Simon Brunotte ist erst 16 Jahre alt, besucht die neunte Klasse, aber der Bremer weiß bereits, wie seine berufliche Zukunft aussehen soll: “Ich möchte Feldwebel werden - am liebsten beim Heer.” Bei der Arbeitsagentur informiert er sich über die Voraussetzungen für diese militärische Laufbahn - ein neues Angebot der Arbeitsvermittler. Bislang war die Arbeitsagentur nur für zivile Berufe bei der Bundeswehr beratend tätig. Das ist ein weiterer Baustein für die Personalgewinnung bei der Bundeswehr.
Als einer der größten Arbeitgeber in Deutschland buhlt die Bundeswehr wie die meisten anderen Unternehmen auch um geeignete Mitarbeiter. Dafür wirbt die Bundeswehr auf vielen sozialen Kanälen, ist auf Messen vertreten, hält Vorträge in Schulen, hat einen eigenen Youtube-Kanal, macht Werbung im Kino und auf Plakaten. Und in manchen Städten stellte sie sogar die Dönerverpackung in Tarnfarbe mit markigen Sprüchen wie "Du bleibst immer hungrig – weil du es kannst" kostenlos zur Verfügung. Und wer grundsätzlich mehr über eine militärische Karriere erfahren möchte, kann sich nun auch bei der Arbeitsagentur informieren.
Fürs Erstgespräch gut vorbereitet
Über die Bundeswehr weiß Simon Brunotte schon viel - er hat deren Youtube-Kanal abonniert. Er ist für das Erstgespräch bei der Arbeitsagentur gut vorbereitet. Bis es konkret darum geht, welcher Schulabschluss notwendig ist oder ob alternativ eine Ausbildung dem Neuntklässler den Weg zum Feldwebel eröffnet, nimmt Berufsberater Marcel Lux zunächst Daten und Informationen von Simon Brunotte auf – von den letzten Schulnoten, über die Art von geleisteten Praktika und den damit gemachten Erfahrungen, bis hin zu den Lieblingsfächern, Interessen und dem angestrebten Schulabschluss. "Das ist für uns immer eine wichtige Basis, um daraus im Gespräch verschiedene Optionen und Alternativen herauszuarbeiten – auch für mögliche weitere Beratungen."
Mit dem Ziel, die militärische Personalgewinnung zu stärken, hatten sich Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und Andrea Nahles, Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, erst im November eine entsprechende Grundsatzvereinbarung „Gemeinsam für eine starke Bundeswehr: Die Zeitenwende personell gestalten“unterzeichnet. Damit wurde die bereits langjährig bestehende Kooperation des Verteidigungsministeriums mit der Bundesagentur im zivilen Bereich erweitert. Kern der Grundsatzvereinbarung ist, für den Aufwuchs der Bundeswehr zeit- und bedarfsgerecht geeignetes Personal zu finden.
Schüler-Zukunftstag bei der Bundeswehr-Logistikschule in Garlstedt
Dass Simon Brunotte bereits einen konkreten Berufswunsch hat, dafür sorgt nicht nur der Youtube-Kanal der Bundeswehr: Er war im April im Rahmen des bundesweiten Schüler-Zukunftstags – Girls'Day und Boys'Day – bei der Logistikschule der Bundeswehr in Garlstedt zu Besuch. "Es gab für uns am Zukunftstag verschiedene Stationen. Wir haben beispielsweise das Ärzteteam besucht, Zelte aufgebaut und zweimal einen Parkourlauf absolviert", so Brunotte. "Es gibt eine Vielzahl an Aufgaben. Das hat mir sehr gefallen."
Der Erfolg bei der Bundeswehr ist insgesamt bislang überschaubar. Seit Jahren kommt die Bundeswehr bei ihrem Personallaufwuchs nicht aus dem Tritt, schrumpfte zwischendurch sogar leicht. Nach aktuellen Angaben arbeiten derzeit 182.500 Soldaten bei der Bundeswehr. Das reicht noch lange nicht.
Die große Herausforderung der Bundeswehr
Was die große Herausforderung angeht, gehört die Bundeswehr wahrscheinlich zu den Unternehmen in Deutschland mit dem höchsten Personalbedarf in den nächsten Jahren: Bekanntlich verfolgt das Verteidigungsministerium schon länger das Ziel, bis zum Jahr 2031 die Personalstärke auf etwa 203.000 aktive Soldaten zu erhöhen. Zudem werden aufgrund von Zusagen gegenüber der NATO noch mehr personelle Ressourcen benötigt. Pistorius sprach kürzlich von 50.000 bis 60.000 Soldatinnen und Soldaten, die im Vergleich zum Personalbestand heute in den Streitkräften mehr gebraucht werden.
Die verstärkten Anstrengungen der Bundeswehr zeigten zumindest bei der Anzahl der Bewerbungen Wirkung: Etwa 51.200 Personen hatten sich nach Angaben des Wehrberichts im vergangenen Jahr für eine militärische Tätigkeit beworben – das waren 18,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Bewerben bedeutet aber eben nicht, dass die Interessenten auch tatsächlich bei der Bundeswehr anfangen. Trotzdem wertet die Bundeswehr das schon als Erfolg.
Zunahme bei der Arbeitsagentur Bremen-Bremerhaven
Bei der Arbeitsagentur Bremen-Bremerhaven sei eine leichte Zunahme des Interesses und der Aufgeschlossenheit wahrzunehmen, so Sprecherin Sabine Giese. "Spürbar ist bei einem Interesse an der Bundeswehr zum Beispiel eine Zunahme der Verlässlichkeit bei Jugendlichen, die nach der Beratung dann auch tatsächlich Kontakt zur Karriereberatung aufnehmen." Auch Ausländer fragen häufiger initiativ an, kommen aber aufgrund einer der Einstellungsvoraussetzungen – deutsche Staatsbürgerschaft – teilweise nicht in Frage."
Die Möglichkeit eines Ernstfalls spiele in den Gesprächen eher keine Rolle, so Giese. "Die Bundeswehr befindet sich bereits in Auslandseinsätzen und somit ist der Ernstfall kein theoretisches und künftiges Szenario, sondern bereits jetzt Realität." Es werde aber schon über Chancen und Risiken im Zusammenhang mit einer Tätigkeit bei der Bundeswehr gesprochen.
Simon Brunotte sagt, dass ihm durchaus bewusst sei, dass es bei der Ausübung eines Berufs im militärischen Bereich zu gefährlichen Situationen kommen könne. Um noch genauer herauszufinden, ob ein Beruf beim Heer auch wirklich seinen Vorstellungen entspricht, wird der 16-Jährige in den Sommer- und Herbstferien jeweils ein viertägiges Praktikum machen – voraussichtlich am Bundeswehr-Standort Munster.
Gesundheitliche Eignungsfeststellung
Außerdem muss er sowieso noch direkt mit der Bundeswehr sprechen. Dafür muss er einen Termin beim Karriereberatungsbüro oder gleich bei einem übergeordneten Karrierecenter vereinbaren - sie sind der Ersatz für die ehemaligen Kreiswehrersatzämter. Nur eine Beratung bei der Arbeitsagentur ist für einen möglichen Einstieg bei der Bundeswehr nicht ausreichend. Die Bundeswehr hat 15 Karrierecenter – unter anderem in Hannover und Wilhelmshaven. In den Karrierecentern findet neben der beruflichen Beratung für die zivile und militärische Laufbahn auch die gesundheitliche Eignungsfeststellung statt. In den 99 Karriereberatungsbüros – sie gibt es unter anderem in Bremen, Oldenburg und Osnabrück – finden lediglich die Beratungsgespräche statt.
Von 121.930 militärischen Dienstposten in den Laufbahngruppen der Unteroffiziere sowie der Offiziere waren 24.258 Dienstposten laut dem Bericht der Wehrbeauftragten im vergangenen Jahr nicht besetzt. Das entspricht 19,9 Prozent der Dienstposten (2023: 17,6 Prozent). In der Laufbahn der Mannschaften waren von 45.555 militärischen Dienstposten 12.654 und damit rund 27,8 Prozent unbesetzt.
Im Bericht ist teils von erheblichem Personalmangel die Rede. So gab es demnach beispielsweise in der Laufbahngruppe der Mannschaften Vakanzen von über 40 Prozent in den Werdegängen Rohrartillerie oder Elektrotechnik. In der Laufbahngruppe der Unteroffiziere ohne das sogenannte Portepee werden die Vakanzen mit mehr als 40 Prozent angegeben – etwa in den Werdegängen Spezialpioniere, Elektrotechnik oder ABC-Abwehr. Unteroffiziere ohne Portepee sind beim Heer und Luftwaffe Unteroffizier, Stabsunteroffizier und der Fahnenjunker. Bei der Marine heißen die gleichen Dienstgrade Maat, Obermaat und Seekadett. Portepee (Degenhalter) kommt aus dem Französischen. Bei der Bundeswehr hat das Wort eine rangbezeichnende Funktion.

Die „Gorch Fock“ Segelschulschiff der Deutschen Marine mit Heimathafen Kiel. In der Marine waren bis Ende Dezember 2024 von 14.600 militärischen Dienstposten 11.520 besetzt.
Die Anzahl der Pilotinnen und Piloten der Bundeswehr hat sich dem Bericht zufolge unter Berücksichtigung des sich in Ausbildung befindenden Personals in den vergangenen Jahren querschnittlich leicht erhöht. "Trotzdem bleibt die Personallage mit fast 390 vakanten Dienstposten, was einer Besetzungsquote von nur rund 79 Prozent entspricht, weiterhin angespannt." In der Marine waren bis Ende Dezember 2024 von 14.600 militärischen Dienstposten 11.520 besetzt. Das entspricht einer Vakanz von rund 21 Prozent.