, zählten zu den Gewinnern. Ansonsten gebe es nur noch Verlierer. „Ein Mittelmaß, so wie wir es kennen, wird verschwinden.“
++ Dieser Text wurde zuletzt am 19.12.2017 um 19.45 Uhr aktualisiert ++