Baumwollprodukte sind nur Taschen, T-Shirts und Kissenbezüge? Aus dem pflanzlichen Rohstoff wird viel mehr hergestellt, als man denkt. Lena Kölsch hat in ihrer Masterarbeit das Gehäuse einer Tastatur aus Baumwoll- und Kunststofffasern entworfen. Damit hat sie einen innovativen Schritt gewagt. Setzt sich das Ergebnis ihrer Forschung durch, könnte Baumwolle in Zukunft als nachhaltiges Material sogar Kunststoff ersetzen.
Berichtet Kölsch von ihrem Abschlussprojekt, taucht die 27-Jährige schnell in begeisterte Beschreibungen ihrer Arbeit voller Fachbegriffe ein; man merkt, sie kennt sich in ihrem speziellen Forschungsbereich sehr gut aus. „Baumwolle als technische Faser“ heißt ihre Untersuchung, mit der sie 2016 den Masterstudiengang Integriertes Design an der Hochschule für Künste (HfK) abschloss. Die Idee dahinter: Die Naturfasern der Baumwollpflanze werden durch Hinzufügen von Biokunststofffasern zu einem Grundstoff verarbeitet, der zum Beispiel als Hülle für Elektrogeräte einsetzbar ist. Die Kunststofffaser Polylactid, mit der Kölsch die Baumwolle kombinierte, wird auf Basis von Milchsäure produziert. Somit wird ein elektronisches Zubehör wie eine Computertastatur nachhaltiger, da mit Baumwolle und Polylactid das gesamte Gehäuse biologisch abbaubar ist.
Zu Beginn ihrer Arbeit war Kölsch nicht klar, dass aus der Verbindung der Stoffe einmal eine Tastatur entstehen könnte. Ihr Interesse für Baumwolle hat ein Semesterprojekt geweckt, welches das Faserinstitut und die Baumwollbörse in Zusammenarbeit mit der HfK organisiert hatten. „Baumwolle hat so viel Potenzial. Ich wollte mehr damit machen“, sagt Kölsch. Deshalb beschloss sie nach dem Seminar, ihre Masterarbeit der Frage zu widmen, welche sinnvolle Anwendung der Rohstoff als sogenannter Faserverbundwerkstoff haben könnte. Das heißt: Durch die Verbindung beider Grundstoffe, Polylactid und Baumwolle, sollte ein höherwertiges Material entstehen.
Dabei beschränkten sich Kölschs Entwicklungen auf das Gehäuse und die Tasten – die Elektronik entsprach der einer normalen Computertastatur. „Für mich war die richtige Verbindung von Design und Technologie wichtig“, sagt Kölsch. Eine Tastatur müsse praktikabel und ästhetisch sein. Gleichzeitig habe sie Hautkontakt, werde täglich genutzt und sei heutzutage fast ein Wegwerfprodukt. Außerdem bestehe das Material einer gängigen Tastatur aus verschiedenen geschredderten Kunststoffsorten, die schwer trennbar und somit schlecht recycelbar sind. „Damit war sie sowohl wegen ihrer Eigenschaften als auch wegen des Aspekts der Nachhaltigkeit perfekt.“Auch der Preis für die Baumwolle spielte eine wichtige Rolle. Im Vergleich zu anderen Naturfasern sei sie günstig und gut verfügbar, sagt Kölsch. Ihr gefällt der Rohstoff: „Ich finde, Baumwolle ist eine sehr schöne Faser.“
Entscheidend war, die Grundstoffe so zu verarbeiten, dass sie in einer Tastatur einsetzbar sind. „Die Tasten selbst mussten fest sein, die Zwischenräume aber sollten flexibel sein.“ Kein einfacher Prozess. Zunächst recherchierte Kölsch über die möglichen Anwendungen von Baumwolle und Polylactid – und probierte dann alle Verarbeitungsmöglichkeiten der Grundstoffe im Labor aus: teilweise erhitzen, komplett erhitzen, leicht erwärmen. So fand sie heraus, wie sie die Stoffe sowohl zu einem festen als auch zu einem flexiblen Endprodukt verarbeiten kann. Auf dem Weg zum Endergebnis experimentierte die Forscherin fünf Monate, bevor sie in Handarbeit die Tastatur herstellte. Um die Baumwolltastatur tatsächlich in den Handel zu bringen, benötige es jedoch eine neue Fertigungskette, wozu auch neue Maschinen und Werkzeuge gehören. „Die Materialkosten für die Tastatur sind niedrig“, sagt Kölsch. „Aber der Rest ist finanziell fraglich.“ Um die Tastatur weiterzuentwickeln, wären große Investitionen nötig.
Ob auch andere Plastikartikel durch Baumwollfasern ersetzbar sind, hänge von den Eigenschaften des Zielproduktes ab, sagt Kölsch. Das Polylactid sei zwar für die Tastatur sehr nützlich gewesen, aber nicht sehr temperaturbeständig. Für Geräte wie Computer oder Mobiltelefone, die gelegentlich warm werden, sei es momentan nicht geeignet. „Da müsste man mit anderen Kunststoffen experimentieren“, sagt sie. Ausgeschlossen sei es aber nicht.
Lena Kölsch macht einen Abschluss in Produktionstechnik
Franziska Stehle vom Faserinstitut Bremen hält eine solche Entwicklung ebenfalls für denkbar: „Ein Handy aus Baumwolle könnte es irgendwann geben.“ Doch Baumwolle als Verbundstoff sei eine noch relativ neue Entwicklung. Um beispielsweise tatsächlich Handy- oder möglicherweise Computergehäuse aus Baumwolle und Polylactid herzustellen, müsse die Kunststofffaser zunächst genauer erforscht werden. Stehle hat aus einem Verbundstoff mit Baumwolle Noppenwaben entwickelt, die beim Hausbau als akustische Dämmer verwendet werden. Solche Entwicklungen werde es künftig öfter geben. „Baumwolle ist bei der Entsorgung ein wesentlicher Fortschritt“, sagt sie.
Stehle und Kölsch nutzen nicht als erste Forscher die vielseitigen Eigenschaften von Baumwolle. Laut Stehle lässt sich die gängige Verwendung in die Bereiche Bekleidung, Heimtextilien und technische Textilien unterteilen. Baumwolle findet sich in vielen alltäglichen Produkten wieder. In Hygieneartikeln wie Damenbinden oder Tampons ist die Faser verarbeitet, außerdem enthalten sowohl Matratzen und Möbel als auch unterschiedliche Medizinartikeln wie Mullbinden Baumwollfasern.
Doch nicht nur die Rohbaumwolle, die in der Bekleidungs- und Textilindustrie zentral ist, ist nutzbar. Auch die Samen und die für das Spinnen zu kurzen Samenhaare, die sogenannten Linters, finden sich in vielen Produkten wieder. Aus den Samen lassen sich zum Beispiel Margarine und Mayonnaise herstellen, während die Linters als Grundstoff für Fotofilme, Geldscheine oder Lacke dienen.
Kölsch will sich künftig weiter mit dem Rohstoff Baumwolle beschäftigen. Zurzeit macht sie einen zweiten Masterabschluss in Produktionstechnik an der Universität Bremen. Dahinter steckt ein Plan: Sie findet, dass technische Innovationen in ihren Entwicklungsprozessen oft zu kleinteilig sind; Naturwissenschaftler, Designer und Ingenieure arbeiteten zulasten des Endprodukts selten zusammen. Kölsch will das nach ihrem Studium ändern. Ihr Ziel ist es, im Beruf einen Blick für alle Produktionsabschnitte zu haben. Das möchte sie in der Forschung umsetzen und damit ähnliche Produkte wie die Tastatur aus Baumwolle entwickeln – natürlich als eine Mischung aus Wissenschaftlerin, Designerin und Ingenieurin.